Wirklichkeiten. Kurd Lasswitz

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Wirklichkeiten - Kurd Lasswitz

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Dasein eingeschlossen in das Geschehen, in welchem die Körper im Räume sich naturnotwendig gestalten. Diese gegenseitige Abhängigkeit aller Vorgänge in Raum und Zeit ist, wie schon oben gesagt, das, was wir Natur nennen, und insofern gehören wir selbst zur Natur. Da wir uns aber bewußt sind, uns selbst als vernünftige Wesen Zwecke zu setzen, so entsteht leicht der Irrtum, daß wir auch in dieser freien Tätigkeit mit zur Natur gehörten. Dann müßten wir also erwarten, daß in der Natur gleichfalls eine solche Gesetzgebung des Willens vorhanden sei; wir müßten erwarten, daß es eine Stelle in der Natur gebe, an welcher nicht mehr jeder Vorgang notwendig durch andre bedingt ist, sondern wo in den Dingen, ähnlich wie der Wille im Menschen, eine Freiheit der Bestimmung vorhanden ist, derzufolge sie für sich selbst fordern, in einer bestimmten Weise zu sein, also auch anders zu sein, als aus den Mechanismus des Naturgeschehens allein folgen würde. Soweit aber die Erfahrung fortschreitet, gelangen wir niemals an eine solche Stelle, an welcher die kausale Bedingtheit der Natur aufhörte; und wir können auch an keine solche gelangen, weil die Möglichkeit der Naturerkenntnis eben darauf beruht, daß wir die unmittelbare sinnliche Erfahrung in gesetzlichen Beziehungen festlegen. Wohin auch die Naturerkenntnis vordringe, immer finden wir die Notwendigkeit des Geschehens, weil sie die Voraussetzung dazu ist, daß der Inhalt unsrer Erfahrung den Charakter der Naturgesetzlichkeit annimmt.

      Da nun die Natur für jeden Standpunkt unsrer Erfahrung in zwei Teile zerfällt, in einen solchen, den unsre Erkenntnis durch Beobachtung und Rechnung bereits in klare Gesetze aufgelöst hat, und in einen solchen, der dieser Analyse noch als Aufgabe harrt, so liegt es nahe, in diesem noch nicht erkannten Teile der Erscheinungen jene geheimnisvolle Stelle zu suchen, wo die Zweckbestimmungen in die Natur eingreifen. Es entsteht die Vorstellung von zielstrebenden Kräften, von inneren Bildungstrieben, von unzugänglichen organischen Gewalten, die in der Natur ebenso tätig seien, wie im Leben der Menschheit die Selbstbestimmung der Vernunft auftritt. Diese mystische Region nennt man das »Inn're der Natur«. Im Gegensatz zu diesem Innern heißt dann die bereits erkannte Natur das »Äußere«. Durch den weiteren Fortschritt der Erkenntnis wird nun jenes angebliche Innere in ein Äußeres verwandelt, ohne aber den vermuteten Kern zu zeigen; und da die Erkenntnis nie zu Ende gelangt, so ist es selbstverständlich, daß »ins Inn're der Natur kein erschaffener Geist« dringt.

      Hieran ist aber nur soviel richtig, daß es immer einen Rest gibt, der von der Erkenntnis noch nicht als gesetzliche Natur begriffen ist. Falsch dagegen ist es, diesen unerkannten Rest als ein unerkennbares Innere gegenüber einer erkennbaren Schale zu bezeichnen.

      Zu diesem schiefen Bilde von einem Innern der Natur verleitet nun weiter die Mißdeutung eines zweiten Gegensatzes, des Gegensatzes von Geist und Körper, oder Seele und Leib.

      »Inneres« und »Äußeres« drücken Beziehungen aus, die den Verhältnissen des Raumes entnommen sind; sie bedeuten die Lage eines Raumteils inbezug auf einen begrenzten Raum. Für einen Kasten, für mein Zimmer, für ein Haus gibt es ein Inneres und ein Äußeres. Diese berechtigte Trennung wird nun fälschlich auf mein »Ich« übertragen; man spricht auch inbezug auf unser Bewußtsein von einem Innern, gegenüber einem Äußern. Da nämlich mein Geist, meine Seele oder wie man das individuelle Bewußtsein nennen will, niemals ohne meinen Leib ist, so gebrauchen wir die Bezeichnung »Ich« für jenes erfahrungsmäßige Zusammen meines Leibes mit meinem Bewußtsein. Alsdann hat der Ausdruck Inneres und Äußeres einen Sinn, aber nur für meinen Leib, denn nur dieser ist im Räume; in diesem Sinne ist z. B. der Mond draußen. Inbezug auf mein Bewußtsein kann ich aber nicht sagen, der Mond ist draußen oder drinnen; er kann entweder mir bewußt sein, oder nicht, aber Inneres oder Äußeres gibt es für mein Bewußtsein nicht, der Gegensatz verliert hier seinen Sinn. Die Täuschung kommt von der doppelten Bedeutung des Wortes »Ich«. Denn mit Ich bezeichnet man zwar die Verbindung Seele-Leib, häufig aber bezeichnet man damit auch die Seele, d. h. die Einheit des Bewußtseins, allein, mit Ausschluß alles räumlichen Inhalts, also auch des Leibes. Trotzdem behält man gewohnheitsmäßig den Ausdruck Inneres bei, man spricht von unserer Innenwelt usw. und vergißt, daß es ein Äußeres wohl für den Leib, nicht aber für das Bewußtsein gibt; außer meinem Körper sind die anderen Körper, weil beide im Raum sind; außer meinem Bewußtsein aber ist nichts, was ich in einen räumlichen Gegensatz dazu bringen könnte, dieses »außer« kann dann nur bedeuten »ohne« mein Bewußtsein, und davon weiß ich natürlich nichts.

