Shirley (Deutsche Ausgabe). Charlotte Bronte
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Читать онлайн книгу Shirley (Deutsche Ausgabe) - Charlotte Bronte страница 13
Was die geringe Vorstellungskraft seines Geistes anbelangte, so konnte man dies kaum einen Fehler nennen. Ein feines Ohr für Musik und ein sicheres Auge für Farbe und Gestalt gewährten ihm die Fähigkeit des Geschmacks, und wer fragt nach Fantasie? Wer hält sie nicht für eine eher gefährliche, verstandeslose Eigenschaft, zur Schwäche neigend, vielleicht an Wahnsinn streifend, eher eine Krankheit des Geistes, als eine Gabe desselben?
Vielleicht denken alle so, außer denen, die sie besitzen, oder vielmehr, die von ihr besessen werden. Wenn man sie sprechen hört, sollte man glauben, dass ihre Herzen kalt sein würden, wenn dieses Elixier sie nicht durchströmte, dass ihre Augen dunkel sein würden, wenn diese Flamme ihr Sehvermögen nicht stärkte, dass sie einsam sein würden, wenn dieser seltene Gefährte sie verlasse. Ihr solltet glauben, dass sie eine frohe Hoffnung dem Lenz, einen zarten Reiz dem Sommer, eine ruhige Freude dem Herbst, einen Trost dem Winter verleihe, die ihr nicht empfindet. Aber alles ist am Ende Täuschung. Die Fanatiker hängen aber an ihrem Traum und gäben ihn für alles Gold der Welt nicht auf.
Da Mr. Yorke selbst keine poetische Fantasie besaß, hielt er sie auch bei anderen für überflüssig. Maler und Musiker konnte er schätzen und oft sogar ermutigen, weil er den Resultaten ihrer Kunst Geschmack abgewinnen konnte. Er konnte den Reiz eines schönen Gemäldes sehen und das Vergnügen guter Musik fühlen, aber ein ruhiger Dichter, welch eine Kraft in seiner Brust auch wütete, welch ein Feuer auch darin glühte, solange er nicht seinen Mann im Kontor oder hinter dem Ladentisch hatte stehen können, mochte er vor Hiram Yorkes Augen verachtet leben und ebenso sterben.
Da es nun aber viele Hiram Yorkes in der Welt gibt, ist es sehr gut, dass der wahre Dichter, so ruhig er auch äußerlich scheinen mag, doch oft einen rachsüchtigen Geist unter seiner Friedfertigkeit verbirgt und voll Verschlagenheit in seiner Demut ist und die ganze Statur derer messen kann, die auf ihn herabsehen, und das Gewicht und den Wert der Bestrebungen ergründen, wegen deren Nichtergreifung sie ihn missachten. Es ist ein Glück, dass er seinen eigenen Segen, seine eigene Gesellschaft mit seiner großen Freundin, seiner Gottheit, der Natur, haben kann, gänzlich unabhängig von denen, die wenig Vergnügen an ihm finden und an denen er selbst keines findet. Es ist billig, dass, während die Welt und die Verhältnisse ihm oft eine kalte, dunkle, nachlässige Seite zukehrt, er imstande ist, eine festliche Herrlichkeit und einen erwärmenden Strahl in seiner Brust zu erhalten, die ihm alles herrlich und genial gestalten, während Fremde vielleicht sein Dasein für einen Polarwinter halten, den nie die Sonne erheitert. Der wahre Dichter ist niemand, den man bedauern muss, und er ist imstande, bei all seiner Sorge zu lachen, während ein fehlgeleiteter Bedauernder über sein Elend weint. Eben wenn der Nützlichkeitsmensch zu Gericht über ihn sitzt und ihn und seine Kunst für nutzlos erklärt, hört er dieses Urteil mit solch derben Gelächter an, mit solch tiefer, voller und schonungsloser Verachtung für den unglückseligen Philister, der es ausspricht, dass er vielmehr darüber zu tadeln als zu trösten ist. Solche Betrachtungen stellte aber Mr. Yorke nicht an, und jetzt haben wir es mit diesem zu tun.
Ich habe dir, lieber Leser, einige seiner Fehler genannt; was nun seine guten Seiten betrifft, so war er einer der achtbarsten und gescheitesten Leute in Yorkshire, sodass selbst die, welche ihn nicht leiden konnten, ihn doch achten mussten. Von den Armen wurde er sehr geliebt, denn er war freundlich und väterlich zu ihnen. Gegen seine Arbeiter war er fürsorglich und herzlich. Wenn er sie aus einer Beschäftigung entließ, versuchte er sie stets anderswo anzustellen, oder, wenn das unmöglich war, sie mit ihren Familien in eine andere Gegend zu übersiedeln, wo wahrscheinlich Arbeit zu finden war. Es muss auch bemerkt werden, dass, wenn, wie es manchmal vorfiel, eine Person unter ihnen Zeichen von Insubordination gezeigt hatte, Yorke, der, gleich vielen, die nicht überwacht sein wollen, es doch recht gut verstand, kräftig selbst zu überwachen, das Geheimnis besaß, Rebellion im Keim zu ersticken und sie wie Unkraut auszurotten, sodass sie sich innerhalb seiner Autorität nie verbreitete oder entwickelte. Da nun aber seine eigenen Angelegenheiten in einem so glücklichem Zustand waren, fühlte er sich selbst frei, mit der größten Strenge von denen zu sprechen, die in einer anderen Lage als der seinen waren, und was sich in ihrer Stellung unerfreuliches vorfand, ihnen gänzlich selbst als Schuld anzurechnen, und sich dadurch jedoch von der Seite der Besitzenden auf die Seite der Arbeiter zu stellen.
