Das rote Meer. Clara Viebig

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Das rote Meer - Clara Viebig

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„Wie teuer?“ fragte sie und wog das schwere Gewicht auf beiden Händen.

      Der Schieber lächelte geschmeichelt: „Das Fräulein versteht was.“ Und dann blinzelte er. „Zwölf Mark das Pfund — sechzehn wiegt se — das ’s nicht teuer für so ’ne Ware, was, Fräulein? Andere nehmen achtzehn dafür. Aber ich will Schluss machen heut abend, ’s is die letzte. Sechse hab ich heut nachmittag hier schon verkauft. Die gefällt, was, gnädige Dame?“

      Die Generalin fuhr zusammen, sie hatte, ganz in Gedanken verloren, auf die Gans gestarrt. So etwas gab es also doch noch? Das, was man an Geflügel in den Läden der Stadt sah, war mager, wochenlang lag überhaupt nichts in den Schaufenstern. Solch eine Gans hatte sie nur einst daheim auf dem Gute gesehen. Merkwürdig, mit einem Male stand das Elternhaus vor ihr.

      Wie die Mamsell in der Küche hantierte! Die Ärmel hatte sie aufgestreift über die vollen Arme, mit einer Geschicklichkeit wie ein Operateur zog sie auf dem weissgescheuerten Küchentisch einer Gans nach der andern die Fettwammen aus dem Leibe. Spickbrüste wurden gemacht, Gänseweisssauer, Leberpasteten — auf die legte der Vater besonderen Wert, die gab es zu seinen Jagddiners. Und wie würzig es hier roch! Nach Honig, nach Zimmet, Zitrone, Nelken, nach den leckeren Pfefferkuchen, die Mamsell Lieschen zu Weihnachten buk. Zu Silvester gab es immer Berliner Pfannkuchen mit Himbeer- oder Erdbeermarmelade gefüllt, in reinem Schweineschmalz ausgebacken; der Duft schwebte in einer leisen Wolke von der grossen Küche im Erdgeschoss die breite Treppe hinauf in die Herrschaftszimmer. Untrennbar war er von Festzeiten, von fröhlichen Gästen, von behaglichem Geniessen, von unbekümmerten Stunden, von der Zufriedenheit und dem vollen Genüge glücklicher Friedensjahre.

      Die Frau empfand plötzlich ein Bedauern und ein jähes Verlangen. Es wurde ihr schwach — die Gans, die Gans! Sie musste sich setzen, sie hatte auf einmal ein Hungergefühl, eine innere Leere zum Ohnmächtigwerden. Was sprachen die noch? Es lag auf ihr wie eine Lähmung. Aber sie hörte den Schieber mit der Köchin verhandeln.

      „Haben Sie auch Butter?“

      „Jederzeit.“

      „Wie teuer?“

      „Vierundzwanzig Mark.“

      „Und Eier?“

      „Ganz frische. Stück: eine Mark funfzig. Butter, Eier, Wurst, Speck. Sie brauchen mir nur zu schreiben. Aber im geschlossenen Brief; die passen verflucht auf. Für viertausend Mark Waren haben se mir schon mal weggenommen. Nu aber nich mehr!“ Er lachte. „Es lernt sich jeder aus mit dem Hintenherum.“

      „Ich nicht.“ Hermine von Voigt ermannte sich. Ihr Ton war schroff: „Packen Sie ein; ich nehme nichts.“

      „Na, denn ’n andermal.“ Der Schieber nahm es nicht übel, gelassen bettete er seine Gans in den Handkoffer. „Gehn wir noch ’ne Tür weiter. Der Herr Rechnungsrat drüben hätte ihr liebend gern genommen für seine kranke Frau, beinah geweint hat er, aber er hat’s Geld nich dazu.“ Mit einem „Auf Wiedersehen die Damen!“ schob er sich leise zur Tür hinaus.

      Was war das?! In einem Wirrwarr von Empfindungen blieb die Frau zurück. Der alte Geheimrat drüben hätte gern gekauft für seine kranke Frau, er hatte nicht das Geld für solche Preise — sie selber hielt es für Ehrenpflicht, nicht zu kaufen — ‚Schön dumm,‘ sagte der Schieber, sechs der kostbaren Gänse war er an einem Nachmittag hier losgeworden — beim Flickschuster im Keller gab es Schweinebraten — andere kratzten gierig das Strassenpflaster ab — welche Unterschiede! Der Beamte war ärmer als der Proletarier, Bildung und Unbildung, Vorteile und Vorurteile, Ansichten, Meinungen, Stände, alles verrückte dieser Krieg. Und auch die Überzeugung von Recht und Unrecht. Wie ein Chaos gähnte das neue Jahr sie an.

