Das schlafende Heer. Clara Viebig

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Das schlafende Heer - Clara Viebig

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gibt es bei uns zu Haus doch nit. Sag, wem gehören die?“

      Er zuckte die Achseln: „Weiss ich nit!“

      „Och Gott!“ — wie in einem plötzlichen Schmerz zog das Weib die Brauen zusammen — „dat weiss mer nit? Och ja, wat is dat doch all so — so — keine Häusches, keine Dörfches — Jesus, wat is dat all so leer!“

      „No, dat kannste doch wahrhaftig nit sagen!“ Er versuchte ein heiteres Auflachen. „Sperr doch deine Augen auf! Du hast et ja selber gesagt: haste je so viel Korn auf einem Haufen gesehen? Kuck emal da, hier rechts, den Schlag Weizen! Kotzdonner, mindestens hundert Morgen sind dat — immerfort Weizen, un so schön von Farb! Als ganz dunkelgoldig. Et is en Staat! Hier links hat Roggen gestanden, den haben sie als geschnitten. Kuck einer an, den Staatsklee drunter! Brrr!“

      Er fasste wieder über den Kutscher weg nach den Zügeln und war dann mit einem Plumps vom Wagen. Schon trappste er jenseits des tiefen Grabens in die Stoppel. Und jetzt stand er wieder bei seiner Frau und hielt ihr eine Faust hastig ausgerupften Klees unter die Nase.

      „En Mass Vierblätter drunter! Und so fett! Wart, wann wir erst so ’ne haben! Dann biste auch vergnügt, gelt, Kettchen?!“

      „Ja, och ja!“ Hastig nickte sie, aber sie vermied seinen Blick, der fragend den ihren suchte. Sie hatte ihren Mann nicht ansehen können; Tränen füllten ihre Augen, der strahlende Tag im wolkenlosen Mittagsglanz war ihr verdunkelt. Sie war froh, als Peter sich wieder vorn auf den Sitz schwang.

      Und weiter ging die Fahrt, immer weiter durch die Endlosigkeit der reifenden Felder. Da stand Gerste, da Hafer — hoher, reichbesetzter Hafer, wie schwere Tränen hingen die Körner an der sich bleichenden Fahne — aber meist Weizen, Weizen so weit, dass dem Auge das tiefe Gold sich im gläsernen Blau des Himmels zu verlieren schien.

      Hier musste bald geschnitten werden! Bräuer hielt prüfend Umschau: Herrgott, was war hier zu schaffen! Unwillkürlich wischte er sich den Schweiss von der Stirn. Es reichten Tausende von Händen nicht zu, all dieses Korn zu schneiden, zu binden, aufzusetzen, zu verladen, heimzuführen in die Scheunen. Und hier gab’s auch riesige Rübenfelder. Wenn deren Ernte auch noch lange ausstand: behackt will die Rübe auch sein, bepflügt und behäufelt.

      „Frau, Kettchen“, rief er ganz aufgeregt, „siehste all die Zuckerrüben? Hierzuland kannste billig Zucker in deinen Kaffee tun! Donnerwetter, is da aber en Unkraut zwischen. Da müssten mal so en Stücker hundert Arbeiter ’erein. Hau, is dat noch en Arbeit!“

      „Mer sieht ja hier gar kein Leut“, sagte die Frau leise; ihre Stimme klang gepresst. Die Hand über die Augen haltend, spähte sie in die Ferne mit einem unruhig suchenden Blick. Kam die Ansiedlung denn noch nicht?! So weit waren sie nun schon gefahren! Doppelt weit kam ihr diese Wagenfahrt vor; nun sie dem Ziele so nahe, deuchten sie diese letzten paar Stunden schier länger als die ganzen Tage der Eisenbahnfahrt vom fernen Rhein bis in die östliche Provinz.

      Wie mochte Pociecha aussehen? Gab’s da Wälder, Berge, einen Fluss? Nein, aber Bäume würden dort sein. Peter hatte gesagt, dass ein Dorf ganz nah sei, ein altes Dorf; es gab da sicher Gärten mit alten, breiten, vielästigen Obstbäumen. Eine wahre Sehnsucht nach Schatten, nach Bäumerauschen ergriff die in Hitze und Seelenunruhe fiebernde Frau.

      Wohin führte der Peter sie? So weit in die Fremde! Und wie würden die Kinder sich schicken? Voll zärtlicher Sorge wendete die Mutter ihre Augen auf die Kinder — lauter Blondköpfe waren es, zehn, acht, sieben und zwei Jahre alt — Settchen, Maria, Lena und das kleine Stinchen. Frau Kettchen hielt nicht viel vom Studieren, aber schön schreiben und auch richtig schreiben mussten sie doch lernen und hell singen und brav beten. Ob sie das hier auch alles lernen konnten?!

