Wirklichkeiten. Kurd Lasswitz

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Wirklichkeiten - Kurd Lasswitz

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Und dies kann nicht in den Subjekten allein liegen, weil man nicht einsieht, warum sich dann in ihnen allen dieselbe Vorstellungsverknüpfung vollziehen soll. Diese Übereinstimmung muß vielmehr den Subjekten aufgezwungen werden durch etwas, was nicht aus ihnen selbst entspringt, nämlich durch Gesetze, die den Subjekten übergeordnet sind und es bedingen, daß sie gesetzmäßige Anschauungen und Begriffe von Gegenständen haben. Diese Gesetze sind das Objektive; aber ihren Sinn erfahren wir in den Subjekten.

      Wir haben nunmehr einen großen Vorteil gewonnen, indem wir die Objekte nicht als eine Ordnung fertiger Dinge definieren, sondern als Bestimmungen, wodurch Dinge gesetzmäßig vorgestellt werden müssen.

      Zunächst löst sich die Frage, wie es möglich ist, daß es eine Ordnung der Vorstellungen in den Subjekten – die Erkenntnis – gibt, welche die Ordnung der Objekte bedeutet. Denn jetzt handelt es sich ja nicht mehr, wie beim naiven Realismus, darum, daß eine fertige Welt von Dingen, die an sich existieren, in das Bewußtsein der wahrnehmenden Wesen eintritt, sondern die Ordnung der Vorstellungen von den Dingen ist mit den Dingen selbst schon gesetzt. Dasselbe Gesetz, das ausspricht, daß hier ein objektives Ding, ein Veilchen, ist, spricht auch aus, daß dieses als die Bedingung für die Verbindung der Vorstellungen zur Wahrnehmung eines Veilchens gegeben ist. Es braucht garnicht erst etwas in die Subjekte hineinzukommen, um die Vorstellung des Veilchens zu erzeugen, weil der subjektive Vorgang die psychologische Erscheinungsform des Objektes selbst ist. Wir haben nicht nötig, Objekt und Subjekt künstlich zu verbinden, wenn wir uns klar gemacht haben, daß Objekt und Subjekt überhaupt gar nicht getrennt denkbar sind. Es ist dieselbe Einheit, die Eigenschaften und Wirkungen gesetzlich im Objekt verbindet, die auch die Vorstellungen im Subjekt zum Begriff des Gegenstandes notwendig zusammenschließt. In diesem Sinne kann man sagen, daß der Begriff den Gegenstand schafft, wie man auch sagen kann, daß der Gegenstand den Begriff hervorruft, weil nämlich beide, Gegenstand und Begriff, ein und dasselbe sind – nämlich das Gesetz des Daseins; und dieses Gesetz wird nur verschieden bezeichnet, je nach dem Standpunkte, von welchem aus man es betrachtet. Geht man davon aus, daß es objektive Ordnungen gibt, die unser Denken bestimmen, so nennt man das Gesetz oder die Einheit des Seienden den »Gegenstand«: geht man davon aus, daß alles, was wir erfahren, irgendwie vorgestellt werden muß, so nennt man das Gesetz, das die Einheit der Vorstellungen ausdrückt, den »Begriff«.

      Wir haben weiterhin gesehen, daß es gar keine Dinge gibt im Sinne fertiger Weltgestalten, die sich in Vorstellungen umsetzen, sondern daß es Gesetze für Vorstellungen gibt, die sich in den Subjekten vollziehen, Einheiten der Bestimmung, durch die erst die Gegenstände der Erkenntnis mit unseren Begriffen zugleich erzeugt werden. Man könnte auch folgende Ausdrucksweise versuchen: Inwieweit der Gesamtzustand der menschlichen Gehirne psychisch eine theoretische Einstimmigkeit bedeutet, nicht in bezug auf Gefühl und Willen, sondern nur auf das Logisch-Zwingende in der Bestimmung der räumlich-zeitlichen Veränderungen, insoweit ist Naturerkenntnis vorhanden. Dieser Zustand ist eben der augenblickliche Zustand der Natur im wissenschaftlichen Sinne. Zum Bewußtsein kommt er uns in der Form des Denkens und ist das Mittel, aus der Unbestimmtheit des Subjektiven Natur als Begriff und Objekt abzusondern.

      *

      Unsere Denkformen sind jedoch nicht die einzigen Einheiten, in denen sich die Übereinstimmung der Subjekte als ein gesetzlicher Zusammenhang ausspricht. Es kann also sehr wohl verschiedene Arten geben, in denen gesetzliche Einheiten erzeugt werden – die Vorstellungen können nach verschiedenen, gesetzlich bedingten Grundsätzen sich zu Verbindungen zusammenschließen, von denen die Erscheinungen der Natur unter dem Gesetze der Notwendigkeit nur eine der wirklich vollziehbaren ist. Welche andere Arten bedingen ebenfalls Übereinstimmung von Subjekten? Welche Wirklichkeiten gibt es noch?

