Der Fluch der Welt. Robert Heymann
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Читать онлайн книгу Der Fluch der Welt - Robert Heymann страница 7
Sie setzte sich auf einen Baumstumpf. Rurk stand neben ihr. Rings um sie wuchs das gewaltige Gebirgspanorama empor. Ein Summen und Surren war in der Luft.
„Sie — ... Sie sind ... nicht glücklich?“ fragte Johannes Rurk hastig, fast atemlos. Ein Aufhorchen war in ihm. Violets Blick drängte nach innen.
„Glücklich ... nein ... ich bin es nicht. Kann ein junges Mädchen, dessen Sinn nicht bloss nach Tennis- und Schlittschuhpartien steht, glücklich sein? Ich habe so oft darüber nachgedacht. Ich möchte noch studieren. Um in dieser kommenden, gewaltigen Zeit etwas sein zu können. Ich meine, anderen. Um etwas auszufüllen, irgend eine Notwendigkeit zu ersetzen ... ein Leid, einen Schmerz zu lindern ... Jemandem etwas zu sein ... mit ganzer Seele ... das ist ja die Glückseligkeit der Frau.“
Rurk war sehr bleich geworden.
„Sehen Sie, wenn sie von einer sozialen Notwendigkeit sprechen würden, könnte ich schweigen. Dann hätten Sie vielleicht Recht. Trotzdem — man soll solchen Schlagworten auf den Grund gehen. Da bleibt dann eine sehr schlimme Erscheinung übrig. Gibt es denn einen heiligeren Beruf für eine Frau, als Geliebte und Mutter zu sein? War die Frau nicht ewig der Inbegriff heiliger Vorstellungen, in denen sich alle hohen geistigen Erscheinungen glorifizieren? Ohne sie wären wir alle so arm an Schönheit, Grösse und Wünschen. So viel Schätze bergen sich in des Lebens Schoss, Fräulein von Königsmark und Sie sagen, Sie hätten nichts auszufüllen im Leben? Sie?“
Er hatte sich in Hitze geredet. Über sie gebeugt sprach er. Seine Augen waren, hell seine Rede Glockenschlag. Sein Herz ging hörbar laut und seine Brust dehnte sich ...
Eine feine Röte spannte sich um Violets Wangen. Rurk hielt erschreckt inne und sah auf. Auch Violet blickte empor.
Da wurde Doktor Rurk purpurrot und ging rasch weiter. Das junge Mädchen folgte. Aber sie sprach fast nichts mehr.
Erkenntnisse.
Rurk hielt beide Arme von sich und fasste den Freund fest mit den schmalen Fingern.
„Siegurt ... Siegurt ... ich bin glücklich!“
Der bayrische Infantrieleutnant lächelte ein wenig. Seine blauen Augen blickten Rurk treuherzig an.
„Ja. Du liebst sie und sie liebt dich wieder!“
„O Gott ... welch ein Glück ... welch ein Verhängnis ...“
Er zog ihn mit sich über die Wiesen, bis zu dem kleinen Häuschen am Waldessaume, wo sie wohnten. Dort warf er die Mütze in die Ecke und rannte auf und nieder.
„Wie darf ich diesen Engel in das Verhängnis meiner Armut ziehen? Und ich liebe sie! Liebte sie seit der ersten Stunde, in der ich sie gesehen! Heute, gestern, jeden Tag, jede Stunde kam es mir zum Bewusstsein. O Siegurt, was soll ich tun?“
Johannes liess sich in einem Sessel sinken und stützte sein Haupt in die Hand. Bis jetzt hatte er sich zurückgehalten. Nun bebte sein Körper unter der Kraft dieser entfesselten Leidenschaft, die an allen Ketten des Verstandes riss. Siegurt Holm sah erschreckt diesen ungewohnten Ausbruch eines Temperaments, das sein Freund stets angstvoll vor der Aussenwelt verborgen gehalten hatte.
„Wenn du sie liebst ... und ihrer ganz sicher bist ... und ich glaube, sie ist eine aussergewöhnliche Frau ... keine von denen, deren Liebe ein Spielzeug ist ... dann ... zum Donner, ich verstehe dich nicht! Wie kann man so verzweifelt tun? Lacht dir das Glück denn nicht entgegen?“
Rurk sah auf.
