Wirklichkeiten. Kurd Lasswitz

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Wirklichkeiten - Kurd Lasswitz

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mit zu der früher erwähnten Vorstellung bei, sich den Raum als Weltseele zu denken. Sobald nun aber die Weltseele durch das mechanische Gesetz verdrängt wurde, sobald die Bewegung der Körper als eine selbständige Form des Seins sich auffassen ließ, konnte die atomistische Struktur der Materie wieder zur Naturerklärung benutzt werden. Und die großen Vorteile dieser Theorie zeigten sich dann sofort. Die Atomistik wurde unter dem Namen der Korpuskulartheorie die herrschende Erklärungsform der Natur im siebzehnten Jahrhundert. Und sie ist es bekanntlich, im großen und ganzen bis heute geblieben. Im siebzehnten Jahrhundert waren es die Philosophen Descartes, Gassendi und Hobbes und die Physiker Boyle, Guericke und Borelli nebst vielen anderen, die der Atomistik zum Siege verhalfen. Ihre wissenschaftliche Vollendung jedoch erhielt sie durch Christian Huygens, gestorben am 8. Juli 1695; er gründete die Gesetze der Atombewegung auf Prinzipien der Mechanik, indem er als Grundgesetze aller Wechselwirkung in der Bewegung der Atome die Erhaltung der Summe der Energie aufstellte. Damit beseitigte er die Einwände, welche gegen die Atomistik auf Grund der Eigenschaften der Atome gemacht zu werden pflegen, weil man sich diese weder starr noch elastisch denken könne. Denn im ersteren Falle könnten sie beim Stoße nicht ihre Bewegung zurückerhalten, im letzteren Falle müßten sie aus verschiebbaren Teilchen bestehen. Merkwürdigerweise kann man diesen Einwurf auch heute noch überall hören. Aber auf die Beschaffenheit der Atome kommt es gar nicht an. Ob die Atome starre Körperchen sind, ob sie sich stoßen, oder nicht, das sind Fragen der Veranschaulichung, die die mathematische Konstruktion der Erscheinungen nichts angehen. Wissenschaftlich kommt es nur darauf an, daß die tatsächlichen Bewegungen im mathematischen Gesetze beschrieben sind, d.h. daß man aus der gegebenen Lage und Bewegung der Teilchen die Lage und Bewegung im nächsten Zeitabschnitt berechnen kann. Einen solchen gesetzlichen Ausdruck hat Huygens für die kinetische Theorie der Materie geliefert, wie ihn Newton in seinen berühmten Fernkräften für die dynamische schuf.

      Alle diese atomistischen Theorien der Materie bedurften nun eines Weltäthers zur Vermittelung der Bewegungen, insbesondere zur Erklärung der Schwere und der kosmischen Bewegungen. Da gibt es zahllose Hypothesen, bald höchst scharfsinnig, bald wunderlich, bald konsequent, bald ganz phantastisch. Hier will ich nur von Huygens erwähnen, daß er zur Erklärung der wesentlichen Naturerscheinungen mehrere Arten von seinen Materien oder Äthern aufstellte, von denen sich bis jetzt nur die eine ihren siegreichen Platz in der Wissenschaft für die Dauer errungen hat und als der Weltäther schlechthin bezeichnet wird; es ist das Huygens' Lichtäther.

      Neben andern unsterblichen Verdiensten um die theoretische wie technische Mechanik – allgemein bekannt ist die Erfindung der Pendeluhr – knüpft sich an den Namen Huygens vor allem die Wellentheorie des Lichts. Indem er annahm, daß der Lichtäther mit seinen Atomen überall zwischen den Poren der wägbaren Körper und im Raum überhaupt sich befände, zeigte er, wie durch Erregung und Fortpflanzung von Schwingungen sich die wesentlichsten bekannten Eigenschaften des Lichts, Reflexion, Brechung, Doppelbrechung erklären ließen. Mit einigen Modifikationen ist diese Hypothese bekanntlich noch immer die Grundlage der mechanischen Theorie des Lichts.

