Wirklichkeiten. Kurd Lasswitz
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Jene Systeme und Systeme von Systemen bezeichnen wir als Körper, ob sie nun im speziellen Atome, Molekeln, Stoffe, Planeten, Sonnensysteme, Organismen, Pflanzen, Tiere oder Menschen heißen. Sie bestimmen sich gegenseitig als Einheiten, und in diesen Einheiten liegt es, daß die Natur sich selbst erleben kann, während die gesetzliche Bestimmtheit der Natur dadurch nicht geändert wird.
Alles dies könnte mechanisch ganz ebenso vor sich gehen, ohne daß bewußte Wesen existierten, ohne daß irgend etwas da wäre, was man Seele oder Geist nennt. Innerhalb der Natur liegt zu letzterem keine Nötigung vor. Die reale Einheit der Systeme ist durch das Gesetz bedingt, wodurch ihre Elemente gegenseitig auf einander bezogen werden. Die Molekeln führen ihre Schwingungen aus, die Energie der Raumteile vollbringt ihren ewigen Wandel, die komplizierten Energiegefühle der Zellen bauen sich zu Organismen auf, im Nervensysteme der Tiere, im Gehirn der Menschen gestaltet sich ein Mechanismus, der die fernsten Wirkungen in Raum und Zeit verbindet und aufspeichert, der in der Wechselwirkung der Gehirne jenes umfassende System herstellt, das wir die Kulturentwickelung der Menschheit nennen. Das ist die Auffassung der Welt, wie sie uns theoretisch als Naturerkenntnis zugänglich ist.
Aber dieses Geschehen in Raum und Zeit besteht nicht bloß in der Einheit des Gesetzes, sondern auch als erlebte Einheit im Bewußtsein individueller Geister. Es ist nämlich unter jenen Systemen eines, von dem ich die unmittelbare Erfahrung habe, daß jene Zusammenhänge in ihrer Einheit erlebt werden, daß sie den Charakter der Bewußtheit besitzen. Dieses System ist mein Leib. Alles, was mit diesem in gesetzliche Beziehung tritt, wird erlebt als mein Ich. Daher weiß ich, daß es Einheiten gibt, in denen die Natur sich selbst erlebt, und daher ist der Begriff einer Weltseele zum mindesten der Natur nicht widersprechend. Nur freilich wie weit dieses Selbsterleben sich ausdehnt, das weiß ich nicht. Ich muß annehmen, daß überall, wo dieselben Einheitsbeziehungen bestehen, auch dieselben Erlebnisse sich einstellen, und ich darf daher erwarten, daß, je näher eine Organisation der meinigen steht, um so ähnlicher auch ihre Seele, ihr Erlebnis dem meinigen ist. Bis wohin sich die Ähnlichkeit erstreckt, läßt sich nur aus dem Verhalten der Systeme schließen. Wenn aber Gründe sich finden sollten, weshalb ich jeder Einheitsbeziehung in der Natur Bewußtheit zuschreiben zu müssen glaubte, so hindert mich nichts daran. Ein menschenähnliches Bewußtsein werden wir dort voraussetzen, wo ähnliche gesetzmäßige Systeme vorhanden sind, also Nervensysteme und Gehirne wie bei uns; denn die Erfahrung lehrt, daß die Einheit unseres Ich nur erlebt wird, insofern die Einheit des Gehirns intakt ist.
Prinzipiell jedoch darf man annehmen, daß überall, wo einheitliche Systeme in der Natur existieren, auch diese Einheiten sich erleben. Nicht nur die Tiere und Pflanzen mögen daher individuelles Bewußtsein besitzen, ebenso wie jede Zelle, auch die Planeten und Sonnensysteme können bewußte Wesen sein, ja selbst jede einfachste physische Wechselwirkung, insofern die Einheit des gesetzlichen Zusammenhangs ihrer Teile vorhanden ist, braucht vom Selbsterlebnis nicht ausgeschlossen zu sein. Entsprechend der komplizierten Wechselwirkung einfacher Systeme in immer höheren Systemen kann man sich auch die Grade des Bewußtseins und die Mannigfaltigkeit des Erlebnisses in unzähligen Stufen geordnet denken.
