Nana. Emile Zola

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Nana - Emile Zola

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das gäbe Verschleimung. Als dann Zoé Koteletts gebracht hatte, stocherte Nana an dem Fleisch herum und begnügte sich damit, den Knochen auszusaugen. Zuweilen musterte sie verstohlen den Hut ihrer alten Freundin.

      „Ist das der neue Hut, den ich Ihnen geschenkt habe?“ fragte sie schließlich.

      „Ja, ich habe ihn mir zurechtgemacht“, murmelte Frau Maloir mit vollem Mund. Der Hut war überspannt, an der Vorderseite ausgeweitet und mit einer hohen Feder geschmückt. Frau Maloir hatte die Manie, alle ihre Hüte umzuarbeiten; sie allein wußte, was ihr stand, und im Handumdrehen machte sie aus der elegantesten Kopfbedeckung eine Mütze.

      Nana, die ihr gerade diesen Hut gekauft hatte, um nicht mehr ihretwegen zu erröten, wenn sie sie mitnahm, hätte sich beinahe geärgert. Sie rief:

      „Nehmen Sie ihn wenigstens ab!“

      „Nein, danke“, antwortete die Alte würdig, „er stört mich nicht; ich esse sehr gut mit Hut.“

      Nach den Koteletts gab es Blumenkohl und den Rest eines kalten Hühnchens. Aber Nana zog bei jedem Gericht einen Flunsch, zögerte, schnupperte daran herum und ließ alles auf ihrem Teller. Sie beendete ihr Mittagsmahl mit Eingemachtem.

      Der Nachtisch stand herum. Zoé räumte den Tisch nicht ab, um den Kaffee zu servieren. Die Damen hatten einfach ihre Teller zurückgeschoben. Es wurde immer noch über den schönen Abend des Vortages gesprochen. Nana drehte sich Zigaretten, die sie rauchte, während sie sich auf ihrem Stuhl hintenüberlehnte und schaukelte. Und da Zoé dageblieben war und, die Hände baumelnd, sich mit dem Rücken gegen das Büfett gelehnt hatte, kam es dazu, daß man sich ihre Geschichte anhörte. Sie war angeblich die Tochter einer Hebamme aus Bercy, die krumme Sachen gemacht hatte. Zuerst war sie bei einem Zahnarzt in Stellung gegangen, dann bei einem Versicherungsmakler; aber das paßte ihr nicht, und sodann zählte sie mit einem Anflug von Stolz die Damen auf, denen sie als Zofe gedient hatte. Zoé sprach von diesen Damen als ein Mensch, der ihr Glück in seiner Hand gehalten hatte. Zweifellos hätte mehr als eine ohne sie komische Geschichten erlebt. So eines Tages, als Madame Blanche mit Herrn Octave zusammen war, und plötzlich kommt der Alte. Was macht Zoé? Sie tut so, als falle sie beim Durchqueren des Salons hin; der Alte stürzt herbei, läuft in die Küche, um ihr ein Glas Wasser zu holen, und Herr Octave entwischt.

      „Na, das ist ja eine schöne Geschichte! Donnerwetter!“ sagte Nana, die ihr mit zärtlicher Teilnahme, mit einer Art unterwürfiger Bewunderung zuhörte.

      „Ich, ich habe allerhand Pech gehabt . . .“, begann Frau Lerat. Und, an Frau Maloir näher heranrückend, erzählte sie ihr vertrauliche Dinge.

      Beide aßen in Kognak getauchte Zuckerstücke und klatschten. Doch Frau Maloir nahm die Geheimnisse anderer entgegen, ohne jemals etwas über sich verlauten zu lassen. Es hieß, sie lebe von einer geheimnisvollen Pension in einem Zimmer, in das niemand vordringe.

      Mit einem Male ereiferte sich Nana.

      „Tante, spiel doch nicht mit den Messern herum . . . Du weißt doch, das geht mir durch und durch.“

      Ohne darauf zu achten, hatte Frau Lerat soeben zwei Messer über Kreuz auf den Tisch gelegt. Übrigens bestritt Nana, abergläubisch zu sein. So bedeutete verschüttetes Salz nichts, der Freitag auch nichts, aber die Messer — das war stärker als sie, das hatte niemals gelogen. Sicher würde ihr etwas Unangenehmes zustoßen.

