Das schlafende Heer. Clara Viebig

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Das schlafende Heer - Clara Viebig

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halt, dort in der Biegung des Seitenwegs, was war das?!

      „Peter, och, kuck da!“ Fast jubelnd streckte die Frau beide Hände aus.

      Da stand ein Heiligenhäuschen, frisch getüncht, mitten im goldenen Korn; die Ähren streichelten seine rissigen Mauern. Wie ein Backofen sah sich’s an in seiner rund gewölbten Buckelform; aber wo man sonst die Brote einschiebt, standen hier drei Steinpüppchen in der Nische, nicht mehr erkenntlich, Steinklümpchen gleich, die tausend Jahre im Acker gelegen. Ein Pflüger hatte sie wohl aufgepflügt, und jetzt standen sie am Sonnenlicht in der Nische, und des gläubigen Volkes Hände hatten die Heiligen mit Flittern und Papierrosen, mit welkenden Sträusschen von Mohn und Kornblumen geehrt.

      „Och, Peter, kuck, kuck!“ Die Frau strebte vom Wagen, der Mann musste ihr herunterhelfen. Es zog sie allmächtig zu jener Nische — ach, wenigstens etwas war hier so wie daheim!

      Auf die Knie sinkend, sich bekreuzend und fromm die Hände hebend zum Himmel, der ihr nun auf einmal doch nicht verschlossen schien, murmelte sie jenes Gebet, das sie daheim vielhundertmal gebetet:

      „Gegrüsset seist du, Maria, voll der Gnaden …“

      Und die Kinder, aufgeweckt von vertrauten Klängen, falteten auch ihre Händchen und stammelten mit.

      Vom polnischen Dorf, vergraben hinter Kornwellen, kam jetzt dünnes Mittagsgeläut. Der Kutscher zog den runden Hut und bekreuzte sich, sich so tief dabei verneigend, als strebe er mit der Stirn zur Erde.

      Peter Bräuer stand dabei und guckte ein wenig verdutzt von seiner Frau zum Kutscher und von diesem wieder hin zu jener: Sieh mal einer an, der Polack betete ja auch!

      Und plötzlich zog es auch ihn hin zu der kleinen Nische — eine Hand hatte ihn berührt, die reichte vom fernen West bis zum fernen Ost. Rasch neben seine Frau tretend, beugte er das Haupt.

      Peitschengeknall und ein heller Pfiff schreckte die gläubig Versunkenen auf. Mit Gerassel und Gepolter kam der Leiterwagen angefahren. Valentin stand aufrecht darin und hieb lustig auf die schnaubenden Gäule.

      „He, Vater!“

      „Endlich, Jung! Ich kriegt et als mit der Angst!“

      Peter Bräuer stiess einen erleichterten Seufzer aus: Gott sei Dank, da war kein Malheur passiert! Die kleinen Schwestern in der Britschka erhoben ein helles Jubelgeschrei, als sie den grossen Bruder sahen.

      „No, wat denn?“ Der hübsche Bursche, dem eine noch unvertragene Soldatenmütze verwegen auf dem Krauskopf sass, zeigte lachend seine gesunden Zähne. „Habt ihr als gedacht, ich wär verlorengegangen? Nee — haha — so rasch nit!“

      „Nee, aber man is doch hier fremd“, entschuldigte Frau Kettchen und sah ihren grossen Stiefsohn freundlich an. „Ich glaub, der Vater hatt’ als Angst, du hättst Malör gehabt!“

      Valentin lachte wieder. „Dat hätt’ ich auch leicht gekonnt. Ich denk an nix, auf einmal machen die Pferd ’ne Satz, dat se mir die Zügel aus der Hand reissen. Rechts aus dem Korn springen der Mädchen Stücker zehn, zwölf — wie ’n Volk Rebhühner — husch — über die Strass in ’t Rübenfeld links. Ich glaub, se hatten ihr Mittagsschläfchen gehalten im hohen Korn. Ich schimpf — sie lachen. Mutter, du glaubst et gar nit, wie die so frech waren! In eins fort gelacht, und sowie ich wat gesagt hab, haben se noch viel mehr gelacht!“ Jetzt schmunzelte der junge Mensch behaglich in sich hinein. „Un dann haben se mir Kusshändches geschmissen un allerlei gerufen, wat ich nit verstehen könnt. ‚Demibuschi‘ un so wat! Weisste, Vater, polnisch müsste mer hier eigentlich doch können!“

      „Unsinn, no, auch noch!“ Bräuer konnte sich ordentlich ärgern. „Lass se doch deutsch sprechen! Un nu voran!“

      Staubwolken wirbelten, Hunde kläfften; Kinder, die, nur mit einem Hemdchen bekleidet, halbnackt zwischen den Schweinen auf der Strasse herumwuselten, schrien gellend hinter den Wagen drein, die das Dorf passierten.