Das »Erleben« ist somit aufzufassen als die Wechselwirkung selbst, die an einem System, im Zusammenhang mit andern stattfindet. Ich erfahre es nur an dem System, das mein Leib bildet, und zwar erfahre ich es als Tatsache, daß Veränderungen in dem Zustande vor sich gehen, den ich mein Ich, mein eigenes Bewußtsein nenne. Insofern ist Bewußtsein die einzige Form der Existenz, die wir kennen; denn alle Veränderungen der Dinge können wir allein durch solche Angaben beschreiben, wie sie in unserem Bewußtsein enthalten sind, aus Anschauungen des Raumes und der Zeit, Begriffen der Größe, der Qualität, der Abhängigkeit, Empfindungen der Härte, der Farbe, der Wärme usw. Aus diesen Daten des Bewußtseins erst sondert sich im Verlauf der Erfahrung des einzelnen und im Verlauf der Geschichte des menschlichen Denkens eine Gruppe, ein System von Tatsachen heraus, die wir die Natur nennen, weil sie eine Gesetzlichkeit für sich bildet.
Dadurch tritt Natur als eine Realität besonderer Art derjenigen Realität gegenüber, die in unserem Ich als gesetzlich unbestimmt, oder wenigstens für uns nicht bestimmbar, übrig bleibt, und die wir als unser Gefühl bezeichnen. Das Gefühl unterscheidet uns als individuelle Geister innerhalb des Gesamtzusammenhanges der Welt. So trennt sich also innerhalb des Bewußtseins erst das gesetzliche Geschehen der Natur von dem subjektiven Gefühl, und erst in diesem Gegensatze, in welchen das Erlebnis sich spaltet, zeigt sich der gesetzliche Inhalt in Raum und Zeit als Körperwelt neben und zusammen mit jenem Gebiete, das als Vorstellungswelt und Seele seine individuelle Beschaffenheit beibehält. Aber so wenig wir aufhören, Bewußtsein zu haben, weil wir einen Körper besitzen, ebensowenig brauchen wir andern räumlich-zeitlichen Einheiten die Seele abzusprechen. Nur dürfen wir mit diesem Zugeständnis keinen Mißbrauch treiben. Wir dürfen nie vergessen, daß wir aus der Annahme einer Beseelung der Natur absolut keine wissenschaftliche Erklärung der Natur gewinnen können. Denn alles, was die Erkenntnis zu leisten vermag, leistet sie lediglich unter der Voraussetzung der widerspruchslosen Gesetzlichkeit, und diese ist allein in der räumlich-zeitlichen Wechselwirkung anzutreffen. Diese ist ja eben deswegen als Natur vom seelischen Erlebnis abgesondert worden. Es können immer nur andere als naturwissenschaftliche Rücksichten sein, die den Gedanken einer Weltseele nahezulegen vermögen.
Einheitliche Systeme der Natur, wie Molekeln, Organismen, Planeten, mit Bewußtsein begabt zu denken, mag ein berechtigter Analogieschluß sein. Dann müssen wir uns diese Systeme auch stets als individuelle Seelenwesen vorstellen. Es liegt ja im Begriff des Individuums, daß es nur durch die Wechselwirkung mit anderen Individuen existiert, sowohl als physisches System wie als damit identische psychische Einheit. Dürfen wir nun diesen Schluß auch auf das Ganze der Welt übertragen? Dürfen wir von einer Weltseele sprechen in dem Sinne, daß es ein Bewußtsein des Universums gibt?
Das ist eine Frage, deren Beantwortung unmöglich ist, weil schon die Voraussetzung der Totalität des Weltalls jede Erfahrung übersteigt. Die Grenzen, innerhalb deren unsere Begriffe Recht und Geltung besitzen, sind überschritten, weil sie durch keine Anschauung mehr bestätigt werden können. Die Frage kann nur noch so gestellt werden: Gibt es Interessen der Menschheit, die den Glauben an eine Weltseele erfordern? Solche Interessen können Motive des Willens oder des Gefühls sein. Ihnen nachzugehen ist eine Aufgabe für sich. Diesen Fragen ist überhaupt nicht beizukommen, indem man von der Natur ausgeht und sie zum Universum erweitert; denn dann bleibt man immer in den Grenzen von Raum, Zeit und Notwendigkeit. Dann besteht jeder Schritt