Wer die Leidenshaft flieht. Barbara Cartland

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Wer die Leidenshaft flieht - Barbara Cartland Die zeitlose Romansammlung von Barbara Cartland

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dabei erwischt wird, wie er Sand oder etwas anderes in die Räder streut, dann wird er erschossen, und ebenso seine Familie und alle, die mit ihm arbeiten.'

      ,Wir haben verstanden', erklärte Monsieur le Maire. Dann rief er die Männer und erzählte ihnen vor den Deutschen, wie wichtig diese Aufgabe sei und wie gut sie erledigt werden müsse.

      ,Ihr müßt sehr vorsichtig sein, mes enfants', sagte er, ,und darauf achten, daß eure Hände sauber sind, während ihr diese Arbeit erledigt. Wenn ihr irgendetwas anderes anfaßt als das Schmierfett, dann müßt ihr sofort zu dem kleinen Fluß neben dem Bahnhof laufen und euch waschen.'

      Die Deutschen nickten zufrieden, aber alle, die zuhörten, hätten fast laut gelacht. Denn dieser kleine Fluß, in dem sie sich die Hände waschen sollten, ist der einzige Ort in unserem kleinen Dorf, an dem es Sand gibt - guten, festen Sand.

      Die Männer begriffen natürlich, und während sie ihre Aufgabe verrichteten, gehorchten sie seinen Anweisungen und liefen häufig, um sich zu waschen. Dieser Zug hat nichts anderes als viele Hände voll von unserem guten, festen Sand nach Deutschland gebracht!

      Ja, Monsieur le Maire ist nicht so einfältig, wie er aussieht. Sie können ihm vertrauen. Aber nun müssen wir uns beeilen, Mademoiselle. Sie müssen fortgehen, sobald der Tag anbricht.«

      Fleur kletterte aus dem Bett.

      »Wie spät ist es?« wollte sie wissen.

      »Fast vier Uhr. Und sehen Sie! Ich habe Ihre Sachen schon gepackt.«

      Sie hob die Kerze hoch und deutete auf ein dunkles Bündel in der Ecke des Zimmers. Daneben standen ein Korb und eine alte Stofftasche, wie sie die französischen Bauern immer bei sich trugen, wenn sie verreisten.

      »Aber das Kleid!«

      »Mademoiselle werden verzeihen, es ist mein eigenes! Ich habe es vor vielen Jahren gekauft«, erklärte Marie.

      Ihre Stimme klang ein bißchen traurig. Als Fleur das Kleid nun aufnahm und es genauer betrachtete, bemerkte sie, daß es fast neu war, altmodisch, aber gut verarbeitet.

      »Aber Marie, das kann ich nicht annehmen - dein bestes Kleid.«

      »Es ist jetzt sowieso zu klein für mich, ich habe es nie viel getragen.«

      »Warum nicht?«

      »Es gehörte zu meiner Aussteuer.«

      »Und du hast nie geheiratet? Was ist denn passiert?«

      »Das ist eine lange Geschichte«, wehrte Marie ab. »Dafür haben wir jetzt keine Zeit. Kommen Sie, Mademoiselle, Sie müssen sich anziehen.«

      Fleur spürte, daß sich hinter ihren Worten eine Tragödie verbarg, und doch war ihr klar, daß Marie recht hatte. Jetzt war nicht die Zeit für Erinnerungen, sie mußte das Château verlassen, ehe Monsieur Pierre erwachte.

      Ich muß den ersten Zug nehmen, überlegte sie, der um fünf Uhr dreißig abgeht.

      Sie kam sich sonderbar vor, als sie sich im Spiegel betrachtete. Marie hatte ihr geholfen, das enge Mieder zuzuknöpfen. Dann hatte sie das Haar aus der Stirn gebürstet und es mit einem schlichten, schwarzen Strohhut bedeckt. Fleur wirkte erstaunlich jung und gleichzeitig unauffällig - ein junges Bauernmädchen, das unterwegs war, um seine erste Stelle als femme de chambre anzutreten.

      »Wie wirst du Monsieur Pierre meine Abreise erklären?«

      Marie zuckte mit den Schultern.