„Du verstehst mich nicht, Siegurt. Wenn ich nun vor sie hintrete, so wie ich bin ... als Doktor Johannes Rurk ... der seine Karriere als Philosoph aufgegeben hat, weil er nicht in irgend einer Lehranstalt versimpeln wollte, brotlos ... mit keinem anderen Privileg als meiner Freiheit ... und ich böte ihr dies ... also nichts ... nur mich ...“
„Das ist alles, was sie sich wünschen wird.“
„Nun wohl. Sie ist ein Mädchen mit hohem Sinn. Aber dann, Siegurt, was dann? Ewige Brautschaft?“
„Wer steht dir im Weg? Wer hindert dich, sie zum Weibe zu begehren?“
„Du sprichst unlogisch. Wie kann sie das aufnehmen, was ich nur mit Mühe trage? Die Not ... die graue, unerbittliche Not, die die Schönheit schmelzen lässt und das Mark aus den Knochen saugt?“
Siegurt schwieg. Rurk aber fuhr fort:
„Sie weiss es ja nicht. Sie wird sich wohl denken, dass ich arm sei. Aber begreifen ... das versteht man erst, wenn man es selbst durchlebt ... die trostlosen Nächte ohne Wärme, die düsteren Tage ohne Hoffnungsstrahl ... und die öde monotone Gleichgültigkeit der Verhältnisse ... wie langsam die innere Harmonie entgleist ... wie alles abstirbt, was gross ist ...“
„Ich höre dich zum erstenmal solchen Ton anschlagen! Hast du nicht stets den Kampf gelobt? Mich, den Kleinmütigen gescholten, wenn ich verzweifeln wollte? Den letzten Groschen mit mir geteilt, weil du ihn — so sagtest du — übrig gehabt ... und gerade du ... der gross und stark geworden ist in Not und Kampf und Ringen ... gerade du sprichst so?“
„Ja, ich. Allein kann man den Kampf bestehen. Allein ist man stark. Es ist paradox: Aber gegen das Leben ist die Einzelnmacht die stärkste. Man ist rücksichtslos, mutig, schlau, verwegen. Man geht singend in diesen Kampf und ficht ohne Vorsicht. Aber zu Zweien ... mein Freund ... da ist die Sorge ... die graue, matte Sorge mit der schrecklichen Alltagsphysiognomie ... und langt mit dürren Spindelfingern an der Liebe herum ... greift dir immer ins Herz ... stündlich ... bis da etwas abstirbt! ... Zu Zweien ist man schwach, wird man schwach. Stelle dir vor: dieses blütenjunge und ahnungslose Leben hineingesetzt in den Schmutz der Bohéme. Denn das ist es schon, wenn wir es auch nicht sehen, nicht sehen wollen. Denke an deinen Kollegen Eichen. Er war stark und kühn, bis er heiratete. Zwei Menschen in einem Atelier. Alle die peinlichen Kleinigkeiten zusammengedrängt, auf winzigen Raum. Ein ewiges Bild der Unschönheit. Wie sie sich selbst im Wege standen! Und dann ... als das Kind kam ... die Wäsche im Atelier ... die kranke Frau und er an der Staffelei ... die Kunst in schrecklichem Ringen gegen die Notwendigkeit ... dann kam die hämische Verzweiflung und wischte ihm alle hochfliegenden Pläne von der Stirn, und er ward klein, verzagt, ärmer denn je ... ging unter ... alle drei gingen sie unter ... das Leben nahm sie unter die stahlharten Räder und ging über sie hinweg ... weil sie sich liebten ... weil sie Rücksichten übten gegen sich und immer nur gegen sich ... nein, Freund! Ich sehe, sehe! Nichts kann ich Violet bieten. Weil ich Idealist bin, siehst du ... gerade darum ... darum brauche ich Schönheit ... und die würde ersterben ... langsam, aber sicher ... in jeder Nacht würde ein Stückchen absterben ...“
Er hielt erschöpft inne. Siegurt stand bleich am Fenster und murmelte:
„Du hast recht ... du hast recht ... man verkauft sich dann — und ... und muss riesenstark sein, mein Gott, um nicht niederzusinken im Schlamm ...“
Rurk nickte.
„Und ich wäre der Mörder. An meiner inneren Kraft und an des Mädchens Seele. Sie fasst es nicht. Sie würde mir folgen in das Chaos hinein und dann ... langsam sich verzehren in Gram und Qual und neben mir verblühen und verbleichen, bis Blatt um Blatt ihrer Schönheit und Jugend der Wind verwehte ... Nein!“
Er schrie es hinaus, dass es den Föhnsturm übertönte, der plötzlich eingesetzt hatte und an den Fenstern rüttelte.
„Nein!