Das schlafende Heer. Clara Viebig

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Das schlafende Heer - Clara Viebig

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Sprache, die Gott der Herr spricht, darinnen die heilige Mutter zum Sohne spricht.

      Die da — „psia krew!“ Energisch hob der Hirt das mit Lappen und Schnüren umwickelte Bein und stampfte mit dem Bastschuh den Grenzstein. Sein Mund, dessen Lippen durchs Alter so schmal geworden, dass sie ganz in der verschrumpften Kinn- und Backenhaut verschwanden, murmelten den Fluch: „Möge sie der feurige Blitz zerschmettern!“ Konnten sie nicht bleiben, wo sie geboren worden — jeder soll bleiben, wo ihn die Mutter geboren —, was mussten sie hierherkommen?! Trugen sie keine Scheu, so dicht zu nahen dem Nest des weissen Adlers?

      Drohend hob Dudek den schweren Stock, die geballte Faust schüttelte er gegen die Kolonie. Da waren ihrer wieder neue hinzugekommen — weisse Eindringlinge mit gelben Haaren — sie bauten ein Haus.

      Noch schimmerten die unbedeckten Dachsparren wie die Rippen eines Skeletts, aber geschäftig eilten die Männer beim Bau; man sah ihre Gestalten sich richten und bücken, sich drehen und wenden in emsiger Bewegung, wie unruhige Zwerge auf dem Teller der grossen Ebene.

      „Sie bauen, sie bauen“, rief Helene erfreut und klatschte in die Hände.

      Da drehte sich der Alte um. Er hatte den Wagen nicht herankommen hören, sein Ohr war nicht mehr scharf, aber sein Auge noch. Ohne Übereilung, schwerfällig stieg er nieder vom Grenzstein und zog, das Knie beugend, den Hut.

      Freundlich grüsste ihn Helene, war doch seine Frau die Schwester von ihres Mannes einstiger Amme, der alten Pelasia.

      „Tag, Dudek, wie geht’s? Kommt Ihr nicht auf einen Sonntag die Pelasia besuchen? Sie beklagt sich, dass niemand nach ihr sieht.“

      „Wenn sie sich sehnt nach ihren Eigenen, soll sie kommen!“

      „Ihr seid viel rüstiger als sie, Dudek, und Eure Frau ist auch wohl noch besser zu Fuss. Sagt, was machen denn Eure Enkel, der Jendrek und die Michalina? Dass ich’s Pelasia erzählen kann!“

      „Hat der Jendrek bei Soldaten gemusst. Haben sie ihn geschickt weit, sehr weit, wo niemand versteht ihn. Is die Michalina zu Herrschaft gezogen, is sich auch Amme geworden bei fremdes Kind.“

      „Nun, Dudek, und was machen Eure Schafe? Ich sehe schon, sie sind gut imstande. Sie sind gewaschen, sind ja weiss wie Schnee!“

      „Mutterschafe sind sich gewaschen; aber wie lange noch werden Lämmer seinige sein? Alles nimmt sich Fremder, alles!“ In einer resignierten Melancholie liess der alte Mann den Kopf auf die Brust sinken.

      „Wieviel Schafe habt Ihr jetzt?“ fragte Doleschal.

      Nun hörte Dudek auf einmal gar nicht mehr. Mit weit ausholenden Schritten in die Roggenstoppel stapfend, schrie er schimpfend nach seiner Herde und dem lässigen Hütejungen. Der wolfsähnliche Hund, der bis jetzt träg am Stein geblinzelt, jagte mit wütendem Gekläff vor ihm her.

      Vergebens rief Helene: „Soll ich Pelasia grüssen?“ Keine Antwort mehr. Taub war der Schäfer, aber auch blind, denn er suchte seine Herde, wo diese gar nicht zu finden war. Ein heisser Wind, der plötzlich mit Kraft über die Ebene schnob, lüftete seinen Schafpelz und warf die weissen Haare, die ihm langsträhnig unterm Hut vorhingen, wild durcheinander.

      Als Helene nach einer Weile zurückblickte, stand Kuba Dudek wieder auf dem Grenzstein; unbeweglich, wie der Weiser an der Wegscheide, reckte sich sein Arm. —

      In der Kolonie war nicht die muntere Geschäftigkeit, die man in der Ferne zu sehen vermeint. Nur die Bräuers waren beim Hausbau; von den andern Ansiedlern liess sich niemand blicken. Helene war einigermassen enttäuscht, hatte sie doch geglaubt, die Frauen auf den Türschwellen sitzend zu finden, schwatzend beim Kartoffelschälen, wie sie die Frauen vielhundertmal gesehen hatte im deutschen Dorf beim elterlichen Gut.

