Shirley (Deutsche Ausgabe). Charlotte Bronte
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Was den zweiten, jetzt im Salon von Mr. Yorke gegenwärtigen Gast betraf, so existierte zwischen diesem und seinem Wirt eine doppelte Antipathie, die der Natur und die der Umstände. Der Freidenker hasste den Formalisten, der Freund der Freiheit verabscheute den Verehrer der Disziplin. Überdies hieß es auch noch, dass sie in früherer Zeit Nebenbuhler bei derselben Dame gewesen seien.
Mr. Yorke war als junger Mann vor allem wegen seiner Vorliebe für aufgeweckte und muntere Frauen bekannt gewesen. Ein auffallendes Äußeres und Benehmen, ein wahrhafter Witz und eine beredte Zunge schienen ihn besonders anzuziehen. Doch machte er keiner von all diesen glänzenden Schönen, deren Gesellschaft er suchte, ernsthafte Anträge und fiel auf einmal in ernsthafte Liebe und eifrige Werbung für ein Mädchen, das der vollständige Kontrast von allen denen war, die er bis jetzt bemerkt hatte, ein Mädchen mit einem Madonnengesicht, ein Mädchen wie lebender Marmor, die personifizierte Stille. Es tat nichts, dass, wenn er mit ihr sprach, sie bloß mit einzelnen Silben antwortete; nichts, dass seine Seufzer ungehört schienen, dass seine Blicke nicht erwidert wurden, dass sie nie auf seine Ansichten einging, selten bei seinen Scherzen lachte, ihm keine Achtung und Aufmerksamkeit zeigte; nichts, dass sie das Entgegengesetzte von allem Weiblichen schien, von dem man wusste, dass er es je in seinem Leben bewundert habe. Für ihn war an Mary Cave alles vollkommen, weil er sie aus irgendeinem Grund – denn er hatte zweifellos einen Grund – liebte.
Mr. Helstone, der damals Hilfsgeistlicher von Briarfield war, liebte Mary auch – oder bewarb sich wenigstens um sie. Verschiedene andere bewunderten sie, denn sie war schön wie ein Engel auf einem Denkmal, aber der Geistliche wurde wegen seines Amtes vorgezogen, weil dieses Amt ihn wahrscheinlich mit einer Art von Talmi-Glanz umgab, der beim Fortschreiten zu einer Heirat notwendig war, und den Miss Cave bei keinem der übrigen Wollhändler, ihren Anbetern, vorfand. Mr. Helstone besaß weder Mr. Yorkes verzehrende Leidenschaft für sie, noch gab er vor, sie zu besitzen. Er zeigte nicht die demütige Verehrung, welche die meisten ihrer Anbeter zu unterjochen schien. Anders als die Übrigen sah er sie eher so, wie sie wirklich war, und war folglich mehr Herr über sie und sich selbst. Sie nahm ihn auf sein erstes Ansuchen an, und sie wurden vermählt.
Die Natur hatte nie die Absicht gehabt, aus Mr. Helstone einen guten Ehemann, besonders für eine sanfte Frau, zu machen. Er glaubte, solange eine Frau still sei, verlangte sie nichts und ihr fehle nichts. Wenn sie sich nicht über Einsamkeit beklagte, konnte die Einsamkeit, so sehr sie auch andauerte, ihr nicht unangenehm sein. Wenn sie nicht sprach und sich vordrängte, eine Vorliebe für dieses und eine Abneigung gegen jenes ausdrückte, besaß sie weder Vorliebe noch Abneigung, und es war unnötig, ihren Geschmack zu befragen. Er erhob keinen Anspruch darauf, Frauen zu verstehen oder sie mit Männern zu vergleichen.
Sie gehörten in eine verschiedene, wahrscheinlich geringere Ordnung der Existenzen. Eine Frau konnte nicht ihres Mannes Gefährtin, noch weniger seine Vertraute, am wenigsten seine Stütze sein. Seine Frau war nach ein bis zwei Jahren in keiner Weise für ihn von großer Wichtigkeit und als sie eines Tages von ihm und dem Leben Abschied nahm, plötzlich, wie er glaubte – denn er hatte ihr Kränkerwerden fast gar nicht bemerkt, – wie andere jedoch glaubten, nach und nach, und in dem Ehebett nur noch eine immer noch schön gebildete Form aus Staub lag, aber kalt und weiß: so fühlte er sein Beraubtsein – wer mag sagen, wie wenig? Aber doch vielleicht mehr, als er es zu bemerken schien, denn er war kein Mann, dem das Leid leicht Tränen abpresste.
Seine trockenen Augen und seine einfache Trauer skandalisierten einen alten Verehrer und ebenso auch eine weibliche Dienerin, die Mrs. Helstone in ihrer Krankheit beigestanden und dabei vielleicht die Gelegenheit gehabt hatte, mehr von dem Wesen der verstorbenen Frau und ihrer Fähigkeit, zu fühlen und zu lieben, kennenzulernen, als deren Gatte selbst. Sie plauderten zusammen über die Verstorbene, erzählten Anekdoten mit Ausschmückungen wegen ihrer auszehrenden Krankheit und deren wahrer oder vermeintlicher Ursache, kurz, sie reizten einander gegenseitig zum Unwillen gegen den harten, kleinen Mann auf, der in einem benachbarten Zimmer über Papieren saß und nicht wusste, welcher Vorwürfe Gegenstand er war.
