Wirklichkeiten. Kurd Lasswitz

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Wirklichkeiten - Kurd Lasswitz

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Das unbestimmte Erlebnis gestaltet sich zur ursächlich begründeten Wirkung. Solche gesetzliche Einheiten in immer größerem und engerem Zusammenhange aus den subjektiven Erfahrungen der Individuen herauszuarbeiten, ist ein Kulturprozeß; durch ihn entsteht objektive Natur als eine Ordnung, die als allgemeingültig erkannt wird. Den höchsten Grad dieser Allgemeingültigkeit und damit der objektiven Realität besitzen die Ereignisse, wenn sie sich in der Form mathematischer Gesetze darstellen lassen.

      Wenn der Vollmond plötzlich am klaren Himmel sein Licht verliert, rührt der erschreckte Wilde die Trommel und seine Zauberer versuchen ihre Beschwörungen. Die Mondfinsternis ist ihm nicht Natur, sondern ein übernatürliches Ereignis, gesetzlos, zufällig, daher furchterregend. Dieses fragwürdige Erlebnis tritt in die Reihe des gesetzlich Bestimmbaren und damit des objektiv Wirklichen, wenn den Sternkundigen durch die Beobachtung von Generationen die Periode des Saros bekannt ist, nach welcher die Finsternisse alle achtzehn Jahre sich wiederholen. Aber die höchste Stufe des Objektiven, nämlich die mathematische Gewißheit, erreicht das Ereignis erst für den modernen Astronomen, der nicht nur sein Eintreten bis auf die Minute genau bestimmt, sondern auch seinen ursächlichen Zusammenhang in der gesetzmäßigen Bewegung der Himmelskörper nachweist. Jetzt erst gehört das Ereignis zur Natur im wissenschaftlichen Sinne, d. h. zu derjenigen Gruppe der Erscheinungen, die, abgelöst von allem subjektiven Vermuten, von aller Furcht und Hoffnung des Menschenlebens, eine unantastbare Wirklichkeit der Existenz besitzen in dem gesetzlichen Zusammenhange des mathematisch formulierbaren Denkens.

      Und das ist denn auch der Entwicklungsgang der Naturwissenschaft gewesen, daß sie gelehrt hat, die Erscheinungen, die dem einzelnen nur als subjektive Empfindungen gegeben sind, durch mathematische Größen als allgemeingültige Realitäten zu definieren. Denn dadurch erst sind sie mit Sicherheit zu bestimmen, wiederzuerkennen und zu beherrschen.

      Töne, die wir durch die Stimme hervorbringen, sind zunächst nur ein subjektives Erlebnis. Zwar gestatten sie eine gewisse Vergleichung, aber diese beruht auf dem unmittelbaren sinnlichen Eindruck, nicht auf einer objektiven Bestimmung. Man kann einem andern nicht genau mitteilen, welchen Ton man meint, wenn man ihn nicht direkt vorsingt, und auch dann bleibt es noch unbestimmt, ob man sich nicht selbst über die Höhe täuscht. Selbst die Fixierung in der Notenschrift gewährleistet noch keine absolute Bestimmung der Tonhöhe, wenn man nicht den Kammerton der Stimmung objektiv festzustellen vermag. Eine solche, von der sinnlichen Empfindung unabhängige Objektivität gewinnen die Töne erst, wenn sie durch mathematische Größen auszudrücken sind. Derjenige Ton, der durch 435 Schwingungen in der Sekunde hervorgebracht wird, ist durch diese Zahl absolut definiert, und seine Höhe ist unter allen Umständen zu allen Orten und Zeiten als dieselbe wieder zu erzeugen. Erst durch die Zurückführung auf das akustische Gesetz hat der Ton objektive Realität gewonnen; er bezeichnet jetzt nicht mehr ein bloß subjektives Erlebnis, sondern einen objektiven Vorgang.

      Ebenso ist es mit den Farben. Die Erscheinung der Farben war der Menschheit immer bekannt, und in dieser Hinsicht besitzen sie eine gewisse Objektivität, insofern sie nach Regeln technisch erzeugt werden können. Aber diese Stufe der Wirklichkeit beruht nur auf der sinnlichen Vergleichung; wissenschaftlich objektiviert und dadurch Natur im Sinne der strengen Gesetzlichkeit wurden die Farben erst, als Newton gelehrt hatte, sie durch eine Zahlengröße darzustellen, nämlich durch die verschiedene Stärke ihrer Brechung, und noch mehr, als die Undulationstheorie des Lichtes gestattete, die Wellenlänge zu messen, die einer bestimmten Stelle im Spektrum entspricht. Es ist bekannt, wie schwierig verschiedenen Individuen es wird, sich über eine bestimmte Farbennüance zu einigen, ebenso, wie die Farbe eines Körpers von der Beleuchtung abhängt. Soweit es sich hier um subjektive Einflüsse handelt, oder, wie im zweiten Falle, um Bedingungen, die nicht in allen Einzelheiten bekannt sind, weil man die Zusammensetzung der vorliegenden Farbe oder der Lichtquelle nicht kennt, steht der Beobachter dem Verlauf dieses Ereignisses, d. h. dem eintretenden Farbeneffekt, in ähnlicher Ungewißheit gegenüber, wie der Wilde der Mondfinsternis. Dagegen ergibt sich eine vollständige objektive Sicherheit, sobald der Physiker die Wellenlängen der Strahlen kennt, die auf den Körper fallen und von ihm zurückgeworfen werden, weil alsdann alles zahlenmäßig bestimmt ist. Und bei einer solchen Einreihung einer subjektiven Erfahrung in die Gesetzmäßigkeit der Natur handelt es sich dann nicht bloß um die Feststellung irgend einer einzelnen Erkenntnis, sondern es werden dadurch große, neue Gebiete der Wirklichkeit tatsächlich eröffnet; es wird Natur geschaffen, die vorher nicht als Natur, d. h. nicht als gesetzmäßig feststellbares Ereignis vorhanden war.

