50 Meisterwerke Musst Du Lesen, Bevor Du Stirbst: Vol. 2. Эдгар Аллан По

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50 Meisterwerke Musst Du Lesen, Bevor Du Stirbst: Vol. 2 - Эдгар Аллан По

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Thränen in den Augen blickte Vroni Josi nach. Als sie aber immer noch ihr Tüchlein schwenkte, da stapfte er schon unentwegt mit seinem Herrn in die große wilde Gebirgseinsamkeit hinein.

      Ernst, doch unverzagt hatte er die letzten Tage verlebt. Sie aber war vor Schmerzen vergangen: den Vater, die Mutter hatte sie schon verloren – und nun verlor sie auch den Bruder. Sie konnte nicht glauben, daß er je wieder nach St. Peter komme. In ihrem Kopf und in ihrem Herzen summte das Kirchhoflied:

      »Und als er stand an blauer See,

      Da schrie sein Herz nach Berg und Schnee.«

      Sterben wird er vor Heimweh!

      Während seine sanfte Schwester mit den großen Blauaugen in Thränen träumte, was doch so ein lieber Bruder für ein böser Mensch sei, schritt Josi tapfer in die Zukunft und mit seinem Herrn quer über Gletscher und Hochgebirge. Drüben in einer kleinen Stadt wollten sie Felix Indergand, der in einigen Tagen nachzukommen versprochen hatte, erwarten und dann von Genua aus die große Reise nach Indien antreten.

      Ein herrliches Wandern. Die Luft war blau und herbstlich still. Aus der Höhe ertönte der Ruf der Zugvögel. Die vom Sommer ausgelaugten und ausgewitterten Gletscher lagen wie riesige Leichen da. Wenn es wahr wäre, was die Sage behauptet, wenn die Venediger wirklich bei ihrer Säumerei über die Schneelücke in Stürmen und Wettern Ladungen Silbers verloren hatten, so würde man sie jetzt wohl finden können.

      Doch Josi dachte an etwas anderes. Konnte er nach Indien gehen, ohne zu Binia, die er für ewig verloren hatte, lebewohl gesagt zu haben?

      Unter einem überhängenden Felsen, bei den Resten alter Jägerfeuer übernachteten sie. »Brigante, solche Nächte unter freiem Himmel wird es auch bei unserer Arbeit in Indien genug geben, nur ist es dann nicht so still wie hier, sondern die wilden Tiere schreien und brüllen ringsum!«

      Allein als George Lemmy nachsah, schlief Josi schon. Am Morgen standen sie auf einem mächtigen Firngrat, einem wunderherrlichen silbernen Wall, wo der Himmel so nahe schien, als könnte man den dunkelblauen Teppich mit der Hand streicheln. »Boy, wo ist jetzt das Glotterthal?«

      Im gewaltigen Eisland, das sich gegen Norden dehnte, war ein kleiner dunkler Streifen wie ein Nebelchen sichtbar. Da konnte es Josi kaum fassen, daß er sein ganzes bisheriges Leben in der schwarzen Spalte zugebracht habe.

      Dort saß Vroni.

      Wie sonnig lag die Erde! Weithin dehnte sich im Süden unter ihnen, wo die Berge ausgingen, geheimnisvolle Bläue. Ist das wohl das Meer? dachte Josi. Da wies ihn George Lemmy auf weiße Flecken, die in der Bläue schwammen, und sagte: »Das sind die italienischen Städte.«

      Am folgenden Tag wanderten sie einem lebendigen klaren Wasser entlang durch eine grüne Berglandschaft und kamen auf die schöne Straße, die vom Hochpaß herniederführt.

      George Lemmy aber hinkte, er war beim Abstieg durch den Wald über eine Wurzel gestrauchelt und hatte den Fuß leicht verstaucht.

      Im ersten Dorf nahmen sie ein Wägelchen und fuhren durch den goldenen Abend.

      Kirchen, Klöster und Schlösser hoben ihre Türme aus Kastanienhainen und in der Ferne schimmerte eine Stadt. Fröhliches Volk in bunten Trachten kam ihnen entgegen, Landleute, die vom Markt heimzogen, riefen ihnen den Gruß in einer fremden Sprache zu.

      Der Kutscher, der wohl an Fremde gewöhnt war, wies mit der Peitsche nach allen Sehenswürdigkeiten und erklärte den beiden in mangelhaftem Deutsch ihre Namen und Bedeutung.