      Frau Kettchen machte grosse Augen: gepflastert war hier nicht! O weh, wenn’s hier regnete, tunkte man ja ein bis über die Knöchel! Unwillkürlich fasste sie nach ihren sauberen Röcken.

      Im grossen Pfuhl, den die durstige Sommersonne halb ausgetrocknet hatte, wuschen Weiber ihre Wäsche zwischen dem grünschleimigen Entengries. Überm blanken Hemd nur einen kurzen Kattunrock, aber alle das anliegende Mützchen fest um die Ohren gebunden, schauten sie wenig freundlich den rasselnden Gefährten nach: Aha, wieder neue!

      Bräuers Kinder quälten die Eltern mit Fragen: War das ein Dorf? Doch nicht das Dorf, wo sie hinsollten?! Kam das denn noch immer, noch immer nicht?

      Aber als die letzte der aus grauem Lehm zusammengepatzten niedrigen Hütten mit ihrem, dem Staub der Strasse ähnelnden, graubraunen Strohdach verschwunden war, schloss ihnen die gleissende Monotonie der Felder bald wieder den Mund.

      Frau Kettchens Gemüt, das sich noch eben im Gebet aufgerichtet hatte, wurde wieder niedergedrückt — also das war ein Dorf?! Die Hände im Schoss verschlingend, starrte sie trübe vor sich hin.

      Die Stimme ihres Mannes schreckte sie auf. Peter Bräuer rief seinen Sohn an. Ein Zug nahte aus östlicher Richtung. Buntgescheckt, wie aus allerlei Flicken zusammengelappt, schob er sich heran durchs sonnige Gelb.

      Frau Kettchen reckte den Hals: Wer waren die Männer im roten Hemd, Sensen auf der Schulter? Woher kamen die Weiber, müde dahinzockelnd, wie Lasttiere beladen mit Sack und Pack? Waren das etwa Zigeuner? Ängstlich sah sie auf ihre Blondköpfe — Zigeuner sollten doch Kinder stehlen — und dann nach ihrem Leiterwagen, der das erste unentbehrlichste Gerät enthielt.

      „Wanderarbeiter“, sagte Peter Bräuer und beschattete die Augen mit der Hand, um besser ausschauen zu können. „Die kommen ’rüber von Russisch-Polen. Gott bewahr uns, sind denn noch nit genug Polacken hier?! So’n Gesindel! Aber, ich hab’t gehört, selbst der deutsche Herr in Przyborowo soll ihrer welche zum Schnitt gedungen haben!“

      „Och, die Weiber, wat die sich abschleppen!“ Frau Kettchens Stimme klang mitleidig, und als sie ein paar Halbwüchsige sah, die ins Korn liefen, Ähren abrupften und gierig Körner daraus assen, fing sie an, im Körbchen, das ihr zu Füssen stand, zu kramen. „Die sind hungrig, mer könnt ihnen doch wat zu essen geben! Uns’ Kinder sind ja als satt.“

      Aber ihr Mann verwies es ihr: „Lass dich mit denen nit ein. Die arbeiten im Akkord, die verdienen genug. Im Winter tun se alles verjuxen!“

      Doch sie konnte den Blick nicht wenden.

      Näher und näher kam der Trupp, langsamen, aber durch seine Stetigkeit unaufhaltsam fördernden Schrittes. All die stumpfen Gesichter mit den breiten Backenknochen glänzten braunrot vom Sonnenbrand.

      Am hölzernen Weiser, der dort, wo der breite Fahrweg sich in noch drei andere fahrbare Strassen verzweigt, seine Kreuzesarme reckt, stiessen die Wanderer zusammen.

      Der stumme Kutscher der Britschka hielt an. Der vorderste der Sensenmänner war vor den Wagen getreten; den Hut bis zur Erde ziehend, schien er nach dem Weg zu fragen.

      Bräuer wunderte sich: konnte er denn nicht lesen? Da stand’s doch gross und breit, deutlich an jedem Kreuzesarm, wohin!

      „Chwaliborczyce“, belehrte der jetzt plötzlich lebhaft gewordene Kutscher, und wies nach rechts — und dann ein wenig nach links: „Niemczyce“ — und dann ganz nach links: „Przyborowo!“

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