Die Abenteuer des Huckleberry Finn. Mark Twain

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Die Abenteuer des Huckleberry Finn - Mark Twain Reclam Taschenbuch

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er die Gelegenheit kriegt.

      Der Alte schickte mich zum Boot, die Sachen holen, die er bekommen hatte. Es war ein Fünfpfundsack mit Maismehl, eine Speckseite, Munition, ein Viergallonenkrug voll Whisky, ein altes Buch und zwei Zeitungen zum Zusammenrollen für Ladepfropfen, und außerdem etwas Werg. Ich schleppte ne Ladung rauf, bin dann wieder runter und hab mich in den Bug vom Boot gesetzt, um auszuruhn. Ich ließ mir alles durch den Kopf gehn und hab beschlossen, wenn ich abhaue, die Flinte und ein paar Angelleinen mitgehn zu lassen und mich dann in den Wald zu verdrücken. An einem Ort, dacht ich mir, will ich nicht bleiben, sondern ich zieh durchs Land, meistens bei Nacht, halt mich mit Jagen und Fischen am Leben und versuch so weit wegzukommen, dass mich weder der Alte noch die Witwe jemals wiederfinden. Und ich beschloss, mich noch diese Nacht rauszusägen und abzuhauen, wenn Pap genug besoffen war, und ich hab fest damit gerechnet, dass er’s sein wird. Mein Kopf war so voll von all dem, dass ich gar nicht gemerkt hab, wie lang ich so dasaß, bis der Alte mich angebrüllt hat und fragte, ob ich eingeschlafen oder ersoffen bin.

      Ich brachte die Sachen alle in die Hütte rauf, und da war’s auch fast dunkel. Während ich uns Abendessen kochte, hat der Alte ein, zwei Schluck runtergekippt und kam dabei so in Stimmung, dass er wieder losgeflucht hat. Er war schon drüben im Dorf besoffen gewesen und hatte die ganze Nacht in der Gosse gelegen – und der hat verboten ausgesehn! Wie wenn er Adam wär, wirklich, so war der mit Dreck vollgeschmiert! Und jedesmal wenn sein Schnaps zu wirken anfing, hat er beinah immer auf die Regierung losgeschimpft. Und diesmal auch:

      »Das nennt sich ne Regierung! – Also, sieh dir man bloß an, was das für ne Regierung ist! Bringt’s dies Gericht doch glatt fertig, nem Mann seinen Sohn wegzunehmen, sein einzigen Sohn, den er mit all der Mühe, all den Sorgen und Ängsten und Kosten großgezogen hat. Und wenn der Mann endlich sein Sohn mal großgezogen hat und der soweit ist, dass er was arbeiten kann und für sein Vater was tun, damit der ’n bisschen Ruhe kriegt, da kommt doch das Gericht und will ihm ans Leder. Und das nennen die Regierung! Aber das is noch nichmal alles! Hat doch der alte Richter Thatcher das Gericht auch noch auf seiner Seite, das ihm hilft, dass ich nicht an mein Eigentum rankomm. Zu dem ist das Gericht imstande! Behandelt nen mehr als sechstausend Dollar schweren Mann so, dass es ihn in ’n Rattenloch von Hütte reinquetscht und noch dazu in Kleidern rumrennen lässt, die man nichmal nem Schwein nachwerfen würd! Das nennen die Regierung! Wie soll man bei so ner Regierung zu seim Recht kommen, he? Manchmal hab ich verdammt Lust, dies Land da ein für allemal im Stich zu lassen. Jawoll, und ich hab’s denen gesagt; mitten ins Gesicht hab ich’s dem alten Thatcher gesagt, ’n Haufen von denen hat’s gehört und könn’s bezeugen, was ich gesagt hab. Für zwei Cent, sag ich, hau ich ab aus diesem beschissnen Land und komm nie mehr in seine Näh. Das sin meine Worte gewesen, genau! Seht euch mein Hut an, sag ich – wenn ihr das noch ’n Hut nennt – aber der Deckel steht schon nach oben, und der Rest hängt runter, dass er mir unters Kinn reicht, und dann ist’s eigentlich überhaupt kein Hut mehr, sondern grad wie wenn mein Kopf durch ’n Stück Ofenrohr raufgeschoben ist. Seht euch den Hut an, sag ich, – dass ich so ’n Hut tragen muss – ich, einer vonnen reichsten Männern hier im Ort, wenn ich bloß mal zu meim Recht kam!

