Das schlafende Heer. Clara Viebig

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Das schlafende Heer - Clara Viebig

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hierhin gebracht, die hat nun auch für uns aufzukommen. Sie sind wohl auch nit von hier, Madam?“

      Augenscheinlich erkannte die Frau die Dame nicht wieder. Als Helene sie an ihre erste Begegnung erinnerte, schossen ihr plötzlich die Tränen in die Augen.

      „Och, wie wir zugezogen sind — dat waren Sie? Och herrje!“ Geschwind fasste sie nach Helenes Hand: „Dat freut mich aber, dat ich Ihnen danken kann. Dat erste ‚Guten Tag‘ — ne, Madam, dat hab ich nit vergessen! Och, Madam, entschuldigen Sie“, — sie fuhr mit der Schürze über die Augen — „bei uns zu Haus bin ich gar nit so, aber hier muss ich immer weinen!“

      Helene tröstete: „Das ist nur im Anfang so, der Anfang ist ja überall schwer. Passen Sie mal auf, nächstes Jahr wissen Sie nichts mehr von Heimweh; da lachen Sie drüber. Es ist hier auch schön!“

      „Meinen Se?“ Zweifelnd schüttelte die Frau den Kopf. „No, wenn Sie ’t sagen, dann soll et wohl wahr sein!“

      Vertrauend schaute Kettchen zu der hochgewachsenen Dame auf, und dann lächelte sie hoffnungsvoll: „Wenn et so kömmt, wie Sie sagen, Madam, dat et uns gut geht hier, dann will ich auch wallfahren gehen nächst Jahr. Sicher un gewiss, dat gelob ich. Hier kann mer doch wallfahren gehen, gelt, Madam?“

      „O ja!“ Eine leichte Zurückhaltung lag plötzlich in Frau von Doleschals Ton — wie schade, diese nette Frau war nicht protestantisch?!

      Und als ob die andre instinktiv diese Enttäuschung fühle, hielt auch sie sich mehr zurück.

      Schweigend blickten beide hinaus auf die Ebene, in den lastenden Horizont, den flammende Abendröte wie mit blutigen Schwertern zerfetzte.

      Als Helene jetzt ihren Mann sehr eilig zwischen den Ansiedlern daherkommen sah, unterdrückte sie nicht einen Vorwurf: „Aber Hanns-Martin — endlich!“

      „Verzeih! Ungeduldig geworden, mein Herz? Bitte, verzeih! Es hatte mich so interessiert. Herr Bräuer hat mir seine ganze Stelle, seinen Bau, seinen Acker, kurz, alles, was drum und dran, gezeigt!“ Doleschal war angenehm erregt und reichte beiden Männern die Hand zum Abschied: „Es wird jetzt schon werden, wird ganz famos werden! Auf Wiedersehen!“

      „Du“, sagte Helene leise, als sie am Arm ihres Mannes zum Wagen schritt, „die sind ja katholisch. Und ich dachte doch, hier sollten nur Evangelische her?“ Es klang bedauernd: „So nette Leute!“

      „Ja, das lässt sich nun doch nicht ganz streng durchführen, diese Sonderung der Konfessionen. Aber was macht’s? Es sind doch wenigstens Deutsche!“

      Der Traber, der bis dahin lammfromm gestanden, stutzte plötzlich, nun sie einsteigen wollten.

      Unruhig zog er an, stieg wild und prallte dann zur Seite, gerade noch, dass Doleschal ihn vom Graben zurückriss. Eine Staubwolke kam vom Dorf her über die Felder geflogen, und in der Staubwolke war Peitschengeknall, Pferdegetrappel und Hundegebell.

      „Ach, die Garczyńskis!“ Nicht angenehm überrascht, fasste Helene nach dem Arm ihres Mannes.

      Da war auch schon der hochrädrige Jagdwagen, glänzend lackiert, mit viel Rot an den Rädern, und innen die Sitze hell ausgeschlagen.

      „Atrappiert, meine Herrschaften! He — halt!“

      Auf einen Ruck standen die vier jungen Pferde neben dem Korbwägelchen, mit schnaubenden Nüstern, noch zitternd vor Erregung, und schäumten ins Gebiss. Zwei englische Doggen, riesige Tiere mit Stachelhalsbändern, schnackten ihnen dumpf bellend nach den Mäulern.

      Der Lenker hoch oben auf dem Bock grüsste galant mit der Peitsche: „Ich lege mich Ihnen zu Füssen, gnädigste Baronin — das nenne ich Glück, Ihnen hier zu begegnen! Ihr Diener, Doleschal! Ihr Weizen ist grossartig! Sehr erfreut, wie steht das Befinden?“

      Herr von Garczyński hatte viel von einem Pariser oder Wiener an sich. Gewandt schwang er sich vom hohen Sitz herunter, dem Diener, der hintenauf hockte und nun beflissen herbeieilte, die Zügel zuwerfend. An Helenes Seite tretend, führte er ihre Hand an die Lippen.

