Wirklichkeiten. Kurd Lasswitz
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Es ist keine Frage, daß Newton selbst die Hypothese der unvermittelten Fernwirkung gebilligt hat und sie nicht bloß, wie behauptet worden ist, bei seinen Schülern duldete. Der zweiten Auflage seines grundlegenden Werkes »Mathematische Prinzipien der Naturlehre« ließ er eine längere Vorrede seines Freundes Roger Cotes vorangehen, in welcher die Schwere geradezu eine »einfachste« Ursache genannt ist, von der eine weitere mechanische Erklärung nicht mehr gegeben werden könne. Daß dies Newtons eigener Ansicht entsprach, ist nicht zu widerlegen. Allerdings hatte Newton es unentschieden gelassen, ob vielleicht die Schwere noch auf eine andere Grundlage zurückzuführen sei, nämlich auf die Elastizität eines den Weltraum erfüllenden Äthers. Aber diese Hypothese, die er übrigens nie recht ernst genommen hat, widerspricht nicht der Ansicht, daß, wenngleich noch vielleicht die Schwere, so doch keineswegs die Fernwirkung überhaupt – und auf diese nur kommt es an – mechanisch zu erklären sei. Denn jener elastische Äther übt seine Wirkung nicht durch Druck oder Stoß, sondern durch abstoßende, also fernwirkende Zentralkräfte, die in den Atomen ihren Sitz haben. Das Prinzip der Bewegung bleibt demnach ein übermechanisches, und in einem Briefe an Bentley erkennt Newton ausdrücklich an, daß man die Attraktion in dem ganz allgemeinen Sinne jeder fernwirkenden Kraft verstehen könne.
In diesem Briefe an Bentley findet sich auch die viel zitierte Stelle, die irrtümlich dahin gedeutet worden ist, daß Newton eine fernwirkende Kraft überhaupt für absurd gehalten habe. Sie lautet: »Daß Schwere eine ursprüngliche, inhärente und wesentliche Eigenschaft der Materie sein sollte, so daß ein Körper auf einen anderen in der Entfernung durch den leeren Raum ohne anderweitige Vermittelung wirke, ohne etwas, wodurch seine Wirkung und Kraft übertragen werde, das erscheint mir als eine so große Absurdität, daß ich glaube, niemand, der in philosophischen Dingen ein kompetentes Urteil hat, könne darauf verfallen.«
Aus diesen Worten sind wir, die wir innerhalb der mechanischen Naturauffassung stehen und keine anderen Wirkungen als mechanische in der Naturerklärung zulassen, natürlich gezwungen zu schließen, Newton habe sagen wollen, die Attraktion sei mechanisch zu erklären. Er wollte aber sagen: Die Attraktion ist nicht mechanisch zu erklären, und deshalb darf man sie nicht für eine ursprüngliche Eigenschaft der Materie halten. Der Ton liegt auf dem Wort Materie. Die Tatsache der unvermittelten Attraktion steht für Newton sicher; Materie als »unbeseelter, roher Stoff«, kann nicht in die Ferne wirken; also muß die Attraktion auf einem nicht materiellen Prinzip beruhen, auf einem immateriellen Wesen geistiger Art. Das ist der Schluß, den Newton zog.
Und wo und wie wirkt die Attraktion? Im Raume. Überall ist sie gegenwärtig. Durch keinen Körper läßt sie sich absperren, sie durchdringt die Körper, sie ist mit ihnen zugleich im Raume. Sie wirkt nicht wie Körper in der Berührung, denn für die Berührung wäre die Oberfläche maßgebend; sie wirkt proportional der Masse, also nach Maßgabe des ganzen vom Körper erfüllten Raumes. Sie ist immateriell und doch im Raume, kein Körper und doch Körper bewegend – also wirkt sie wie ein den Raum durchdringender und erfüllender Geist. Und sie wirkt durch den ganzen unendlichen Raum in unendliche Ferne; also ist sie Wirkung des unendlichen Geistes, der die Einheit der gesamten Welt durch seine Tätigkeit umfaßt und ordnet. Attraktion, Feinwirkung, Raum, Gott als Weltseele, das sind nur verschiedene Ausdrücke für denselben Gedanken: das Prinzip der Wechselwirkung. Das ist Mores Philosophie im Newtonschen Gewande.
Newton war ein streng kirchlich gesinnter Mann; nichts konnte ihm willkommener sein als ein Ausweg, die mathematische Naturauffassung, die er durch seine Lebensarbeit wie wenig andere gefördert hatte, vor dem dogmatischen Materialismus zu bewahren, der sich aus ihr mit Notwendigkeit zu ergeben schien. Und er war eine mystisch angelegte Natur, wie die Richtung seiner Studien in seinen letzten Lebensjahren zeigt. So ist es zu verstehen, daß ihm der Gedanke behagte: Die Wechselwirkung der Körper beruht im letzten Grunde auf einer geistigen Natur des Raumes, in welcher die weltordnende Macht des Schöpfers selbst als Weltseele zur Geltung kommt.
