Die Totenbändiger - Äquinoktium - Die gesamte erste Staffel. Nadine Erdmann
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Читать онлайн книгу Die Totenbändiger - Äquinoktium - Die gesamte erste Staffel - Nadine Erdmann страница 31
»Der Todeszeitpunkt wäre auch interessant«, fügte Sky hinzu. »Es sieht so aus, als würden die Leichen schon ein paar Wochen hier liegen, aber wir hoffen, dass Sie uns dazu Genaueres sagen können. Außerdem wäre es gut zu wissen, ob dieser Tunnel hier der Tatort oder nur ein Ablageort ist. Und was immer Sie sonst noch herausfinden – wir sind dankbar für alles.«
Monroe nickte und zog ein Skalpell aus einem Lederetui. »In Ordnung. Die Frage zum Tatort kann ich Ihnen jetzt schon beantworten. Der ist nicht hier. Wären diese Menschen hier getötet worden oder hätte man sie verletzt hierhergebracht, um sie ausbluten und sterben zu lassen, müsste es hier viel mehr eingetrocknetes Blut geben. Und die Frage zum Todeszeitpunkt, also ich schätze, wir reden eher von Monaten als von Wochen. Hier unten ist es kühl und trocken. In so einer Umgebung verläuft der Verwesungsprozess langsamer. Aber genauer kann ich das erst nach der Untersuchung der Leichen sagen. Haben Sie schon einmal mit einem Forensikteam zusammengearbeitet?«
»Nur als Beschützer«, antwortete Sky. »Wir bändigen die Geister an Tatorten, haben aber mit der Spurensicherung eigentlich nichts zu tun.«
»Okay. Fotos vom jetzigen Zustand dieses Fundortes haben Sie sicher bereits gemacht?«
»Ja.«
»Gut. Da das hier eine inoffizielle Untersuchung ist und wir nicht viel Zeit haben, sparen wir uns Pingeligkeiten und beschränken uns auf das Wesentliche. Legen Sie vorsichtig alle Leichen nebeneinander, versehen Sie sie mit einer Nummer und machen Sie ein Foto. Ich sehe mir die Toten der Reihe nach an und mache einen kurzen Vermerk zu jeder Nummer, damit es keine Verwechslungen geben kann. Ich nehme an, Sie wollen Fingerabdrücke der Opfer nehmen, um sie identifizieren zu können?«
Gabriel nickte. »Kleidern und Haaren nach zu urteilen, sind es vermutlich Obdachlose, aber vielleicht haben wir bei dem ein oder anderen trotzdem Glück und finden ihn in der Datenbank.«
Monroe nickte ebenfalls. »Gut. Dann machen wir uns mal ans Werk.«
Zwei Stunden später hockte Sky sich mit einer ihrer mitgebrachten Wasserflaschen an den Rand des Einsatzortes und zog ihr Handy aus der Seitentasche ihres Rucksacks.
Kurz nach vier.
Die Zeit hier unten kam ihr vor wie eine Ewigkeit und den Großteil davon hatten sie, Connor und Gabriel damit verbracht, aufgeschlitzte Leichen voneinander zu trennen, damit Doktor Monroe sie untersuchen konnte.
Es gab angenehmere Arten, einen Nachmittag zu verbringen.