      Im bleiernen Schlaf dieser Nacht, in schweren Träumen wurde Hermine von Voigt verfolgt von sechs Gänsen. Die spazierten, schon ohne ihr weisses Federkleid, lustig schnatternd, feist und wohlgemut über die Strasse. Die Leute rissen die Türen auf, winkten ihnen und hiessen sie freundlichst willkommen. Und auf der gleichen Strasse, vor denselben Türen lagen Menschen im Kot und verschlangen, was sie da fanden.

      Wollte es wirklich wieder Frühling werden? Man hatte im langen Winter ganz vergessen, daran zu glauben. Ewig eintönig waren die Tage gewesen; eines beschwingten Hoffens war man kaum mehr fähig. An der Front immer dasselbe: einmal ein Grabenstück verloren, das andere Mal wieder eins genommen, dann das genommene aufgegeben, um an anderer Stelle wieder eins zu nehmen. Ewig hin und her. Immer dieselben Berichte. Sie stumpften ab. Langsam schlichen die Tage, und doch rasten sie.

      War es möglich, zeigten sich da am Busch die ersten kleinen, nur dem scharfen Blick sichtbaren Triebe? Und der Strahl der Februarsonne schien mild und laulich. —

      Hedwig Bertholdi kam vom Kirchhof, dahin ging sie immer allein. Weinen wollte sie, unaufhaltsam weinen, es sollte keiner sprechen: „Weine nicht, tröste dich.“ Wenn ihre Tränen auf den Hügel rannen, fühlte sie sich dem Sohne näher. Der tauende Schnee sog das heisse Nass ein, es drang hinunter zu ihm, es tropfte warm auf seine Brust. Er lag da unten ja so kalt, dieser junge Mensch, dieses umhegte Leben. Dieser kleine Knabe, der in der Dämmerstunde auf ihrem Schoss sass, sein Köpfchen an sie lehnte und sich erzählen liess von Hänsel und Gretel und vom Rotkäppchen. Er schluchzte, wenn der böse Wolf das liebe Rotkäppchen frass, er lachte und klatschte in die Händchen, wenn der grüne Jäger kam und dem schlafenden Wolfe den Bauch aufschlitzte. Wie war das Kind so lieblich! Es bereitete ihr Seligkeiten. Alle Tage ging sie mit ihm spazieren, es pflückte Blumen: ‚Mutter, alle für dich!‘ Seine Augen strahlten sie an. Seine kleinen Arme umschlangen sie, zärtlich zog es ihren Kopf zu sich herunter und wollte sie gar nicht lassen, wenn sie sich über sein Bettchen beugte zum Gutenachtkuss.

      Hedwig sah den Sohn als das Kind, als den kleinen Knaben, der ihr so grosse Freuden bereitet. Da gehörte er ihr ganz, einzig nur ihr; alles, was später kam, die ganzen letzten Jahre waren vergessen.

      Heute trug die Mutter die ersten Schneeglocken zum Grabe; nun war es umgekehrt, sonst hatte das Kind ihr die ersten gebracht. Sie streute die Glöckchen über seinen Hügel: Frühling würde wieder erwachen, alles erwachen, er erwachte nicht mehr.

      Langsam schlich sie dann zurück durch die Anlagen, die den Kirchhof vom Ort trennten. Besonnt lag der Weg vor ihr, ein viel zu früh herausgelocktes Insekt kroch langsam, noch halb im Winterschlaf, vor ihren Füssen. Sie fühlte sich müde, erschöpft; die matte Luft machte sie noch matter. Mochte nun geschehen, was da wollte, ihr war es gleichgültig; ein grösserer Schmerz konnte ihr nicht mehr kommen. Gab es denn überhaupt noch einen grösseren Schmerz?!

      Da war eine Bank. Sie musste sich setzen. Sie schloss die Augen Als sie sie wieder öffnete, erschrak sie; es sass jemand neben ihr. Eine Dame, in Trauer wie sie auch. Das war jetzt nichts Besonderes, in Trauer gingen so viele, aber die Augen, die sie jetzt flüchtig streiften, hatten etwas, was ihr auffiel. Eine Leidensgefährtin, dachte Hedwig. Sie sah wieder weg. Hatte die auch ihren Sohn im Krieg verloren? Es lag etwas namenlos Trauriges in diesen dunklen Augen.

      „Ist Ihr Sohn auch gefallen?“ Leise fragte sie es.

      „Mein Mann ist gestorben.“

      Hedwig dachte plötzlich an ihren Mann: wenn sie den Guten nicht mehr hätte!

      Im Kriege war der Mann der Dame wohl nicht gefallen, er musste über die Jahre hinausgewesen sein. Ein bedauerndes ‚Oh‘. Sie sagte dann nichts mehr, die andere auch nichts; jede sah vor sich nieder und bohrte mit der Schirmspitze Löcher in den Sand.

      Ob die denn nicht Kinder hatte, keinen Sohn draussen? Hedwig sah verstohlen wieder zu der Fremden hin. Ganz schüchtern fragte sie, sie schämte sich

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