      Die Doleschals mussten halten bleiben.

      Im Chwaliborczycer Jagdwagen sassen, gegenüber von Frau von Garczyńska, ihr einziger Sohn, ein vornehm aussehender Junge, und der Vikar Górka.

      Frau von Garczyńska hatte sich den Sitz auf der seitlichen Bank noch durch eine Menge von seidenen Kissen bequemer machen lassen; sie lag zurückgelehnt, und der Schirm, den eine blonde junge Person, halb Dame, halb Dienerin, zum Schutz zwischen sie und die feurig untergehende Sonne hielt, liess warmrosige Schatten auf ihr blasses Gesicht fallen.

      „Gnädigste Baronin haben sich wohl Neues in der Kolonie angesehen?“ fragte Garczyński. „Sehr erfreuliche Fortschritte, nicht wahr? Wir haben unsern hochverehrten Herrn Vikar ein wenig entführt — die Herrschaften kennen sich? Ah, nur vom Hörensagen. Gestatten Sie!“ Er stellte vor, und dann verwickelte er, den Arm auf die Lehne des Korbwägelchens gelegt, Helene in ein längeres Gespräch. Eingehend fragte er nach ihren Kindern.

      Es blieb Doleschal nichts übrig, als sich mit Frau von Garczyńska zu beschäftigen. Sie winkte ihn zu sich herüber. Mit dem zärtlich-wehmütigen Lächeln, das ihr Gesicht so sehr anziehend machte, lächelte sie ihn an, als er zu ihrem Wagenschlag trat.

      Ob diese Frau glücklich war? Doleschal legte sich im Augenblick, als ihn ihr Lächeln traf, diese Frage vor, die sich schon viele vor ihm vorgelegt hatten. Kam der feuchte Flimmer in diesen schönen Augen von Tränen? Und was suchte dieser starr verlorene Blick in weiter Ferne?

      Als Doleschal die weiche Hand bei der Begrüssung in die seine nahm, fühlte er einen kurzen, festen Druck, den er den zarten Fingern kaum zugetraut.

      „Ich werde zu Ihnen hinüberkommen“, sagte sie. „Ich setze mich in Ihr Korbwägelchen, es ist ganz reizend. Ja, ich will“, setzte sie im Tone eines verzogenen Kindes hinzu, als er etwas von ‚unbequem‘ und ‚eigentlich nur zwei Sitzen‘ murmelte. „Ihre Gattin wird mit Garczyński auf dem Throne sitzen. Alexander“, rief sie ihrem Mann in elegantem Polnisch zu, „wir fahren gleich weiter, ich bin müde. Die Kolonie interessiert mich zu wenig — ein andermal! Nimm die Baronin auf deinen Bock; ich fahre mit Doleschal. Wir fahren über Niemczyce nach Hause zurück!“

      Plötzlich lebhaft geworden, drückte sie ihrem Gegenüber, dem priesterlichen Herrn, ein paar der weichen Kissen in die Arme. „Hier, Herr von Górka, seien Sie auch einmal galant! Bitte, tragen Sie mir die dort hinüber. Herr von Doleschal, bitte!“ Ganz hilflos streckte sie beide Arme aus. „Der Wagen ist abscheulich hoch, ich traue mich nie allein herunter. Ah — ah —!“

      Leicht flog sie durch die Luft; als Doleschal sie herunterhob, fühlte er ihre ganze Grazie. Ihr ein wenig verschobenes Kleid zurechtzupfend, lachte sie jetzt und klatschte lachend in die Hände: „Scharmant, ganz scharmant! Changez les dames, changez!“

      ‚Muss ich?‘ schien Helenes Blick ihren Mann zu fragen, als Herr von Garczyński ihr die Hand zum Umsteigen bot. Doleschal senkte die Lider — sie verstand diese stumme Bejahung; es lag ihm nun einmal daran, mit den Nachbarn, wenn auch nur in rein äusserlich aufrechterhaltenen, guten Beziehungen zu stehen. So schickte sie sich darein; aber ihre Bewegungen waren steif, ihre Miene abgemessen.

      Mit liebenswürdigen Lobpreisungen nestelte sich Frau von Garczyńska auf dem kleinen Korbwägelchen ein: sie war noch nie so niedlich gefahren, hier war’s ja tausendmal bequemer als auf dem grossen Jagdwagen! Als der junge Vikar

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