Mr. Yorkes Familie war die erste und älteste in diesem Landstrich, und er, obgleich nicht der vermögendste, doch der einflussreichste Mann. Seine Erziehung war gut gewesen. In seiner Jugend, vor der französischen Revolution, war er auf den Kontinent gereist. Er besaß vollkommene Kenntnis der französischen und italienischen Sprache. Er hatte zwei Jahre in Italien verbracht, und während dieser Zeit hatte er viele gute Gemälde und geschmackvolle Seltenheiten gesammelt, mit welchen er sein Haus jetzt schmückte. Sein Benehmen war, sobald er wollte, das des vollendetsten Gentleman der alten Schule, seine Unterhaltung, wenn er gefallen wollte, außerordentlich interessant und originell, und wenn er sich gewöhnlich im Dialekt von Yorkshire ausdrückte, geschah es, weil er es gerade genauso wollte und sein angeborenes Dorisch einem verfeinerten Wörterbuch vorzog. »Ein Yorkshirer Brummen«, versicherte er, »sei um so viel besser als eines Londoner Stadtkindes Stottern, wie eines Bullen Brüllen besser als einer Ratte Quieken.«
Mr. Yorke kannte jedermann, und jedermann im Umkreis von vier Meilen kannte ihn, aber vertraute Bekanntschaften hatte er nur sehr wenige. Da er selbst sehr originell war, hatte er wenig Geschmack am Gewöhnlichen. Ein derber, rauer Charakter, hoch oder niedrig, fand stets Anerkennung bei ihm; eine überfeinerte, unvernünftige Person, wie hoch ihre Stellung auch sein mochte, war ihm zuwider. Er opferte jederzeit gern eine Stunde, um mit einem seiner gescheiten Arbeiter oder mit einem wunderlichen, scharfsinnigen, alten Weib aus seinen Gehöften frei von der Leber weg zu sprechen, während er keinen Augenblick einem feinen Gentleman zu Plattitüden oder der modischsten und elegantesten, aber frivolen Dame gewährt haben würde. Seine Bevorzugungen in dieser Hinsicht trieb er bis aufs Äußerste und vergaß, dass es auch unter denen, die nicht originell sein können, liebens-, ja selbst bewundernswürdige Charaktere geben konnte. Doch machte er selbst eine Ausnahme von seiner eigenen Regel. Es gab eine gewisse Geistesrichtung, offen, herzlich, Verfeinerung vernachlässigend, unfähig, das, was intellektuell an ihm war, zu würdigen, die aber zugleich bei seiner Rauheit nie Missvergnügen empfand, von seinen Sarkasmen nicht verwundet wurde und seine Reden, Taten oder Meinungen nicht ängstlich analysierte, bei der er sich besonders wohl fühlte und daher besonders gern mit ihr verkehrte. Unter solchen Charakteren fühlte er sich als Herr. Weil sie sich seinem Einfluss wie von selbst unterwarfen, sein Übergewicht nie anerkannten, da sie nie darüber nachdachten, waren sie vortrefflich zu behandeln, ohne doch die geringste Gefahr zu laufen, unterwürfig zu werden, und ihre unbedachte, flüchtige, kunstlose Unempfindlichkeit war ebenso angenehm für Mr. Yorke, weil sie ebenso bequem für ihn war, wie die des Stuhls, auf welchem er saß, und der Diele, aus der er trat.
Man wird bemerkt haben, dass er sich gegen Mr. Moore herzlich zeigte, aber er hatte zwei bis drei Ursachen, eine kleine Vorliebe für diesen Gentleman zu hegen. So sonderbar es auch klingen mag, war doch die erste derselben, dass Moore Englisch mit einem fremden und Französisch mit einem vollkommen reinen Akzent sprach, und dass sein dunkles, mageres Gesicht mit seinen feinen, obgleich etwas verlebten Linien ein sehr antibritisches und anti-yorkshirisches Aussehen hatte. Diese Punkte scheinen kleinlich und fast unfähig, auf einen Charakter wie den Yorkes einen Einfluss auszuüben; doch sie riefen in ihm alte, vielleicht freundliche Erinnerungen an seine Reisen und an seine Jugend hervor. Er hatte in italienischen Städten und Gegenden Gesichter wie das von Moore gesehen. Er hatte in Pariser Cafés und Theatern Stimmen gleich der seinen gehört. Er war damals jung, und wenn er den Fremden sah und hörte, schien er es wieder zu werden.
Zweitens hatte er Moores Vater gekannt und mit ihm zu tun gehabt. Dies war ein substantielleres, aber keineswegs angenehmeres Band, denn da seine Firma mit der Moores Geschäfte getätigt hatte, war er auch gewissermaßen in dessen Verlust verwickelt worden.
Drittens hatte er in Robert