      Oho! – ne wundervolle Regierung ist das, wirklich! Also hör mal! Kommt da doch ’n freier Nigger an, aus Ohio; ein Mulatt, beinah so weiß wie ’n Weißer. Hat auch das weißeste Hemd an, das es gibt; und nen blitzblanken Hut; und nich einer im Dorf hat so schöne Kleider, wie der welche anhat; und ne goldne Uhr mit Kette hat der, und nen Spazierstock mit Silberknauf – dieser grässlichste alte grauhaarige Nabob im ganzen Staat. Und was glaubste? Die sagen, der wär ’n Prfessor in nem College und könnt allerhand Sprachen und wüsst alles. Und das schlimmste kommt noch! Die sagen, der könnt wählen, wenn er bei sich zu Haus ist. Also, da hat’s bei mir ausgesetzt! Wie weit isses bloß mit dem Land gekommen! denk ich. Wahltag isses grad, und ich will grad selber wählen gehn, wenn ich nich zu besoffen gewesen wär, um hinzukommen; aber als se mir erzählt ham, ’s gäb nen Staat in diesem Land, wo se den Nigger da wählen lassen, da isses mir vergangen. Nie mehr geh ich wieder wählen, sag ich. Das sin meine Worte gewesen, genau; alle haben’s gehört; soll doch von mir aus das Land da krepieren – wählen geh ich nie mehr in meim Leben. Und dann noch die unverschämte Art von dem Nigger da – wär der mir doch glatt nich ausm Weg gegangen, wenn ich ihn nich weggschubst hätt. Sag ich zu ’n Leuten, wieso wird dieser Nigger nich auf ne Auktion gebracht und verkauft, he? – das will ich mal wissen! Und was glaubste, ham die gesagt? Also, die ham gesagt, dass er erst verkauft werden kann, wenn er sechs Monat hier im Staat ist, und so lang sei der noch nich hier. Da hast du’s – so geht’s bei uns zu! Das nennen die Regierung, wo ’n freien Nigger nich verkaufen kann, bevor der nich sechs Monat hier im Staat ist. Da is ne Regierung, die sich selber Regierung nennt, und so tut, wie wenn se ne Regierung wär, und sich einbildet, ne Regierung zu sein, und doch muss die geschlagne sechs Monat lang stocksteif zusehn, bevor se so nen Rumschleicher und Dieb, so nen weißbefrackten Teufel von freiem Nigger sich greifen kann, und –«

      Pap war so in Fahrt, dass er gar nicht mehr gemerkt hat, wo ihn seine alten wackligen Beine hintrugen, und so ist er kopfüber über das Fass mit eingepökeltem Schweinefleisch gefallen und hat sich beide Schienbeine aufgeschürft, und seine Rede ging in nem einzigen wüsten Gefluche unter – auf den Nigger vor allem und die Regierung, obwohl auch das Fass ab und zu was abgekriegt hat. Er ist ganz schön in der Hütte rumgehopst, erst aufm einen Bein und dann aufm andern, und hielt sich erst das eine Schienbein und dann ’s andre, bis er auf einmal mit dem linken Fuß ausholt und dem Fass nen Mordstritt verpasst. Aber das war nicht grad klug, weil’s der Stiefel war, an dem vorne zwei Zehen rausguckten; und da ist er in ein Geheul ausgebrochen, dass einem die Haare zu Berge standen, und er warf sich in den Dreck und wälzte sich und hielt sich die Zehen; und die Flüche, die er jetzt losließ, haben alles in den Schatten gestellt, was ihm bis dahin über die Lippen gekommen war. Das hat er hinterher selber gesagt. Den alten Sowberry Hagan in seinen besten Tagen hätt er noch gehört, und er prahlte, sogar den hätt er noch abgehängt; aber das war vielleicht doch zu dick aufgetragen, glaub ich.

      Nach dem Abendessen hat sich Pap den Krug gelangt und meinte, es wär genug drin für zwei Räusche und ein Delirium tremens. Das war immer sein Stichwort. In einer Stunde war er vermutlich stockbesoffen, und dann wollt ich ihm den Schlüssel stehlen oder mich raussägen, eins von beiden. Er soff und soff, bis er irgendwann auf seine Decken runtergesackt ist; aber ich hatte kein Glück. Er schlief nicht fest ein, er war so unruhig. Er stöhnte und ächzte und warf sich noch lang von einer Seite auf die andre. Und irgendwann wurd ich so müde, dass ich meine Augen beim besten Willen nicht mehr offenhalten konnte, und noch eh ich wusste, was ich eigentlich tun wollte, war ich tief eingeschlafen, und die Kerze brannte weiter.

      Ich weiß nicht, wie lang ich so geschlafen habe, aber plötzlich hör ich einen fürchterlichen Schrei und fahr hoch. Pap steht da, mit wildem Blick, hopst rum und brüllt was von Schlangen. Sie wollen ihm an den Beinen raufkriechen, sagt er; und dann macht er nen Satz und kreischt, eine hätt ihn in die Backe gebissen, aber ich hab nirgendwo Schlangen gesehn. Dann rennt er durch die Hütte, immer im Kreis rum, und brüllt: »Nimm se weg! Nimm se weg! Sie beißt mich in Hals!« Ich hab nie wieder einen Menschen mit so wildem Blick gesehn. Und dann klappt er zusammen und fällt japsend hin; und unglaublich schnell wälzt er sich über und über, stößt alles weg, schlägt um sich und fuchtelt in der Luft rum und schreit und jammert, die Teufel wollten ihn packen. Er war jetzt erschöpft und lag ne Weile still und stöhnte. Dann lag er noch stiller da und gab keinen Laut mehr von sich. Ich konnte die Eulen und die Wölfe im Wald draußen hören, und es kam mir fürchterlich still vor. Er lag in der Ecke drüben. Nach ner Weile richtet er sich wieder halb auf und lauscht, den Kopf auf eine Seite geneigt. Ganz leise sagt er:

      »Trapp – trapp – trapp; das sind die Toten; trapp – trapp – trapp; sie kommen mich holen; aber ich will nich mit – oh, da sind se! Fasst mich nich an – nein! Hände weg! – sie sind kalt; lasst mich doch – oh, lasst nen armen Teufel doch in Ruh!«

      Dann lässt er sich auf alle viere fallen, kriecht weg und bettelt, sie sollen ihn in Ruh

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