      Als das umfassendste, allerdings auch als das unbestimmteste solcher Gebiete tritt uns zunächst das Leben selbst entgegen; wir meinen damit den gesamten Lebensinhalt, den man, wie früher dargelegt, auch in einem allgemeinen Sinn schlechthin als Natur bezeichnet, das Zusammenwirken alles Seienden, wie es sich in der Entwicklung der lebenden Wesen und der menschlichen Gesellschaft, sowie im Erlebnis und den Erfahrungen des einzelnen überhaupt offenbart. Aus diesem allgemeinen Gebiete treten nun besondere Richtungen hervor, die durch Tatsachen der Kultur ausgezeichnet sind. Es ist dies außer der theoretischen Erkenntnis dasjenige praktische Handeln der Menschheit, das unter dem Sittengesetze sich vollzieht, ferner die zweckmäßige Gestaltung des Lebens unter dem ästhetischen Gesichtspunkt, endlich die Gemeinschaft des Gefühls in der Religion.

       Jede dieser Richtungen stellt sich dar als eine besondere Art der Wirklichkeit, oder besser, als eine besondere Form von Gesetzlichkeit, wodurch Verwirklichung von Erfahrung erzeugt wird. Auf diese Weise entstehen Natur, Sittlichkeit, Kunst als selbständige Realitäten, indem dasjenige, was sich uns als Weltprozeß enthüllt, sich nach eigenen Gesetzen gestaltet, nach Weisen der Bestimmung, die wir als Prinzipien der Verstandeserkenntnis, als die Idee der Freiheit und als die Idee der Zweckmäßigkeit bezeichnen. Wie ein jeder Mensch sein Erlebnis in der Form von Gedanken zusammenschließt, zugleich aber mit diesem Erlebnis ganz bestimmte Willensregungen verbindet und Gefühle der Lust und Unlust durchkostet, und wie sich Gedanken, Wille und Gefühle im einzelnen wohl widersprechen können, dabei aber der Mensch doch die ganze, sein Leben umfassende psychische Einheit bleibt, so erweist sich auch der Weltinhalt nach diesen drei Richtungen des Wahren, Guten und Schönen als Natur, Freiheit und Zweckmäßigkeit gegliedert, ohne deshalb in seiner Einheit zu zerfallen.

      Was uns in der täglichen Erfahrung entgegentritt, wird auf dem naiven, unwissenschaftlichen Standpunkte der Weltbetrachtung einfach für das »Wahre«, »Wirkliche«, »Seiende« für die Dinge selbst gehalten. Aber es ist keineswegs das Ursprüngliche, es ist vielmehr tatsächlich schon ein Produkt der Arbeit des Bewußtseins, der Abstraktion und Kombination. Der Unterschied zwischen der naiven und der philosophischen Auffassung besteht nun darin, daß letztere sich über die tatsächlichen Umformungen Rechenschaft zu geben sucht, die der Weltinhalt bei seiner Gestaltung zum subjektiven Erlebnis erleidet, um die möglichen Gattungen von Begriffen, Ereignissen, Realitäten zu unterscheiden und zu erkennen, daß es Grade und Arten der Wirklichkeit gibt. Die naive Auffassung dagegen kennt solche Unterschiede nicht, indem sie die tatsächlich verschiedenen Formen der Realität für ein und dieselbe ansieht und für das Wirkliche überhaupt hält. Auf diesem Standpunkt kann man daher nicht begreifen, wie z. B. neben der Realität, die die Naturvorgänge im Raume als Mechanismus bilden, noch die Realität der Willensfreiheit bestehen könne, ohne daß die eine die andere aufhebt oder stört. Das kommt daher, weil für die naive Auffassung die Welt eben nichts ist als die eine fertige Ordnung der Dinge, und damit ist ihre Weisheit zu Ende. Die Philosophie dagegen unterscheidet Werte der Realität, (logische, psychologische, theoretische, ethische, Gefühlswerte, Begehrungswerte) und grenzt diese als eigene Formen der Realität ab. Gelingt dies der Philosophie, so kann das praktische Leben alsdann bewußtermaßen diejenigen Werte bevorzugen, die je für die Gestaltung der Lebensrichtungen in Wissenschaft, Ethik, Kunst, Religion, Gesellschaft förderlich und vorteilhaft sind, d. h. es kann Realität bestimmter Art nach Kulturprinzipien schaffen. Das ist der eminente Kulturwert der Philosophie, daß sie die Formen des Daseins nach Rechten und Mitteln sondern lehrt.

      Auf dem kritischen Standpunkte sagen wir uns nun, daß die verschiedenen Realitäten auf der Art und Weise beruhen, wie der Weltinhalt in verschiedenen Formen zu Einheiten zusammengefaßt auftritt. Denn das ist doch offenbar die Voraussetzung für alles Sein überhaupt, daß es in Zusammenhängen besteht. Diese Zusammenhänge müssen aber zugleich die Bedingungen enthalten, unter denen sie im menschlichen Bewußtsein als Ordnung des Erlebnisses sich ausweisen. Wir können den Weltprozeß als solchen nur erkennen und überhaupt etwas von ihm aussagen, insofern sein Inhalt bereits zu Einheiten gestaltet ist, die sich auf unser Bewußtsein beziehen. Was das Seiende ohne unser Bewußtsein ist, bleibt eine Frage, die man offenbar nicht beantworten kann. Das, was wir das Seiende nennen, hat immer schon eine Beziehung auf die Gesetze, unter denen es sich für unser Bewußtsein gestaltet. Soweit eine solche Gestaltung nicht vollzogen ist, besteht überhaupt nur die unbekannte Bedingung zur Möglichkeit der Erfahrung, daß etwas sei. Über diese Bedingung selbst

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