      Diesen unberechtigten Sprachgebrauch, das Bewußtsein als ein Inneres gegenüber der Körperwelt und diese als ein Äußeres zu bezeichnen, überträgt man nun auch auf die Natur. Dadurch entsteht eine neue Komplikation. Denn im wissenschaftlichen Sinne bedeutet ja Natur nur den gesetzmäßigen Zusammenhang der Vorgänge in Raum und Zeit. Soll nun diesem Zusammenhang auch ein eigenes Bewußtsein entsprechen, wie ich es an meinem Leibe kenne? Und ist vielleicht dieses Bewußtsein der Natur ihr »Inneres«? Also etwa die »Weltseele«? Es ist richtig, mein Leib ist ein Teil der Natur; mein individuelles Bewußtsein ist, darüber kann kein Zweifel bestehen, durchweg abhängig von dem Bau und der Entwickelung meines Leibes, von meiner Organisation, also auch von der Natur. An den Teil der Natur, welchen ich als meinen Leib kenne, finde ich Bewußtsein geknüpft, nämlich das meinige. Sicherlich kommt also wenigstens einem Teil der Natur ebenfalls Bewußtsein zu. Und dann entsteht die Frage, wie kann sich nun mein individuelles Bewußtsein noch von der Natur unterscheiden? Oder sind meine Vorstellungen und Gedanken doch etwas von der Natur ganz und gar Verschiedenes? Wenn sie das nicht wären, wie sollte ich da als Vernunftwesen die Freiheit meiner sittlichen Bestimmung besitzen? Ist nicht vielleicht hier, wo die Gesetzmäßigkeit der Natur und die Freiheit meiner Gedankenwelt konkurrieren, die geheimnisvolle Stelle, wo das Innere der Natur zu suchen ist?

      Gewiß liegt hier ein Hauptpunkt der Frage. Wie gelange ich zu der Natur, die ich erlebe? Bin ich selbst diese Natur, wie kommt es dann, daß ich sie doch als etwas anderes erkenne, als ich selbst bin? Wir stellen also das Problem: In welcher Beziehung steht die Natur zum individuellen Geiste?

      V.

      Objektiv und Subjektiv

      Natur und Geist! Notwendigkeit und Freiheit – das ist der Gegensatz, der uns bei dem Problem der Natur persönlich, für unsere Menschheitswürde, interessiert. Aber wir müssen ihn zunächst einmal beiseite lassen, um einen andern Gegensatz in den Vordergrund zu stellen, der auch darin steckt: Körper und Seele! Dieser betrifft das Interesse der Erkenntnis. Was bedeutet es, daß wir von Objekten sprechen, die von unserm Ich unabhängig sind, und die doch in der Gestalt von Vorstellungen unserm Ich angehören und unsere subjektive Welt bilden?

      Der Mond bewegt sich um die Erde, er existiert; dazu bin ich, nämlich mein individueller Geist nicht nötig. Der Mond kümmert sich nicht um mein individuelles Ich. Diesen Mond nennen wir einen objektiven Teil der Natur, einen Körper im Räume, und er ist es auch. Nun richte ich den Blick auf den Mond und ich sehe ihn; dazu ist der Mond nötig und ich auch, nämlich eine bestimmte, räumlich-zeitliche Gruppierung des Mondes und meines Ich. Diesen Mond, den ich sehe, nennen wir inbezug auf mein Ich eine Wahrnehmung. Drittens endlich, der Mond ist gar nicht zu sehen, ich denke aber an ihn, hierzu bin ich allein nötig; und nicht der Mond, nämlich nicht sein Vorhandensein in derselben Zeit. Diesen Mond nennen wir eine Vorstellung. Die beiden letzteren »Monde« heißen subjektive Erscheinungen, weil ich, d. h. mein Ich, zu ihrer Existenz erforderlich bin. Wodurch unterscheiden sich nun diese drei Monde?

      Den ersten braucht niemand zu sehen, den zweiten sehen viele zugleich, den dritten hab' ich für mich allein.

      Dies besagt nichts anders als: Der objektive Mond bringt Wirkungen hervor – oder, ganz allgemein zu sprechen, er hat Beziehungen, – auf welche ich nicht den geringsten Einfluß habe. Der wahrgenommene Mond kann solche Wirkungen nicht hervorbringen, insofern ich dabei nicht etwa wieder den objektiven Mond, sondern nur seine Beziehung auf mein Ich in Betracht nehme; die Existenz dieser subjektiven Beziehung ist zwar nicht allein von mir abhängig – denn der Mond muß für mein Auge erreichbar sein –, aber sie ist doch auch von mir selbst mit abhängig. Der vorgestellte

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