      Aber Doleschal war sehr befriedigt: noch war nicht Feierabend gemacht. Drüben in Pociecha-Dorf stiegen schon Rauchsäulen aus den zusammengesunkenen Schlöten der grün vermoosten Strohdächer, hier schafften noch alle fleissig auf dem Felde.

      „Soll ich dich mal über die Äcker fahren?“ fragte er seine Frau. „Viel zu sehen wird freilich noch nicht sein. Aber sie haben ja die Freijahre, die sind eine riesig kulante Einrichtung.“

      Wohlgefällig schaute er sich um: „Sieh mal, wie nett, wie sauber! Wie aus der Spielschachtel! Unsre Ansiedlung ist von allen die vielversprechendste. Erinnerst du dich noch, vor fünf Jahren, als sie hier das Gut parzellierten? Wie heruntergewirtschaftet das war?! Und wie sieht es jetzt aus! Freilich, es wird noch eine Weile dauern, bis der ausgesogene Boden sich wieder erholt hat. Aber unter tüchtigen Arbeitshänden — da, sieh mal!“ Sich unterbrechend, zeigte er auf eine kreisrunde mächtige Scheune: „Wie ein Zirkus! Ein bisschen gross, aber, na — die hat sich ein Amerikaner gebaut. Famoses Ding, was? Links das niedliche Gehöft gehört einem Schwaben. Ach, sieh mal an, hat sich der Mann neben den Obstbäumen auch Rebstöcke gepflanzt — ist das nicht rührend? Da hinten sitzen die Kolonisten aus der hiesigen Provinz alle zusammen. Und hier sind wir bei den Rheinländern.“

      Sie waren die ungepflasterte Strasse, an der die Häuschen und Scheunen sich rechts und links verteilten, ein paarmal auf und nieder gefahren. Nun hielten sie bei dem Neubau an.

      Peter Bräuer und sein Sohn sägten gerade an einem Balken. Die Säge war stumpf geworden, widrig klang ihr Gequietsch, und widerwillig nur gab der Balken nach. Mit einer gewissen Verdrossenheit arbeiteten beide Männer; sie blickten auch kaum auf, als Doleschal vom Wagen absprang und seiner Frau die Zügel übergab.

      Er trat zu den Arbeitenden und sagte: „Nun, wie steht’s mit dem Bau?“

      „Tag!“ Vater Bräuer fasste nur an die Mütze, während der Sohn die seine wohl heruntertat, aber sogleich wieder aufsetzte. „Könnt besser sein. Mer kömmt nit voran. Hätt ich dat gewusst!“

      „Wieso — hätten Sie was gewusst?“ fragte Doleschal lebhaft. „Über was haben Sie sich zu beklagen?!“

      „Der Herr ist wohl auch einer von der Kommission?“ sagte Peter misstrauisch und wechselte einen Blick mit seinem Sohne.

      „Nein.“ Doleschal hatte den Blick aufgefangen. „Aber Sie können mir ruhig sagen, was Ihnen nicht behagt. Ich interessiere mich für die Kolonisation. Ich bin auch Deutscher. Hier in der Nachbarschaft ansässig — Doleschal auf Deutschau!“

      „Ah, Sie sind der Doleschal?! So, no dann“ — Peter Bräuer streckte treuherzig die Hand hin — „dann is dat wat andres. Ich hab als von Ihnen gehört. Un dat is Ihr Frau?“ Er grüsste mit einer ungelenken Verbeugung nach dem Wagen hin. „Ja, wissen Se, Herr von Doleschal, Se müssen mir dat nit übelnehmen, aber man wird ganz misstrauisch. Sie haben einem dat doch alles ganz anders vorgestellt — oder ob ich mir nur dat so anders gedacht hab!? Ich weiss et nit. Jedenfalls hätt ich, wenn ich früher gewusst hätt, dat mer hier so schlecht Arbeitskräft kriegt — ich weiss nit, sind ihrer wirklich kein da oder wollen se nur nit —, mir dat Haus vom Bauamt baue lassen. Sie hatten mir dat angeboten, aber ich dacht, et käm so billiger. Ja, un wenn ich dal all ganz genau gewusst hätt, wär ich gar nit hier hingekommen, da hätt ich doch ebensogut nach Amerika auswandern können.“

      „Das dürfen Sie nicht sagen!“ Doleschal warf einen wohlgefälligen Blick auf den jungen Mann, der zu den Worten des Vaters beistimmend nickte. „Sie müssen doch Ihre Kinder, Ihren Sohn da, dem Vaterland erhalten!“

      „Och, wat dat anbelangt, de kann in Amerika ebensogut deutsch bleiben wie hier! Un hier muss mer sich plagen, genauso wie woanders — ne, noch viel mehr!“

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