Das schlafende Heer. Clara Viebig

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Das schlafende Heer - Clara Viebig

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      Weniges später fuhren die Doleschals auf dem leichten Korbwägelchen fort. Kein Diener sass hinten auf. Er kutschierte selber, ein Zungenschlag trieb das gut eingefahrene Pferd an. Der schlichte Schleier, den Helene als einzigen Schmuck um den Hut trug, wehte im Sommerwind.

      Dem Park zur Linken, immer am hohen Drahtzaun entlang, führte zuerst die Strasse, dann trat sie näher zum See; mühselig knirschten die Räder durch tiefen Sand und dann noch mühseliger die Hügelsteigung hinan. Aber von oben herab lohnte ein herrlicher Blick auf den glatten See mit seiner bebuschten Insel, und auf das weisse Herrenhaus jenseits, mit den Blumenbeeten davor, von den grünen Wipfeln des Parkes wie ein freundliches Bildchen eingerahmt.

      Noch ein paar Räderumdrehungen, und rasch ging es jetzt wieder bergab. Der Sandbuckel mit der einsamen Kiefer schob sich wie ein Schutzband vor die Oase von Deutschau. Nichts begrenzte nun mehr den Blick. Felder, Felder, Felder. Einzig in der Ferne, hinter Chwaliborczyce, ein paar Waldlinien; aber sie erschienen heut noch ferner als sonst, der staubige Dunst, der über der reifen Ebene lagerte, hatte das Blau des Kiefernforstes verhängt.

      Überall wurde Weizen gehauen. Auf Deutschauer Land waren die Hemden der Schnitter alle weiss. Die Leute schafften schwer. Jeder Mann hatte ein Weib hinter sich, oft ein kaum erwachsenes Mädchen, das mit keuchender Brust, in unablässig gebückter Stellung hinter ihm drein schritt und die Schwaden raffte, die unter der blanken Sense fielen.

      „Wir hätten Schnaps für sie mitnehmen können“, sagte Helene, „bei dem Staub tut’s ihnen not!“

      „Schnaps?! Du weisst, ich bin nicht für Schnaps. Die Vögte sind angewiesen, Kaffee auszuteilen. Aber wie das Volk so ist! Kaffee wollen sie nicht, dann trinken sie lieber gar nichts.“

      „Sie sind eben mal Schnaps gewöhnt“, entschuldigte sie. „Bei uns zu Hause gab es auch immer Schnaps in der Ernte. Mutter mischte ihn selber: ein Liter Kartoffelspiritus, ein Liter Wasser und ein bisschen Himbeersaft dazu. Weisst du, es war für mich das grösste Vergnügen, wenn ich mit meinem Pony herumfahren durfte, ihn austeilen. Und wir waren doch ganz deutsch!“

      „Nein, Fusel nicht“, sagte er fast eigensinnig, und eine Falte der Verstimmung trat ihm zwischen die Brauen.

      Sie schwieg, kannte sie doch ihren Mann viel zu genau, um in solchen Momenten dagegenzureden.

      Noch hatten sie Deutschauer Land zu beiden Seiten, aber ein Zipfel von Chwaliborczyce schob sich wie ein Keil von links her, mitten hinein, und aus der Weite zur Rechten tauchten jetzt die Akazien von Przyborowo auf. Auf Chwaliborczycer Land gab’s rote Hemden; ihre blutige Farbe, grellleuchtend im staubfarbenen Erntedunst, überschrie jede andre.

      Alle Schnitter kannten das Gefährt von Niemczyce, aber nicht alle grüssten. Wenige nur; viele grinsten höhnisch: aha, der Niemczycer! Dass ihn der Donner erschlage! Die Arbeiter sollten nicht Schnaps bekommen? Haha, mochte er dann sehen, wo er noch Arbeiter herkriegte!

      Der Chwaliborczycer Inspektor, Herr Szulc, der auf tänzelndem Braunen in der Nähe seiner Schnitter hielt und, mit der verknoteten, vielschwänzigen Lederpeitsche hier- und dorthin weisend, Befehle schrie, tippte mit dieser nachlässig an seinen Hut.

      Das sollte ein Gruss sein?! Unverschämt, dieser Schulz! Helene warf einen schnellen, ängstlichen Seitenblick auf ihren Mann.

      Aber die Lider halb über die Augen sinken lassend, ignorierte der Freiherr den Inspektor vollständig. Nur eine feine Röte überzog flüchtig sein blassbräunliches Gesicht. „Sieh mal, Chwaliborczycer Weizen!“ Er zeigte mit der Peitsche.

      „Aber er ist lange nicht so schwer wie der unsre“, stiess sie hastig heraus; es drängte sie förmlich, ihm rasch etwas Angenehmes zu sagen.