      Der Mutter Blick suchte den Himmel: ach, der sah so verschlossen, so eisern aus wie ein blanker Schild, an dem selbst die Gebete, gestammelt von der Unschuldigen Mund, abprallen! Mit leicht zitternder Hand fuhr sie über einen lieben Kopf nach dem andern.

      Schlaftrunken, übermüdet rekelten sich die Kinder. Ihre blonden Häuptchen hingen matt und nickten willenlos hin und her wie schwere Ähren im Wind. Beim nächsten heftigen Rädergerumpel rutschten alle vier vom unbequemen Sitz; da lagen sie zusammen auf einem Häufchen am Boden der Britschka.

      Die armen Kinder! Frau Kettchen suchte sie zu ermuntern, aber dann gab sie’s auf: es war das beste, sie schliefen; zu sehen gab’s doch immer nur dieselbe gleiche, eintönige Weite! Ein Gefühl unendlicher Vereinsamung durchschauerte sie plötzlich, fast überlaut stiess sie heraus: „Peter, Peter!“

      „Wat denn, Kettchen?“ Er drehte sich rasch nach ihr um, ihre Stimme hatte so verängstigt geklungen. „Is dir wat, Kettchen?“

      „Och nix!“ Sie schämte sich. Sie hätte es ihm ja auch gar nicht beschreiben können, wie ihr zumute war, nun sie immer weiter und weiter fortkamen von der Station, wo doch wenigstens die Lokomotive schnaufte und dampfte, die sie der Heimat entführt, die sie aber wieder dorthin bringen konnte, dorthin, wo der Rhein fliesst. War ihr nicht jetzt so, als läge die Welt und alles, was gut und schön und glücklich war, hundert Millionen Meilen weit hinter ihr? Sie schwebte in einem ungeheuren Raum, in dem ihr tastender Fuss keinen Boden, ihre suchende Seele keinen Halt fand.

      „Peter, sind wir denn noch nit bald da?!“

      „Nur noch en klein Stund!“ tröstete er. „Dat erste Dorf kömmt jetzt gleich. Siehste, da is als Mais!“ Er wies ihr die hohen, tiefgrünen Maisstauden, deren Fruchtkolben noch von weisslichen, löffelförmigen Blättern verhüllt waren, mit deren seidenfädigen Schweifen, die im Sonnenlicht wie silbernes Haar glänzten, aber das heisse Sommerlüftchen winkend wehte.

      „Da dervon bauen wir uns auch wat an für die Hühner“, sagte er, „da legen sie gut nach. Un für die Schwein is dat überhaupt ’ne Leckerbissen. Du sollst emal sehen, wat du für Eier nach der Stadt verkaufen kannst!“

      „Och“ — ein wehmütiges Lächeln spielte um ihren Mund — „dat is doch nit wie bei uns zu Haus? Wie soll ich denn hier nach der Stadt kommen? Die is ja viel zu weit!“

      Aber gleich darauf machten sie doch miteinander Pläne: wenn sie erst Pferd und Wagen hatten, dann ging das doch! Oder noch besser, wenn erst die Eisenbahn fuhr — in einem oder spätestens zwei Jahren hatte man die ja, schon war die Strecke abgesteckt, Peter hatte es selber gesehen —, dann konnte der Valentin leicht, immer regelmässig zweimal die Woche, nach der Stadt fahren. Wo steckte übrigens der Junge? Bis vor kurzem noch war der Leiterwagen immer in Sicht gewesen, nun war er auf einmal ganz zurückgeblieben.

      Besorgt schaute der Vater aus. Aber sosehr er auch spähte, nichts war zu sehen als das Wogen goldenen Korns und das Sonnengeflimmer zwischen Erde und Himmel. Dem Jungen würde doch kein Malheur passiert sein?! Er war an solche Wege nicht gewöhnt und auch nicht an diese Rackers von Pferden. Bräuer machte sich Vorwürfe: hätte er doch lieber in der Stadt einen Kutscher auch für den Leiterwagen gedungen, anstatt auf den Valentin zu hören, der gemeint hatte, fahren könne er noch leicht so gut wie hier einer. Nun war bei der verdammten Rumpelei gewiss eine Speiche gebrochen, oder der Wagen war in einem Loch steckengeblieben, lag vielleicht gar zur Seite in einem tiefen Graben?! ’s war hier keine so glatte Chaussee wie daheim längs des Rheins, auf der die Gäule nur immer so von selber dahintrabten, als machte es auch ihnen ein heilloses Pläsier.

      Das konnte eine schöne Bescherung geben! Nun, vorderhand musste man erst noch mal geduldig ein wenig warten!

      Auf den Ruf, den der Vater zurückschickte, kam keine Antwort. Die Britschka hielt an. Die Sonne prallte.

      „Fahr ein bissken im Schatten“,

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