      Wenn sich z. B. ein Stern nahezu in der Richtung auf unser Sonnensystem hin oder in entgegengesetzter Richtung fortbewegt, so kann die Beobachtung auch mit dem schärfsten Fernrohr diese Bewegung nicht bemerken, der Stern mußte früher als unbeweglich gelten; dennoch gibt es jetzt eine Methode, eine derartige Bewegung zu konstatieren. Nachdem es gelungen war, die subjektive Erscheinung des Lichtes als eine meßbare Wellenbewegung zu objektivieren, zeigte es sich, daß in dem von den Sternen ausgesandten Lichte meist nur Wellen von bestimmter Schwingungsdauer enthalten sind, in Folge dessen im Spektrum der Sterne nur einzelne helle Linien an genau meßbarer Stelle auftreten. Bewegt sich nun der Stern mit einer gewissen Geschwindigkeit gegen die Erde, so wird dadurch die Wellenlänge um ein weniges verkürzt, die Strahlen werden im Prisma etwas stärker gebrochen, und die Spektrallinien erscheinen daher von ihrer Stelle gerückt. So minimal auch diese Verschiebung ist, so ist sie doch für die moderne Technik meßbar, und es ergibt sich daraus die Geschwindigkeit des Sternes gegen die Erde, die durch keinen menschlichen Sinn direkt wahrgenommen werden kann. Man erkennt in diesem Falle, wie durch die Zurückführung der sinnlichen Erscheinungen auf meßbare räumliche Beziehungen ganz neue Wirklichkeitsgebiete geschaffen werden. Die Bewegung des Fixsternes wird jetzt ein Teil der objektiven Natur, Man braucht nur an die Entwickelung der Elektrizitätslehre zu denken, um zu verstehen, wie hier Vorgänge, für welche wir gar keinen spezifischen Sinn besitzen, in den gesetzlichen Zusammenhang der Wirklichkeit durch die Fortschritte der Kultur eingetreten sind. Jede Entdeckung, die ein bloß subjektives Ergebnis zu einem gesetzlichen Geschehen objektiviert, eröffnet dadurch neue Mittel, durch welche die subjektiven Zentren des Bewußtseins in Verkehr treten und das Gebiet der Naturobjekte erweitert wird. Die Schallwellen, die Ätherschwingungen, die elektrischen Ströme sind solche neue Naturobjekte, die früher nicht da waren; d. h. sie waren nicht da als eine objektive Gesetzlichkeit, sondern nur in ihren subjektiven Wirkungen, in unserem unbestimmten Erlebnis. Wenn ein Gebiet der Sinneswahrnehmungen, wie Hören oder Sehen, eine Darstellung in mathematischer Theorie erfährt, so gewinnt dadurch die Menschheit ein neues Realitätsgebiet, zahllose Beziehungen treten auf, von denen vorher nichts zu bemerken war. Es würde z. B., wenn es gelänge, die Gerüche auf mathematische Gesetze zu bringen, offenbar ein neues Naturgebiet geschaffen werden, von dem man jetzt nicht sagen kann, welche neuen Verkehrsmittel für die Subjekte es darbieten würde, vermutlich nicht geringere, als sie die wissenschaftliche Akustik, Optik, Wärmelehre, Elektrotechnik und Chemie erzeugt haben.

      In diesem Sinne ist Natur niemals etwas Abgeschlossenes, sondern entwickelt sich mit der Erkenntnis und unter fortwährender Korrektur durch die Erkenntnis zu einem System, das als eine gesetzliche Verbindung der Erscheinungen sich immer deutlicher von den Vorgängen sondert, die wir in den individuellen Systemen der menschlichen Leiber erleben. Diese aber lösen sich dadurch nicht von der Natur, sondern lassen die Art ihrer Verbindung mit ihr um so genauer erkennen, je strenger die von ihnen unabhängigen Erscheinungen gesetzlich bestimmt werden als das System des objektiven Naturgeschehens.

      *

      Die Natur als Produkt der Erkenntnis auffassen, heißt keineswegs an der Realität der Naturerscheinungen rütteln. Denn Erkenntnis ist ja gerade der Vorgang, wodurch objektive,, allgemeingültige Tatsachen festgelegt werden. Aber diese idealistische Auffassung des Seins ermöglicht ein Verständnis für die Realität der Objekte, wonach nun die subjektive Realität der Vorstellungswelt in gleicher Linie mit ihnen gestellt werden kann, indem sich beide als ein notwendiger Zusammenhang derselben gesetzlichen Entwickelung ergeben, nicht als ein Übergang zweier verschiedener Arten des Seins in einander.

      Ein Körper ist nämlich nichts anderes als eine gesetzliche Bestimmung,

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