Die Totenbändiger - Äquinoktium - Die gesamte erste Staffel. Nadine Erdmann
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Читать онлайн книгу Die Totenbändiger - Äquinoktium - Die gesamte erste Staffel - Nadine Erdmann страница 35
Doch Sky schüttelte den Kopf, als er ihr den Riegel reichen wollte. Erschöpft rutschte sie an die Tunnelwand, lehnte sich dagegen und schloss die Augen. »Ich kriege jetzt nichts runter. Mir ist kotzübel. Der Hocus war echt ekelhaft.«
Obwohl sie längst keine Verbindung mehr zu dem Geist hatte, war ihr immer noch schweinekalt und ihre Muskeln wollten nicht aufhören zu zittern. Hinter ihren Schläfen hämmerte es, ihr war schwindelig und ein ekelhafter Geschmack klebte in ihrem Mund.
Gabriel zog eine Colaflasche aus dem Rucksack, drehte sie auf und drückte sie ihr in die Hand. »Trink wenigstens etwas.«
Gehorsam überwand sie sich und merkte sofort, wie sie sich besser fühlte, als die süße Cola den widerlichen Geschmack von Fäulnis, Tod und Verdorbenheit aus ihrem Mund vertrieb. Sie trank weiter kleine Schlucke und sah zu, wie Gabriel eine Silberbox aus dem Rucksack holte und sie vor den fixierten Geist schob. Dann nahm er die Fernbedienung aus der Tasche und aktivierte die Box. Die Klappen auf der Oberseite sprangen auf und der Magnet im Inneren reagierte mit den Eisenpartikeln des Auraglue.
Wieder kreischte der Hocus, als die Magnetkräfte ihn zusammenpressten und in die Box sogen. Sein Schrei wurde immer schriller, bis das Biest endlich komplett in der Box verschwunden war.
Gabriel aktivierte den Schließmechanismus, die Klappen schnappten zu und es herrschte schlagartig Stille.
»Das war’s.« Er sank neben Sky gegen die Tunnelwand. »Danke fürs Lebenretten, kleine Schwester.«
Sie lächelte matt. »Jederzeit wieder, großer Bruder.«
Er klaute ihr die Colaflasche und nahm ihre Hand. »Nimm dir von mir alles, was du brauchst.«
»Nein, schon okay. Du bist ja selbst k. o. und es geht mir schon besser. Ich regeneriere mich auch von alleine.« Sie tastete nach dem Energieriegel und fühlte ein warmes Kribbeln in ihrer Hand, als Gabriel ihr trotzdem etwas von seiner Energie schenkte.
Ihr Funkgerät knackte und Connors besorgte Stimme drang knisternd aus dem kleinen Lautsprecher.
»Sky? Gabe? Ist alles in Ordnung bei euch? Was war das für ein Gekreische?«
Sky zog ihre Hand aus Gabriels und nahm das Gerät vom Gürtel. »Hey. Alles gut. Es gab hier bloß keine Kinder, dafür aber einen fiesen Hocus.«
»Shit!«
»Yep. Ich glaube, das war sein zweiter Vorname.«
»Seid ihr okay?«
»Ja, nur ein bisschen k. o. Das Biest war ziemlich stark. Ich schätze, wenn es Gabe und mich erledigt hätte, hättest du dich in nicht allzu ferner Zukunft mit einem hungrigen Wiedergänger herumschlagen müssen.«
»Dann danke, dass ihr mir das erspart habt. Habt ihr ihn in eine Silberbox gebannt?«
»Aber so was von. Sonst ist hier nichts. Wir ruhen uns kurz aus und kommen dann zurück.«
»Kein Stress, ich hab hier alles im Griff. Nehmt euch alle Zeit der Welt.«
»Nee, so schön ist es hier nicht. Wie weit seid ihr? Ich hab nämlich ehrlich gesagt nichts dagegen, bald hier raus und zurück ans Tageslicht zu kommen.«
Es herrschte kurz Stille, dann antwortete Connor: »Doktor Monroe meint, sie ist in einer halben Stunde fertig, und ich schätze, bis dahin hab ich auch alle Fingerabdrücke.«
