Der Fluch der Welt. Robert Heymann

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Der Fluch der Welt - Robert Heymann

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ohne weiteren Schaden abging, sagte: „Ach bitte sehr, es kann schon sein ... und komplimentierte Herrn Hinrichsen hinaus. Draussen begegnete er dem Martin Knesebeck, der eben das letzte Stück Schweinebraten verschlang. Herr Hinrichsen nahm von ihm Abschied, nicht ohne zu bemerken, er sei in Anbetracht der Opfer, die die Zeit verlangte, Vegetarier geworden.

      Dann waren Elschen und Martin Knesebeck allein. Martin Knesebeck zeigte sich über den Ausgang der Unterredung gar nicht besorgt, was Elschen ein bisschen verstimmte. Aber als der feldgraue Soldat seine Arme um den Nacken des jungen Mädchens legte, als er die krausen Haare küsste, die widerspenstig am Halsansatz standen, da war der kleine Unmut vergessen, nnd Elschen gelobte, dass Martin ihr Gatte werden würde, und wenn sich auch eine Welt dagegen verschwor.

      So ging denn Martin Knesebecks Urlaub langsam um. Viel zu schnell freilich für ihn und Elschen, denn wenn man sich so lange nicht gesehen hat, dann küsst man sich um so lieber, um so öfter und um so heisser, umsomehr, als die Küsse ohne Bezugschein verabfolgt werden dürfen und darum in ihrem Wert gestiegen sind.

      Elschen machte auch Besuch bei Frau Lehmann. Das war Martin Knesebecks Quartierwirtin. Er hatte bei der resoluten Frau, die sich und ihre vier Kinder nach dem Heldentode des Mannes mit Hilfe der Kriegsunterstützung und fleissiger Arbeit ohne Sorge durchbrachte, ein kleines Zimmerchen inne. Frau Lehmann arbeitete in der Munitionsfabrik und konnte sich deshalb nicht allzuviel um ihre Mieter bekümmern. Aber schon frühmorgens versorgte sie ihn zusammen mit ihren Kindern, die die freie Zeit ausser der Schule bei Verwandten zubrachten.

      Elschen kam an einem Sonntag, als Martin eben mit einigen Kameraden zusammen war, und brachte ihre Frage vor, ob denn Frau Lehmann auch für Martin Knesebeck genügend sorgen könnte.

      Die olle Lehmann lachte und stemmte die Fäuste in die Hüften:

      „Na, was denken Sie wohl, Fräulein Elschen? Ich werde meine Mieter doch nicht hungern lassen! Wissen Sie was? Wollen Sie sich überzeugen? Kommen Sie mal mit uns raus nach die Laubenkolonie ... morgen ist es zu spät, denn morgen ist die ganze Herrlichkeit zu Ende.“

      Elschen sah Frau Lehmann verständnislos an.

      „Laubenkolonie? Herrlichkeit?“

      „Nu ja doch! Setzen Sie mal schnell Ihren Hut auf und kommen Sie wieder rüber. Dann gehen wir raus! Eine Überraschung, Sie werden noch etliche Bekannte treffen! Nun machen Sie schon!“

      Elschen, neugierig wie alle Evastöchter, eilte schnell in die Wohnung der Eltern, zog sich an und kam wieder zu Frau Lehmann. Es war ein schöner, klarer Tag. In den Strassen der Stadt lag der Schnee festgefroren und knirschte bei jedem Schritt unter den Füssen.

      Frau Lehmann hatte ihre vier Kinder versammelt, und nun ging es hinaus nach der Laubenkolonie. Aus einem der kleinen Häuschen dampfte der Rauch. Als Frau Lehmann mit ihren Schutzbefohlenen ankam, da fand Elschen eine Versammlung von etwa neun Herrschaften. Alle im Feiertagsstaate, um ein rundes grosses grunzendes Etwas versammelt. Zärtlich kosende Hände glitten über eine borstige, aber hell und lieblich glänzende Schwarte, und nun erkannte Elschen, dass der Gegenstand all der Huldigungen ein fettes, grosses, wohlgenährtes Schwein war, das ahnungslos mit optimistischen Äuglein in die Welt blickte, die hier schon mehr als enge war.

      Und Frau Lehmann erklärte Elschen, dass dies das „Pensionsschwein“ sei, das Schwein, auf das zehn Erwachsene, vier Kinder und ein Feldsoldat Anspruch hätten.

      „Nu sehen Sie sich das Tier mal mit Verstand an, Fräulein Elschen, und dann sagen Sie im Ernst, ob wir in Deutschland am Verhungern sind!“

      „Nein wahrhaftig nicht“ prustete Elschen lachend los. Frau Lehmann versprach ihr, dass sie auch etwas von abhaben sollte, und dann traten sie vergnügt wieder den Heimweg an, während sich die übrigen „Pensionsmitglieder“ noch eine Stunde im Glanze der Speckschwarte und der kommenden Genüsse sonnten.