      Während in der Theorie des Lichts die Nachwelt den Gedanken Huygens' gegenüber Newtons Emissionstheorie Recht gegeben hat, war er weniger glücklich, obwohl nicht weniger scharfsinnig, in zwei andern Hypothesen, die dazu dienen sollten, einerseits die Gravitation, andrerseits die Kohäsion zu begreifen. Beide Erscheinungen erklärte er ebenfalls durch Stoß oder Druck der Ätheratome. Anfänglich nahm er als Ursache für die Schwere, welche die Körper zur Erde fallen laßt, ein besonderes Gravitationsfluidum an, dessen Teilchen in allen möglichen Richtungen die Erde umkreisen und die Körper gegen das Zentrum drücken. Nachdem Newton die Identität der irdischen Schwere mit der Kraft, welche die Himmelskörper in ihren Bahnen bewegt, nachgewiesen hatte, dehnte Huygens seinen Gravitationsäther durch das ganze Sonnensystem aus, wobei er jedoch zur Erklärung der Abnahme der Gravitation mit dem Quadrate der Entfernung seine Hypothese ungünstig komplizieren mußte. Er ließ es dann unbestimmt, ob nicht das Gravitationsfluidum mit dem Lichtäther identisch sei. Einen besonderen Äther – wobei sich die verschiedenen Äther immer nur durch die Größe und Bewegung ihrer Teilchen unterschieden – mußte er jedoch zur Erklärung der Kohäsion annehmen, derjenigen Kraft, welche die kleinsten Teile der Körper in ganz anderer Weise verbindet, als es durch die Schwerkraft allein möglich ist. Leider war es ihm nicht vergönnt, die Theorie der Kohäsion so weit durchzuführen, als er es für das Licht und die Schwere ermöglicht hatte. Im Briefwechsel mit Leibniz erwähnt er außer dem Druck des Äthers noch »einen andern Umstand«, den er zur Erklärung der Kohäsion verwenden wolle; aber er hat auf die Anfrage seitens Leibniz nicht mehr angegeben, worin dieser andere Umstand bestehe; es blieb ihm keine Zeit zur weiteren Ausbildung seiner Theorie, da ihn der Tod inzwischen abberief (1695). Wir können nicht ermitteln, was Huygens speziell im Auge gehabt hat.

      So groß dieser Verlust für die Wissenschaft sein mag, jedenfalls bleibt für Huygens das Verdienst, die mechanisch-atomistische Theorie der Natur auf den Höhepunkt geführt zu haben, den sie nach dem Standpunkt der Mathematik am Ende des 17. Jahrhunderts, überhaupt erreichen konnte. Und das Wort, das sein großer Gegner Leibniz an ihn richtete, wird bestehen bleiben: »Von allen, welche jemals die Atome als Behauptung aufrecht erhalten haben, hat, wie ich glaube, es niemand mit größerer Kenntnis der Ursachen getan, und mehr zur Beleuchtung der Sache beigetragen, als Sie, mein Herr.«

      Huygens war der Vollender der Galileischen Gedankenwelt. Galilei hatte die Bewegung des einzelnen Punktes auf Gesetze gegründet und dadurch von der Weltseele emanzipiert. Huygens übertrug diese Emanzipation auf das gleichzeitige Zusammenwirken von Körpern, wie sie z. B. im physischen Pendel, im Stoß der Körper, in der Übertragung der Geschwindigkeiten zwischen Äther- und Körperatomen vorliegt. Anstatt durch die Weltseele wurde die Anpassung der gegenseitigen Bewegungen nunmehr durch Prinzipien der Mechanik bestimmt. Ausreichende Grundgesetze waren aufgestellt, um die Natur als Mechanismus zu definieren, und im Weltäther war das Mittel gefunden, auf mechanische Weise die Wechselwirkung durch den unendlichen Raum zu verbreiten. Wenn später die Fortschritte in der Erforschung der Erfahrungstatsachen zur Energetik, zur elektromagnetischen Lichttheorie und zur Elektronentheorie geführt haben, so beruhen doch auch diese erkenntniskritisch auf denselben Denkmitteln wie die sog. klassische Mechanik, darauf nämlich, daß die Zustände der einzelnen Raumteile und ihre Veränderungen durch Gleichungen zwischen mathematischen Größen gesetzlich zu definieren sind.

      Die Weltseele hatte ihre historische Schuldigkeit getan; sie konnte gehen.

      III.

      Weltseele und Naturgesetz

      Wäre die Naturerkenntnis das einzige Interesse der Menschheit, so hätte mit dem Ende des siebzehnten Jahrhunderts die Weltseele ein für allemal abgedankt werden können. Da aber gerade auf dem psychischen Gebiete der Schwerpunkt des Daseins, nämlich Wert und Zweck des Lebens liegt, so kann die mechanische Auffassung der Natur nicht mehr verlangen, als daß sie für die Naturwissenschaft ihre Selbständigkeit behauptet. So wenig sie sich anmaßen darf, zu einer mechanischen Auffassung der Welt sich auszuwerfen, so wenig darf sie andererseits gestatten, daß ihr die Weltseele wieder unberechtigterweise in ihr Reich der Notwendigkeit des räumlichen und zeitlichen Geschehens hineinpfusche. Daß zu diesem Reiche auch die Tatsachen des organischen Lebens gehören, mag hier nur vorläufig bemerkt werden. Bedürfen dagegen andere Rücksichten der Annahme, daß die Dinge beseelt seien, so steht hierbei kein Recht des Einspruchs zu, so lange nur die Gesetzlichkeit der Natur nicht von der Willkür der Phantasie gestört wird.

      Diese Grenze der mechanischen Naturerklärung wurde nun sogleich durch einen neuen Einbruch der Weltseele in die Herrschaft des Raumes bedroht. Die Prinzipien und Hypothesen von Huygens lieferten zwar eine wissenschaftliche Grundlage der Naturwissenschaft; aber um von ihnen aus noch weiter ins einzelne zu dringen und über die Erscheinungen Rechenschaft zu geben, bedurfte es einer verfeinerten Ausbildung der mathematischen Hilfsmittel. Diese schufen Leibniz und Newton

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