Doktor Monroe schien dagegen recht unberührt von den grausigen Anblicken und nahm sich ruhig und effizient einen Toten nach dem anderen für eine kurze Untersuchung vor. Sky fragte sich, was die Gerichtsmedizinerin im Laufe ihrer Dienstjahre schon alles zu Gesicht bekommen haben musste, um so eine Gelassenheit zu entwickeln. Ihr selbst machte der Anblick von grausam zugerichteten Leichen nach drei Jahren bei der Polizei zwar auch keine Probleme mehr, aber so ein Massengrab wie dieses hier war dennoch eine ziemliche Hausnummer und sie merkte, wie ihr all die Toten langsam aufs Gemüt schlugen. Daher hatte sie es Connor und Gabriel überlassen, die Fingerabdrücke der Opfer zu nehmen – soweit das noch möglich war – und sie patrouillierte stattdessen am Rande des Magnesiumlichtscheins. Auch wenn das Licht die meisten Geister fernhalten sollte, gab es immer mal wieder Neugierige, die sich aus den Tiefen des Untergrunds näher wagten. Die Lebensenergie von vier Menschen in ihrem Reich lockte sie an. Im Tunnel Richtung Süden hatte Sky schon einige helle Erscheinungen ausmachen können. Sie schienen stärker als Schemen zu sein, aber nicht so stark, dass sie sich näher herantrauten. Jedes Mal wenn Sky das M-Licht ihrer Taschenlampe auf sie gerichtet hatte, hatte es sie vertrieben.
Sky steckte Handy und Wasserflasche zurück in den Rucksack und machte sich auf, um den Norden erneut zu kontrollieren. Der Tunnel dort war bisher völlig leer geblieben.
»Alles in Ordnung?«, fragte Connor, als sie an ihm und Gabriel vorbeikam, die gerade die steifen Finger einer dürren Frau mit völlig verfilzten, hüftlangen, grauen Haaren auf den kleinen Fingerabdruckscanner drückten.
Opfer Zweiundvierzig.
Eine willkürliche Nummer, weil sie sie zufällig als Zweiundvierzigste aus dem Leichenhaufen gezogen hatten.
Sky atmete tief durch und tröstete sich mit der Hoffnung, dass sie der Frau mithilfe der Fingerabdrücke vielleicht wieder einen Namen geben konnten.
»Im Süden ist alles ruhig. Ich schaue noch mal im Norden nach dem Rechten.«
Sie lief an den Opfern Dreiundvierzig bis Achtundsiebzig vorbei und versuchte nicht darüber nachzudenken, wie die letzten Minuten im Leben dieser Menschen ausgesehen haben mussten.
Angst. Schmerz. Panik.
Diese Vorstellung war fürchterlich.
Komm schon. Konzentrier dich einfach nur auf deinen Job!
Sie erreichte den Rand des Lichtscheins und trat darüber hinaus. Nur ein paar Schritte, um besser in die Dunkelheit sehen zu können.
Still wartete sie, bis sich ihre Augen an die Finsternis gewöhnt hatten. Doch zu sehen gab es nichts.
Kein grauer Schimmer, der den meisten Geistern anhaftete und ihre Präsenz verriet.
Keine besonders tiefe Schwärze, die mächtige Geister annehmen konnten, um heimtückisch auf ihre Opfer zu lauern.
Sky wollte sich gerade abwenden, um Connor oder Gabriel abzulösen, damit auch sie mal eine kurze Pause machen konnten, da hörte sie es.
Jemand weinte.
Zuerst glaubte sie, sich verhört zu haben. Oder spielten ihre überreizten Nerven ihr nur einen üblen Streich?
Angespannt lauschte sie in die Dunkelheit.
Nein.
Da weinte wirklich jemand.
Ganz leise und ziemlich weit entfernt.
Und es klang wie das Weinen eines Kindes.
Kapitel 10
Sky blieb wie angewurzelt stehen und spürte, wie ihr Herz gegen ihre Rippen hämmerte.
Ein Kind? Hier im Untergrund?
Das war unmöglich.
Sie zog ihre Taschenlampe vom Gürtel und leuchtete in den Tunnel. Doch da war nichts, außer einem Seitengang, der in einiger Entfernung nach links vom Haupttunnel abzweigte. Dahinter verlor der Lichtkegel sich in der Dunkelheit.
»Con! Gabe!«
Sie waren ein eingespieltes Team und der Tonfall ihrer Stimme ließ die beiden nicht lange nachfragen, sondern sofort zu ihr eilen.
»Hast du was gesehen?« Gabriel trat neben sie und versuchte in der Finsternis irgendetwas zu erkennen.
»Nein. Aber ich hab etwas gehört.«
Gabriel und Connor