»Fantastisch. Wir kommen rechtzeitig zurück, um euch beim Einpacken zu helfen.«
»Okay. Bis dann. Over and out.«
»Over and out.«
Sky steckte das Funkgerät zurück in ihren Gürtel und riss das Einwickelpapier um den Energieriegel auf. »Eigentlich dachte ich ja, wegen ihres ersten Schultags hätten die Kids heute beim Abendessen am meisten zu erzählen.« Sie biss in den Riegel und klaute sich von Gabriel die Colaflasche zurück. »Aber um einen Tunnel voller Leichen und eine Nahtoderfahrung durch einen Hocus zu toppen, müssen die drei schon einiges liefern.«
Kapitel 12
Die letzten Strahlen der Abendsonne fielen auf die in die Jahre gekommene Stadtvilla, die am Ende der Sackgasse stand. Es war ein großes Haus mit großem Garten, gebaut zu einer Zeit, in der die Bewohner noch Personal hatten, das unter dem Dach wohnte, und man Zimmer wie einen Salon brauchte, der eine Art zweites Wohnzimmer darstellte, in dem man Gäste empfangen hatte.
Solchen Luxus gab es heute nicht mehr.
Zumindest nicht im Norden Londons.
Hier lebte die Mittelschicht meist mit mehreren Generationen unter einem Dach, weil London ein teures Pflaster und Wohnraum in einem sicheren Umfeld schmerzhaft kostspielig war. Oft rückten Familien und andere Wohngemeinschaften deshalb zusammen, um sich das Leben hier leisten zu können.
Und man setzte Prioritäten.
Allen Fassaden der Häuser im Crescent Drive hätte neuer Putz oder ein neuer Anstrich gutgetan. Doch stattdessen gab es Eisenzäune und eiserne Rahmen um Fenster und Türen. Manche Häuser hatten als zusätzlichen Schutz sogar Schmuckornamente aus Eisen an den Wänden oder eiserne Skulpturen in den Gärten, und überall wuchsen Schutzpflanzen wie Salbei, Lavendel und Thymian, Holunder, Wachholder und Engelwurz.
Auch die alte Villa der Hunts war gut geschützt. Zwar fand man am Haus und in den Gärten weder Ornamente noch Skulpturen, aber das Grundstück war mit einem hohen Eisenzaun umgeben und alle Fenster und Türen waren gesichert. Im Vorgarten wucherten Holunder- und Wacholdersträucher und im hinteren Garten umgab eine gut zwei Meter hohe Weißdornhecke den Gartenzaun und sorgte neben Sichtschutz vor neugierigen Blicken auch für zusätzlichen Schutz vor Geistern, denn hinter dem Garten begann der Wald des Hampstead Heath.
Der Heath war nur einer von über zweihundert Grünanlagen in London, gehörte aber zu den größeren und war neben den Parks in Richmond und Wimbledon einer derjenigen, in denen man die Natur aus Kostengründen großteils sich selbst überließ und die Stadtgärtner nur dafür sorgten, dass die Parkwege nicht völlig zuwucherten. Das machte den Heath als Rückzugsort für Geister unschlagbar attraktiv.
Cam mochte den Park, auch wenn der Heath jetzt, kurz vor Einbruch der Dämmerung, ein gefährlicher Ort war. Tagsüber waren der Wald und die verwilderten Wiesen wunderschön und wie verwunschen. Und die Geister, die sich darin vor dem Tageslicht versteckten, schreckten Cam nicht. Er hatte zwar den nötigen Respekt vor ihnen, aber Angst hatte er keine. Man musste keine Angst vor den Seelenlosen haben, wenn man wusste, wie man sich gegen sie schützte. Und das hatten Sue, Gabriel und Sky ihm beigebracht.
Ihren Garten mochte Cam auch, obwohl der kein bisschen verwunschen und wild war, sah man mal von der Weißdornhecke ab. Die war so alt und in sich verwuchert, dass man selbst im Winter, wenn sie