Mrs. Helstone war kaum unter der Erde, als sich in der Nachbarschaft das Gerücht verbreitete, sie sei an gebrochenem Herzen gestorben. Dieses steigerte sich schnell zu Mitteilungen über unfreundlichen Umgang und endlich über Einzelheiten der harten Behandlung ihres Mannes – Mitteilungen, die völlig unwahr, aber darum nicht minder eifrig aufgenommen wurden. Mr. Yorke vernahm sie auch und glaubte ihnen zum Teil. Schon vorher war er seinem glücklichen Nebenbuhler nicht freundlich gesinnt gewesen. Obgleich er jetzt selbst verheiratet und mit einer Frau verbunden war, die in allen Beziehungen das genaue Gegenteil von Mary Carve war, konnte er doch diese große, fehlgeschlagene Hoffnung seines Lebens nicht vergessen, und als er hörte, dass das, was für ihn so kostbar gewesen war, von einem anderen vernachlässigt, vielleicht sogar missbraucht worden war, entstand in ihm gegen diesen anderen ein tiefer und bitterer Widerwille.
Die Beschaffenheit und Größe dieses Widerwillens kannte Mr. Helstone nur zur Hälfte. Er wusste weder, wie sehr Yorke Mary Carve geliebt hatte und was er bei deren Verlust gefühlt hatte, noch kannte er die Verleumdungen in Bezug auf seine Behandlung gegen sie, die jedermann in der Nachbarschaft vertraut waren, nur nicht ihm. Er glaubte, nur politische und religiöse Verschiedenheiten trennten ihn und Mr. Yorke. Hätte er gewusst, wie die Sache wirklich stand, würde er schwerlich durch irgendein Zureden dazu gebracht worden sein, die Schwelle seines ehemaligen Nebenbuhlers zu überschreiten.
*
Mr. Yorke setzte seinen Vortrag an Robert Moore nicht weiter fort. Die Unterhaltung drehte sich bald wieder um allgemeinere Themen, doch noch immer in etwas streitbaren Ton. Der unruhige Zustand des Landes und die verschiedenen, vor Kurzem an Fabrikeigentum verübten Plünderungen boten hinreichenden Stoff zu Meinungsverschiedenheiten, da jeder der drei Anwesenden andere Ansichten über diese Themen hatte. Mr. Helstone betrachtete die Fabrikbesitzer als geschädigte Opfer und hielt die Arbeiter für unvernünftig. Er verurteilte heftig den weitverbreiteten Geist des Hasses gegen die gesetzmäßigen Obrigkeiten, die anwachsende Abneigung, Übel, die er für unvermeidlich hielt, geduldig zu ertragen. Die Heilmittel aber, die er verschrieb, waren kräftiges Einmischen der Regierung, genaue Überwachung seitens der Obrigkeit und, wo nötig, schnelle militärische Maßnahmen.
Mr. Yorke wünschte zu wissen, ob diese Einmischung, Überwachung und Hilfe diejenigen nähren könne, welche hungerten, und denen Arbeit gebe, denen sie fehle und die kein Mensch einstellen wolle. Er leugnete die Idee unvermeidlicher Übel; er sagte, öffentliche Geduld sei ein Kamel, auf dessen Rücken bereits das letzte Bisschen, das es tragen könne, gelegt worden sei und Widerstand folglich zur Pflicht werde. Er betrachtete den weitverbreiteten Geist der Abneigung gegen die öffentlichen Behörden als das vielversprechende Zeichen der Zeit. Er gestand zu, dass die Besitzenden allerdings sehr benachteiligt wären, ihre Hauptlasten seien aber auf sie durch eine »verdorbene, schlechte und blutige« Regierung (dies waren Mr. Yorkes Worte) gehäuft worden. Tollköpfe wie Pitt, Dämonen wie Castlereagh, erbärmliche Idioten wie Perceval wären die Tyrannen, der Fluch, die Verderber ihres Handels. Ihre törichte Beharrlichkeit in einem nicht zu rechtfertigenden, hoffnungslosen, zugrunde richtenden Krieg habe die Nation zu dem gegenwärtigen Schritt geführt. Ihre ungeheuren, erdrückenden Steuern, die schändlichen Kabinettsbefehle, deren Verursacher in den Anklagestand und aufs Schafott gebracht zu werden verdienten, seien es, die wie ein Mühlstein an Englands Nacken hingen.
»Aber wozu«, fragte er dann, »half nun das Recht, zu sprechen? Welche Hoffnung gab es, dass Vernunft gehört werde in einem Land, das von Königen, Priestern und Adel tyrannisiert werde, wo ein Verrückter dem Namen nach Monarch, ein sittenloser Schwelger der wahre Regent, wo eine solche Beleidigung gegen den gesunden Menschenverstand wie