      Jetzt blitzte ihnen ein blauer See entgegen.

      Auf einem felsigen Vorsprung erhob sich ein Kloster aus mächtigen Bäumen, unter denen ein Zickzackweg zu dem großen alten Bau hinaufführte. An weißen Kapellen vorbei, die den Weg schmückten, sah man das von Epheu umrankte Thor und durch die Bäume, die reichlich Frucht trugen, blitzte neben dem Kloster der See.

      »Das sehr berühmte Kloster Santa Maria del Lago mit den dreihundertjährigen Pinien,« erklärte der Fuhrmann.

      Da überzwirbelte dem starken Josi das Herz.

      Gleich hinter dem Hügel, auf dem das Kloster steht, lag die Stadt, und vor einem kleinen netten Gasthof hielt nach der Weisung George Lemmys das Fuhrwerk an. Da übernachteten sie.

      Als Josi am Morgen nach George Lemmy sah, lachte dieser: »Josi, Brigante! Ich bin also zum Ruhen verdonnert, der Fuß ist elend geschwollen. Ich fürchte aber, daß du ein schlechter Krankenwärter bist, darum bleibe mir ein gutes Stück, mehr als dieses Zimmer lang ist, vom Leib. Die Wirtin wird dich unten füttern, doch strecke alle Tage den Kopf einmal herein. Da hast du etwas Klingendes in die leere Weste und hörst du: Wein, Wurst und Brot bestellt man hier zu Lande mit den Worten: Preg' un po' de vin u e un cu de gin com pan!

      Und nun versuche einmal, wie sich's auf eigenen Füßen geht.«

      Josi war glücklich. Einige Tage frei. Und er war jetzt so nah bei Binia! Aber die Welt war ihm so fremd, daß er kaum wagte, sich zu rühren. Durfte er zu dem Kloster hingehen und nach Binia fragen? Nein, nein! Der Knecht hatte es schon thun dürfen, denn er war ein alter stoppelbärtiger Mann ohne alles Verdächtige. Ihm aber würde alle Welt es ansehen, daß ihn die Liebe zu Binia hingetrieben.

      Lange schaute er den Handwerkern zu, die unter den Bögen der Häuser das Kupfer schmiedeten, das Leder klopften und das Holz bearbeiteten. Ein Schneider, der die Brille tief auf die Nase gerückt hatte, sang beim Flicken alter Kleider. Da fiel Josi das Kirchhoflied ein, das er mit der Mutter, mit Vroni und Binia gesungen, aber freilich, wenn er an den Presi dachte, war ihm nicht ums Singen.

      Eine Weile später strich er doch um das Klostergut und sang:

      »Das Steingenelk, die Königskerzen

      Erblühn voll Pracht im heil'gen Rund,

      Sie steigen aus gebrochnen Herzen

      Und jede Blume ist ein Mund!«

      Da horch! Wie er gegen den See hinkommt, antwortet jenseits der epheuumsponnenen Klostermauer eine silberne Stimme mit der gleichen Melodie.

      »O wie das weint, o wie das lacht,

      Dem Flüstern horcht die Sommernacht!«

      Nur einige Takte, dann bricht das Lied ab. – Er hört eine keifende Frauenstimme, dann helles Lachen von jungen Mädchen.

      Er rennt davon.

      Binia hat ihm geantwortet. Wer sollte sonst Worte und Melodie kennen? In der fremden Welt hat er ihre Stimme gehört. Es wird ihm feierlich zu Mut. Gewiß wird er sie auch sehen.

      Aber, wie er so überlegte, wurde er ganz traurig. Was nützte es, sie zusehen? Er wußte ja jetzt bestimmt und fest, daß sie nie zusammenkommen würden. Ihm war, der gräßliche Wunsch im Mund des Presi, Binia möge eher durch eine fremde Hand fallen, als daß sie mit ihm durchs Leben gehe, habe allen Segen, der auf seiner Liebe zu Binia ruhen könnte, hinweggenommen!

      Und doch war, seit er ihre Stimme gehört, sein ganzes Wesen in einem Aufruhr der Hoffnung. – Binia sehen! sie sehen!

      Am Abend wandte er sich an den Wirt, der einen großen weißen Schurz über seine leutselige Seele und seinen dicken Bauch gespannt hatte und vom Viehhändlerverkehr her etwas Deutsch radebrechte.

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