      Sie gähnte und sagte dannmit einer Miene tiefen Verdrusses: „Schon zwei Uhr . . . Ich muß gehen. Wie ärgerlich!“ Die beiden Alten sahen sich an. Alle drei schüttelten den Kopf, ohne zu sprechen. Sicher,das machte nicht immer Spaß. Nana hatte sich wieder hintenübergelehnt und zündete sich noch eine Zigarette an, während die anderen aus Rücksichtnahme voller Lebensklugheit die Lippen zusammenkniffen. „Bis Sie zurück sind, werden wir Bésigue spielen“, meinte Frau Maloir nach einem Schweigen. „Spielt Madame Bésigue?“

      Gewiß, Frau Lerat spielte Bésigue, und zwar ausgezeichnet. Es sei überflüssig, Zoé, die verschwunden war, zu stören; eine Ecke des Tisches würde genügen. Und man schlug das Tischtuch über die schmutzigen Teller zurück. Aber als Frau Maloir selber die Karten aus einer Schublade des Büfetts holen wollte, sagte Nana, sie solle so nett sein und ihr einen Brief schreiben, bevor sie anfange zu spielen. Es verdroß sie zu schreiben, und dann war sie auch ihrer Rechtschreibung nicht sicher, während ihre alte Freundin gefühlvolle Briefe zu schreiben verstand. Sie holte schönes Papier aus ihrem Schlafzimmer. Ein Tintenfaß, eine Flasche Tinte zu drei Sous, stand mit einer rostverklebten Feder auf einem Möbelstück herum. Der Brief war für Daguenet bestimmt. Frau Maloir schrieb aus eigenem Antrieb in ihrer schönen englischen Schreibschrift:„Mein geliebter kleiner Mann…“ und verständigte ihn dann, am morgigen Tage nicht zu kommen, da „es nicht passe“, aber „in der Ferne wie in der Nähe, in jedem Augenblick sei sie in Gedanken bei ihm“.

      „Und ich schließe mit ,tausend Küssenʻ “, murmelte sie.

      Frau Lerat hatte jedem Satz mit einer Kopfbewegung zugestimmt. Ihre Blicke flammten; sie liebte es leidenschaftlich, bei Herzensangelegenheiten dabeizusein. Daher wollte sie auch ihr Teil beitragen und gurrte, eine zärtliche Miene aufsetzend:

      „Tausend Küsse auf Deine schönen Augen.“

      „Das ist richtig:,Tausend Küsse auf Deine schönen Augen!ʻ“ wiederholte Nana, während ein Ausdruck von Glückseligkeit über die Gesichter der beiden Alten glitt.

      Man läutete nach Zoé, damit sie den Brief zu einem Dienstmann hinunterbringe. Sie plauderte gerade mit dem Theaterdiener, der Madame einen am Morgen vergessenen Probenplan brachte. Nana ließ diesen Mann hereinkommen und beauftragte ihn, den Brief zu Daguenet zu bringen, wenn er wieder zurückginge. Dann stellte sie ihm Fragen.

      Oh, Herr Bordenave sei sehr zufrieden; der Vorverkauf finde schon für acht Tage statt, Madame könne sich nicht vorstellen, wie viele Leute seit heute morgen nach ihrer Adresse gefragt hätten.

      Als der Diener gegangen war, sagte Nana, sie würde höchstens eine halbe Stunde wegbleiben. Falls Besucher kämen, so solle Zoé sie warten lassen. Während sie sprach, läutete die elektrische Klingel. Es war ein Gläubiger, der Wagenvermieter; er hatte sich auf der Bank im Vorzimmer niedergelassen.

      Der konnte bis zum Abend Däumchen drehen; es hatte keine Eile.

      „Los, nur Mut!“ sagte Nana, schlaff vor Trägheit, gähnend und sich von neuem rekelnd. „Ich müßte längst da sein.“ Aber sie rührte sich überhaupt nicht. Sie folgte dem Spiel ihrer Tante, die gerade hundert mit Assen angesagt hatte. Das Kinn in die Hand gestützt, versank sie in Nachdenken. Sie fuhr jedoch auf, als sie es drei Uhr schlagen hörte. „Verdammt!“ stieß sie roh hervor.

      Jetzt ermutigte Frau Maloir, die die Asse zählte, sie mit ihrer weichen Stimme:

      „Meine Kleine, es wäre besser, Sie erledigten Ihren Gang jetzt gleich.“

      „Mach schnell“, sagte Frau Lerat, während sie die Karten mischte. „Ich werde den Zug um halb fünf nehmen, wenn du vor vier Uhr mit dem Geld hier bist.“

      „Ach, das wird nicht lange dauern“, murmelte sie.

      Zoé half ihr, in zehn Minuten ein Kleid überzustreifen und einen Hut aufzusetzen. Es war ihr einerlei, ob sie schlecht angezogen war. Als sie gerade hinuntergehen wollte, läutete die Klingel von neuem. Diesmal war es der Kohlenhändler. Na gut, er konnte dem Wagenvermieter Gesellschaft leisten; das würde sie zerstreuen, diese Leute.Da sie allerdings einen Auftritt befürchtete, ging sie durch die Küche und machte sich über die Dienstbotentreppe

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