      Doch, wie gesagt, Martin Knesebecks Urlaub nahte seinem Ende. Die dunkle Stunde kam, in der Martin, vollbepackt, wieder am Bahnhof stand und Abschied nahm. Sein Hauptmann Franz Scholz befand sich schon wieder im Felde, diesmal auf dem Balkan, wo er dem Hauptquartier Mackensens zugeteilt war. Martin ging nach Russland. Elschens Augen standen voll Tränen. Vater Ohnesorg, ehrsamer Buchbindermeister, gab dem Soldaten gleichfalls das Geleite und ebenso seine Gattin. Der Alte sagte, er wolle in Sachen Elschens Verheiratung nicht aus wohlwollender Neutralität heraustreten, während Frau Ohnesorg eine ähnliche Beteuerung schon mit einer Miene begleitete, die etwa Herr Wilson in Amerika aufsetzte, wenn er in der linken Hand mit dem Palmenzweig fächelte und mit der rechten Hand eine Masseneinladung der Neutralen zum Kulturkrieg hinter dem Rücken barg.

      Kurz und gut, Elschen schwor Martin nochmals ganz heimlich, dass sie sein bleibe, tot oder lebendig. Vater Ohnesorg wischte sich eine Träne aus den Augen, Mutter Ohnesorg wickelte noch schnell eine gepökelte Gänsekeule aus dem Regenschirm, ohne den sie auch im Winter und bei Sonnenschein nicht ausging und steckte sie Martin Knesebeck zu.

      „Ohne Fleischkarte, brauchst dir keine Gewissensbisse zu machen. 14 Mark kostet hier das Pfund. Ich habe sie aus Mecklenburg geschickt bekommen ... billig ... aber ganz was Feines!“

      Da setzte sich der Zug in Bewegung. Dampf und Rauch verhinderten die Fernsicht. Elschen wedelte noch lange mit dem Taschentuch, aber Martin Knesebeck konnte das nicht mehr sehen, und Mutter Ohnesorg sagte:

      „Nu ist es genug, Elseken. Ein Stück Weltgeschichte ist abgetan, nu dreh die Seite um und fang ein neues Leben an.“

      Und auf Elschens fragenden Augenaufschlag erklärte Mudding, die Sache mit Martin sei ihr einfach zu unsicher, und sie dringe unbedingt darauf, dass Elschen den viel sicheren Herrn Hinrichsen nehme.

      Elschen aber erwiderte, das tue sie nie und nimmer, und wandte sich mit einem leidenschaftlichen Apell an den Vater. Der gute alte Buchbindermeister äugelte misstrauisch zu seiner Gattin herüber. Die sagte gewöhnlich in solchen Fällen nur: „Untersteh dich!“ Dabei zog sie das „U“ in die Länge wie eine Vierverbandsnote über Menschen und Völkerrechte — und Martin Knesebeck hatte nicht Unrecht, wenn er diese Bemerkung Frau Ohnesorg die „U-bootandrohung der Ollen“ nannte.

      Also Vater Ohnesorg hatte jedenfalls keine Traute, es auf diesen rücksichtslosen U-Boot-Krieg ankommen zu lassen, denn er machte einige Bemerkungen mit wenn und aber und siehmal, um sich schliesslich eine Zigarre anzuzünden und das Plädoyer seiner Gattin zu überlassen.

      Aber Elschen liess sich nicht überzeugen. Die Stimmung im Hause Ohnesorg wurde im Laufe des nächsten Tages immer weniger rosig. Frau Ohnesorg wollte Elschens Einwendungen nicht gelten lassen.

      „Mit der Liebe ist es wie mit den „Ententerichten“ sagte sie. „Da wird alles versprochen und nichts gehalten!“ Aber Elschen erwiderte, die Politik habe mit der Liebe nichts zu tun, und sie jedenfalls lasse sich in ihrer Bündnispflicht nicht irre machen, denn sie sei keine Ententeriche, sondern eine Deutsche. So gingen die Reden im Hause Ohnesorg hin und her. Der gute Buchbindermeister wurde zerstreut und band ein Werk über die vegetarische Ernährung Deutschlands in Schweinsleder, wofür er nichts bezahlt bekam.

      Elschen aber ging mit betrübten Sinnen umher. Eines Tages hörte sie mitten auf der Strasse, im argen Schneetreiben ihren Namen nennen. Sie sah sich um — nichts. Sie guckte in die Luft, dass ihr die weissen Flocken ins Stumpfnäschen stiebten — da erblickte sie einen Bollewagen, der dicht am Rande des Bürgersteiges hielt. Eine flotte Kutscherin in blauer Schürze kletterte eben behend von dem hohen Bock und begann lachend den umherstehenden Frauen aus dem viereckigen Wagen Milch zu schenken, und die Milchkarten einzuheimsen, wobei es nicht immer ohne kleine Meinungsverschiedenheiten abging. Eine Kundin meinte, ob denn die Bollekühe endlich mehr Milch

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