      „Du irrst dich, Kind, er ist ebenso wie der unsre. Er könnte sogar besser sein, denn Deutschau hat längst nicht den famosen Weizenboden wie Chwaliborczyce. Aber Garczyński will eben nichts mehr hineinstecken. Ich denke, er wird verkaufen.“

      „Was — Garczyński verkauft?! An wen denn? An die Kommission?“ Helene blickte ganz entsetzt. „Sein schönes Gut! Über vierhundert Jahre in der Familie — wenigstens sagt er so! Muss er verkaufen? Schrecklich! Sag, Hanns-Martin, geht’s ihm denn so schlecht?“

      „Ach, bewahre!“ Doleschal lachte. „Das verstehst du nicht, Kind! Warum soll es ihm denn schlecht gehen? Das nicht! Aber vielleicht auch, dass er dabei an die Erziehung seines Sohnes denkt — er hat nur den einzigen Jungen —, und seine Frau kann sich absolut nicht entschliessen, sich von dem zu trennen, wie er erzählt. Und auf die Dauer geht das doch nicht: nur der Unterricht beim Vikar. Ich bitte dich, so ein katholischer Geistlicher — nur Seminarbildung —, was kann der Junge da lernen? Aber vor allem, wenn es einem so bequem geboten wird wie jetzt! Er kann sich glänzend rangieren. Er geniert sich nur ein bisschen. Die Grosspolen und die Volkspartei werden es ihm ordentlich anstreichen, wenn er an die Ansiedlung verkauft. Das halftert ihm auch seine Zeitung, der ‚Kuryer Poznański‘, nicht ab!“

      „Ich mag ihn nicht“, sagte die junge Frau heftig, „ich mag ihn ganz und gar nicht. Wie kann er ohne zwingende Not verkaufen? Würdest du je Deutschau verkaufen, Hanns-Martin?“

      „Da sei Gott vor — nie!“ Sein Gesicht wurde sehr ernst. „Ich würde mich ja versündigen am Andenken meiner Vorfahren. Der Grossvater und dann mein Vater haben Deutschau gehalten, mit vielen Opfern. Nun halte ich’s!“

      Sie lachte fröhlich. „Grade so denk’ ich. Und die Jungens sollen auch so denken. Weisst du, und dann werden wir im Erbbegräbnis, das der alte Grossvater so schön im Park angelegt hat, alle miteinander schlafen. Es muss einem im Grabe noch ein angenehmes Gefühl sein: du liegst im eigenen Grund und Boden.“

      Er nickte. „Natürlich! Aber sprich nicht so etwas, Helene, wir sind noch zu jung dazu. Und wir haben ja noch soviel vor uns! So vieles zu schaffen, zu bessern! Wenn die Zeit nur reicht. Übrigens, wenn Garczyński verkauft, soll mir’s recht sein. Dann bekommen wir noch mehr Ansiedler her — hoffentlich rein Deutsche und recht viele! Kleine Leute, die machen das Volk aus. Siehst du“ — er hob die Peitsche und wies geradeaus, wo einzelne kleine Häuschen, wie ängstlich auf der weiten Fläche, sich zusammenduckten — „da haben wir Ansiedlung ‚Augenweide‘!“

      „Ach, und da ist der Kirchturm von Pociecha-Dorf! Sie haben ihn gerade im Rücken. Wie guckt er schwarz!“

      „Lass ihn! Siehst du“ — er hielt das Pferd an — „da, selbst der Grenzstein ist schwarzweiss! Holla, wer trampelt denn darauf herum? Ist das nicht der Chwaliborczycer Schäfer?“

      Auf dem Grenzstein, der auf schwarzgeteertem Grund in weithin leuchtenden weissen Buchstaben ‚Ansiedlung Augenweide‘ wies, stand Dudek, der Schäfer.

      Schwer stützte er sich, um oben auf dem schmalen, scharfgekanteten Stein die Balance zu halten, auf seinen langen Hirtenstab, der mit der eisengekrümmten Spitze wohl gewichtig genug war, einen Wolf niederzuschlagen. Der blaue Strumpf, an dem er sonst unermüdlich strickte, lag achtlos am Boden. Die vielen hundert Schafe, des Schäfers Obhut anvertraut, hatten sich von Chwaliborczycer Roggenstoppel längst hinüberverloren auf Nachbarland. Auch der Hütejunge war davongeschlichen und träumte im Grenzgraben unterm Dornenbusch einen schönen Traum.

      Dudek, der Alte, hatte des alles nicht acht. Er stand ganz versunken, ragend wie ein dürrer, blattloser Baum unterm gläsernen Himmel und starrte vom Grenzstein hinab auf die kleinen Häuschen, ängstlich in der grossen Weite zusammengeschart. Er seufzte: was wollten die hier? Früher, als sein, Kuba Dudeks, Vater noch jung gewesen, da war hier nichts gewesen als der Himmel und die Länder

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