      »Er wird dich zur Verantwortung ziehen«, gab Fleur zu bedenken. »Das kann ich nicht zulassen, Marie.«

      »Könnten Sie ihm einen Brief hinterlassen?«

      »Ja, das ist eine gute Idee. Ich werde ihm schreiben, daß ich ein Telegramm erhalten habe. Jemand aus meiner Familie könnte erkrankt sein.«

      Fleur ging zum Schreibtisch und setzte sich, um eine kurze Nachricht zu verfassen.

      »Monsieur«, begann sie ganz einfach, entschlossen, sich nicht einmal um Höflichkeit zu bemühen, »ich habe die traurige Nachricht erhalten, daß meine Cousine indisponiert ist. Ich muß sie unverzüglich aufsuchen. Ich bedaure zutiefst, daß ich bei der Beerdigung nicht anwesend sein kann, aber meine Gedanken und Gebete werden Madame begleiten.«

      Sie unterschrieb den Brief nicht. Sie wollte Luciens Namen, auf den sie niemals einen Anspruch gehabt hatte, nicht noch einmal zu einer Lüge benutzen.

      Sie schob die Nachricht in einen Umschlag.

      »Ich werde ihn erst mittags übergeben«, versprach Marie.

      »Sei vorsichtig, Marie. Du darfst ihn nicht mehr verärgern als nötig.«

      »Ich habe keine Angst. Ich bin alt - es ist nicht wichtig, was mit mir geschieht. Aber Sie sind jung.«

      Sie hörten die Uhr in der Halle schlagen.

      »Sie müssen fort«, drängte Marie. »Fabian wartet auf der hinteren Auffahrt auf Sie. Er wird Ihnen Ihre Papiere übergeben. Und noch etwas, Mademoiselle.«

      Aus der Tasche zog sie einen Lederbeutel. Als sie ihn in Fleurs Hand legte, klimperte etwas, und Fleur, die fühlte, wie schwer er war, wußte, daß er Münzen enthielt.

      »Was ist das?«

      »Es hat Madame gehört«, antwortete Marie. »Sie hat immer darauf bestanden, daß wir einen kleinen Spargroschen im Haus haben. Sie konnte sich noch zu gut an die Invasion von 1870 erinnern und wußte, was im letzten Krieg mit dem Franc geschehen ist. ,Wir haben das Gold, Marie', hat sie oft zu mir gesagt. ,Gold hat immer seinen Wert.' Und so haben wir es versteckt.«

      »Aber Marie, das kann ich nicht annehmen!«

      »Es gehört Ihnen, weil Sie Monsieur Lucien geliebt haben und er Sie«, erklärte Marie einfach.

      Für Marie war es selbstverständlich, daß Fleur das Gold mitnahm, in ihren Augen stand es ihr zu. Es hatte keinen Sinn vorzuschlagen, Marie sollte es selbst nehmen.

      Impulsiv beugte sich Fleur vor und küßte Maries faltige Wange.

      »Danke, Marie. Ich werde es so ansehen, als wäre es ein Vermächtnis von Lucien. Vielleicht hilft und beschützt es mich während dieser Reise.«

      »Wir befinden uns alle in Gottes Hand«, seufzte Marie.

      Einen Moment lang hielt sie Fleur fest in den Armen. Fleur spürte, daß sie in diesem Augenblick endgültig Abschied von Lucien nahm.

      Sie schritt mit dem Korb in der einen und der Tasche in der anderen Hand die Auffahrt entlang und sah mit den weiten Röcken und flachen, praktischen Schuhen tatsächlich wie eine Bäuerin aus.

      Sie bemerkte Fabian, der unter den Bäumen stand und auf sie wartete. Er kam auf sie zu, und als er ihr den Korb aus der Hand nahm, wandte sie sich noch einmal zum Château um.

      Ein Bild aus der Vergangenheit, dachte Fleur; und das alles ist nun vorüber - vorüber und unerreichbar: Sie wunderte sich, daß sie dieser Gedanke nicht trauriger machte. Eigentlich hätten sich ihre Augen mit Tränen füllen

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