So hat denn die Weltseele triumphiert über das mechanische Gesetz. Und so hätte Platon Recht behalten, wenn er ein geistiges Prinzip als das Mittel erklärte, wodurch die Wechselwirkung der sinnlichen Erscheinungen allein zu verstehen sei? Dann gäbe es in der Tat keine naturwissenschaftliche Erkenntnis der Dinge, und nur wahrscheinliche Vermutung wäre gestattet über die Realität der Empfindung, nicht eine Wissenschaft, sondern ein geziemendes und verständiges Spiel? Dann wäre die Arbeit des siebzehnten Jahrhunderts nur ein solches Spiel gewesen?
So liegt die Sache doch nicht, und das war auch Newtons Meinung keineswegs. Der Mann, der das stolze Wort sprach, »Hypothesen ersinne ich nicht«, konnte unmöglich sein eigenes Werk durch eine Hypothese vernichten wollen, welche die Naturerkenntnis aufhob. Nicht in einem Kreise führt die neue Auffassung der Weltseele zur alten zurück, nein, wie in einer Schraubenlinie hat sich das Verständnis der Natur auf eine weitere Stufe erhoben. Von hier vermag es auf seine eigene Bahn zurückzuschauen und zu erkennen, daß diese Bahn zwar aus der Macht des Bewußtseins nicht hinausführt, aber innerhalb derselben durch ihr eigenes Gesetz bestimmt ist. Die Weltseele, die im letzten Grunde die Wechselwirkung bedingen soll, ist allerdings kein Gegenstand der Erkenntnis, aber sie soll es und braucht es auch nicht zu sein. Sie ist ein Gegenstand des Glaubens, und alle Realität beruht zuletzt auf einem Glauben, auf einer inneren Gewißheit des Gefühls; denn alles, was die Erkenntnis zu leisten vermag, ist Widerspruchslosigkeit ihres Inhalts; daß aber nur die Widerspruchslosigkeit uns zu befriedigen, uns Sicherheit im eigenen Bewußtsein zu geben vermag, das ist eine ursprüngliche Realität, die nicht wieder aus der Erkenntnis stammt; daß die Naturgesetze widerspruchslos sein müssen, setzen wir voraus. Und nur insoweit wird, selbst in der Newtonschen Auffassung der Wechselwirkung, der Glaube in Anspruch genommen. Die Weltseele als Bedingung der Wechselwirkung bedeutet jetzt nur, daß es Naturgesetze gibt; das ist eine Realität von jener Ordnung, zu der auch unser eigenes Bewußtsein gehört. Aber es gibt Naturgesetze. Dies ist der Schritt, den das moderne Bewußtsein in der Zeit von Galilei bis Newton über Plato hinausgetan hat; das ist die Sicherung der Naturwissenschaft.
Newton sah als Mensch und gläubiger Christ in der Natur ein Mittel für die Zwecke Gottes. Aber als der Mathematiker und Physiker, als der er zu den unsterblichen Begründern der Naturwissenschaft gehört, sah er in der Natur das von Gott geordnete Gebiet einer undurchdringlichen Gesetzlichkeit und in der Erfahrung und Rechnung das Mittel, diese Gesetzlichkeit in das Bewußtsein der Menschheit zu heben. Die Natur hat in der Übertragung der Bewegung nach mathematisch formulierten Gesetzen ihre eigene Realität; nur aus dieser ist sie zu erkennen, nicht aus Hypothesen über die Wechselwirkung, sei es durch Ätherstöße oder Fernwirkung, sei es durch eine Weltseele. Darüber wollte Newton keine Hypothesen bilden, weil die Aufgabe der Naturwissenschaft allein darin besteht, den Stoff der sinnlichen Erfahrung in der Form des Gesetzes zum allgemeingültigen Objekt, zum Gegenstand der Erkenntnis zu machen. Physik wollte er, keine Metaphysik, sofern es sich um Naturwissenschaft handelt. Aber wo er nicht Naturforscher ist, sondern Mensch, da kann das Erkennen nicht genügen, da fühlt er auch, und da glaubt er an die göttliche Macht, die in den Dingen waltet. Doch nicht in der Art Platons. Die Weltseele bewegt nicht mehr die Körper. Die Körper bewegen sich, selbst. Dies ist der Unterschied: Die Realitäten sind gesondert. Die Natur ist selbständig. Das Gesetz der Wechselwirkung ist ein mathematisches Gesetz in den Dingen selbst. Was wir darüber hinaus von der Wechselwirkung glauben, geht die Naturwissenschaft nichts an.
Diesen Standpunkt hat Newton in seinen naturwissenschaftlichen Schriften überall streng innegehalten. Er hat darin durch sein Forschen und seinen Glauben nach einem Prinzip gehandelt, das hundert Jahre nach ihm Immanuel Kant der Menschheit zum klaren Bewußtsein gebracht hat als die Methode, wodurch Kultur überhaupt möglich wird, weil sie Grenzen und Rechte bestimmt für Erkenntnis und Glauben. In Raum und Zeit herrscht die Notwendigkeit des Gesetzes, unberührbar von unserem Wollen und Fühlen, und soweit reicht Erkenntnis; aber