Wildfell Hall. Anne Bronte
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Sie zog ihren Beutel heraus und zählte kaltblütig das Geld ab, nahm aber Anstand, es mir in die Hand zu geben. Sie betrachtete mich aufmerksam und bemerkte mit weichem, besänftigenden Tone:
»Sie halten sich für beleidigt, Mr. Markham — ich wollte, daß ich Ihnen begreiflich machen könnte, daß — daß ich —«
»Ich verstehe Sie vollkommen,« sagte ich, »Sie denken, daß ich, wenn Sie jetzt die Kleinigkeit von mir annehmen, mir später in Bezug darauf Zudringlichkeiten gegen Sie erlauben könnte, aber Sie irren sich. Glauben Sie mir’s, daß ich, wenn Sie, mich nur durch die Annahme derselben verbinden wollen, keine Hoffnungen darauf baue und dies nicht als Beispiel für künftige Begünstigungen betrachten werde — und es ist ein Unsinn, davon zu sprechen, daß Sie sich gegen mich Verbindlichkeiten auf laden, während Sie wissen müssen, daß in diesem Falle die Verbindlichkeit ganz auf meiner Seite — die Gunst auf der Ihren liegt.«
»Nun wohl, so nehme ich Sie beim Worte,« entgegnete sie mit dem engelhaftesten Lächeln, indem sie das verhaßte Geld wieder in ihre Börse gleiten ließ. »Aber, bedenken Sie,« —
»Ich will bedenken — was ich gesagt habe — bestrafen Sie aber meine Voreiligkeit nicht dadurch, daß Sie mir Ihre Freundschaft gänzlich entziehen und erwarten Sie nicht, daß ich dafür büßen werde, daß ich mich — fremder gegen Sie benehme,« sagte ich, die Hand ausstreckend, um Abschied zu nehmen, denn ich war zu sehr aufgeregt, um bleiben zu können.
»Nun wohl, so wollen wir bleiben, wir wir gewesen sind,« antwortete sie, bereitwillig ihre Hand in die meine legend, und während ich sie darin hielt, kam es mir äußerst schwer an, sie nicht an meine Lippen zu drücken — aber das wäre selbstmörderische Tollheit gewesen; ich war bereits kühn genug gewesen, und diese voreilige Gabe hätte beinahe schon den Todesstreich gegen alle meine Hoffnungen geführt.
Mit aufgeregtem, brennenden Herzen und Gehirn eilte ich heimwärts, ohne auf die glühende Mittagssonne zu achten — Alles außer ihr, die ich eben verlassen, vergessend — nichts bereuend, als ihre Undurchdringlichkeit und meine eigne Voreiligkeit und Taktlosigkeit — nichts fürchtend, als ihren verhaßten Entschluß und meine Unfähigkeit, denselben zu besiegen — nichts hoffend — aber halt — ich will Sie nicht mit dem Kampfe meiner Hoffnungen und Befürchtungen — meiner ernsthaften Gedanken und Beschlüsse langweilen.
Neuntes Kapitel.
Eine Schlange im Grase.
Obgleich meine Liebe jetzt gänzlich von Elise Milward abgezogen war, stellte ich meine Besuche im Pfarrhause doch noch nicht ganz ein, weil ich sie, so zu sagen, allmählig fahren lassen wollte, ohne viel Kummer zu erregen oder mich vieler Rachsucht auszusetzen — oder mich zum Gegenstande des Gespräches im Kirchspiel zu machen und weil übrigens, wenn ich ganz ausgeblieben wäre, der Vikar, welcher glaubte, daß meine Besuche hauptsächlich, wo nicht gänzlich ihm galten, sich durch die Vernachlässigung entschieden beleidigt gefühlt haben würde. Als ich aber am Tage nach meinem Gespräch mit Mrs. Graham dort einen Besuch machte, war er zufällig nicht zu Hause — ein Umstand, der mir jetzt keineswegs mehr so angenehm war, als früher. Allerdings befand sich Miß Milward zu Hause, sie galt aber natürlich wenig mehr, als gar nichts; ich entschloß mich jedoch, meinen Besuch kurz zu machen und mit Elisen auf brüderliche, freundschaftliche Art zu sprechen, wie sie durch unsre lange Bekanntschaft gerecht fertigt wurde und die meiner Ansicht nach weder kränken, noch zu falschen Hoffnungen aufmuntern konnte.
Ich war nie gewohnt gewesen, mit ihr oder sonst Jemandem von Mrs Graham zu sprechen, ich saß aber noch keine drei Minuten da, ehe sie die Dame selbst auf etwas auffallende Weise aufs Tapet brachte.
»O, Mr. Markham,« sagte sie mit entsetztem Ausdruck und fast flüsternder Stimme — »was halten Sie von den entsetzlichen Gerüchten über Mrs. Graham? — Können Sie uns veranlassen, ihnen den Glauben zu versagen?« —
»Welche Gerüchte?«
»Ach, Sie wissen es gewiß!« sie lächelte schlau und schüttelte den Kopf
»Ich weiß nichts davon; was in aller Welt meinen Sie, Elise?«
»Ach, fragen Sie mich nicht, ich kann es Ihnen nicht erklären!«
Sie nahm das Batisttaschentuch, welches sie mit einer breiten Spitzkante zu verschönern angefangen hatte, und that äußerst beschäftigt.
»Was gibt es, Miß Milward? was meinen Sie?v sagte ich, mich an ihre Schwester wendend, die vom Säumen eines großen, groben Hemdes ganz in Anspruch genommen zu werden schien.
»Ich Weiß es nicht,« antwortete sie — »wahrscheinlich eine müßige Verleumdung, die Jemand erfunden hat; ich habe selbst nicht eher davon gehört, als neulich, wo mir Elise davon vor schwatzte — wenn mir aber auch das ganze Kirchspiel in den Ohren lüge, so würde ich kein Wort davon glauben — ich kenne Mrs. Graham zu gut.«
»Ganz recht, Miß Milward! — so geht es auch mir — was es auch immer sein mag.«
»Nun,« bemerkte Elise mit einem sanften Seufzen, »es ist gut, eine so tröstliche Sicherheit über den Werth derjenigen, welche wir lieben, zu besitzen, — ich wünsche nur, daß Sie Ihr Vertrauen nicht am Ende doch noch übel angebracht finden.«
Und sie erhob ihr Gesicht und richtete einen solchen Blick bekümmerter Zärtlichkeit auf mich, daß mein Herz wohl davon hätte gerührt werden können. In diesen Augen lauerte aber etwas, das mir nicht gefiel, und ich wunderte mich, wie ich sie je hatte bewundern können, das ehrliche Gesicht und die kleinen grauen Aeuglein ihrer Schwester erschienen mir bei weitem angenehmer — aber ich war in diesem Augenblicke auf Elisen wegen ihrer Infinuationen gegen Mrs. Graham — was sie auch sein mochten — böse; denn diese mußten erlogen sein.
Ich sagte damals jedoch nichts weiter über den Gegenstand und nur wenig über einen andern; denn da ich fand, daß ich meinen Gleichmuth nicht wohl wiedererlangen konnte, stand ich bald nachher auf, und nahm unter dem Vorwande von Geschäften auf dem Gute, Abschied — und nach dem Gute begab ich mich, ohne mich im mindesten über die mögliche Wahrheit dieser geheimnißvollen Gerüchte zu beunruhigen, sondern nur verlangend, zu wissen, worin sie bestanden, von wem sie ausgingen und auf welchen Gründen sie beruhten — und wie sie am besten zum Schweigen gebracht, oder als falsch erwiesen werden könnten.
Wenige Tage nachher hatten wir wieder eine von den prunklosen, kleinen Gesellschaften, zu denen die gewöhnlichen Freunde und Nachbarn eingeladen wurden, und unter ihnen befand sich auch diesmal Mrs. Graham. Sie konnte sich jetzt nicht mehr unter dem Vorwande finsterer Abende oder unfreundlichen Wetters zurückziehen, und erschien zu meinem großen Troste auch wirklich. Ohne sie würde mir die ganze Sache unerträglich langweilig gewesen sein; mit dem Augenblicke ihrer Ankunft kam ein neues Leben in das Haus, und obgleich ich die übrigen Gäste unsertwillen nicht vernachlässigen, noch einen zu großen Theil ihrer Unterhaltung für mich in Anspruch nehmen durfte, so erwartete ich doch einen ungewöhnlich angenehmen Abend.
Mr. Lawrence kam ebenfalls; er langte erst einige Zeit, nachdem die Uebrigen versammelt waren, an. Ich war neugierig, wie er sich gegen Mrs. Graham benehmen würde. Eine leichte Verbeugung war Alles, was bei seinem Eintritt zwischen ihnen gewechselt wurde, und nachdem er die übrigen Mitglieder der Gesellschaft höflich gegrüßt, setzte er sich fern von der jungen Witwe zwischen meine Mutter und Rosa.
»Haben Sie wohl je solche Schlauheit gesehen,« flüsterte Elise, die meine Nachbarin war, »sollten Sie nicht sagen, daß sie