Die Witwe des Millionärs. Laura Lippman
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Читать онлайн книгу Die Witwe des Millionärs - Laura Lippman страница 13
»Meine Pullover? Wollmäuse?«
»Deinen Stoff. Dein Dope. Gras. Mary Jane. Ganja. Das rauchbare Kraut aus den Siebzigern, das derzeit ein Comeback erlebt, wie es in der New York Times so schön heißt, wann immer sie eine dieser ›Was wurde eigentlich aus Marihuana?‹-Geschichten bringen. Zufrieden?«
»Ach das. Ich hab nichts mehr gekauft, seit ich für Tyner arbeite, weil es doch illegal ist. Liegt am Job.« Eine Halbwahrheit. Tyner hatte nur etwas gegen Marihuana, weil es die Fähigkeit der Lunge verringerte, Sauerstoff aufzunehmen.
Whitney aber schaute so traurig, dass Tess Mitleid mit ihr bekam. »Ein bisschen hab ich aber noch. Ich habe es aufgehoben.«
»Hol’s schon raus. Und lass uns eine Pizza bei BOP oder Al Pacino’s bestellen. Liefern die?«
»An Kittys Adresse schon.«
Eine Stunde später schnüffelte Esskay in zwei fettigen Schachteln in der Ecke der Terrasse, sie knabberte an Peperonistücken und Whitneys übrig gebliebenem Pizzarand. Die Nacht war überhaupt nicht frühlingshaft, aber Tess und Whitney wärmten sich an Bourbon und Pizza und teilten sich den zweiten Nachtisch-Joint. Vergangenheit und Jetzt verschmolzen miteinander. Sie hätten genauso gut im Washington College sein können, rauchend am Ufer des Chester River.
Der Joint war fast alle. Whitney bastelte einen Stummelhalter aus einem Anstecker an ihrem Blazer. »Ich mag deinen Toy-Boy Crow, aber ich bin froh, dass er heute nicht hier ist«, sagte sie und hustete leise. »Ich wollte dich mal für mich haben. Das gibt mir das Gefühl, wieder neunzehn zu sein. Ach, und das.« Sie zog noch einmal.
»Ich hab dasselbe gedacht. Nur waren die Nächte an der Ostküste so dunkel, und hier ist es so hell. Ist dir jemals aufgefallen, dass die Stadt von hier aus wie radioaktiv aussieht? Dieses verschmierte Glühen von den Straßenlaternen, die Verbrechen verhindern sollen, und das ganze Neon.«
»Worüber haben wir auf dem College gesprochen in all den Nächten, in denen wir geraucht, getrunken und geredet haben?«
»Über den Unterricht, unser Liebesleben, unsere Zukunft. Ich wollte eine klasse Reporterin werden, du wolltest Tokio-Korrespondentin der New York Times werden. Aber du kannst es immerhin noch schaffen. Außerdem haben wir Botticelli gespielt. Erinnerst du dich?«
»Du nennst es Botticelli. In meiner Familie heißt es ›Bist du ein gerissener österreichischer Diplomat?‹ Und du hast die unglaublichsten Leute genommen.«
»Jackie Mason ist überhaupt nicht unglaublich, Whitney.«
Tess war dran. Sie inhalierte. Es war kein besonders guter Stoff. Sie hatte leichtes Kopfweh genau zwischen den Augenbrauen bekommen. Als gute Gastgeberin überließ sie ihrer Besucherin den letzten Zug. Whitney zog noch einmal an dem Joint-Stummel, dann warf sie die Überreste vom Dach, in den Dreck der Straße dort unten – zerbrochene Flaschen, gebrauchte Kondome, Süßigkeiten, Papier.
»Du hast also gestern Nacht mit Feeney getrunken«, sagte sie plötzlich. »Hat er irgendwas Wichtiges gesagt?«
»Du kennst doch Feeney. Manchmal kriegst du den ganzen Abend kein Wort aus ihm raus.«
Whitney grunzte. »Das Einzige, was man aus ihm rauskriegt, sind Peinlichkeiten.« Sie hob ihre Hand an die Lippen, dann wurde ihr klar, dass der Joint alle war, und so steckte sie nur ihren Anstecker wieder an den Aufschlag. »Er hat dir von seiner Story erzählt, oder? Deswegen hast du mich heute danach gefragt.«
»Er hat mir erzählt, dass sie am Tropf hinge und die Woche nicht schaffen würde.« Spikes Gesicht tauchte in ihrem Kopf auf, und plötzlich fühlte sie sich schlecht für diese herzlose Metapher.
»So war es auch.«
»Und dann?«
»Die größte Wiederauferstehung, die es in dieser Stadt seit Jesus oder dem letzten Gouverneur gegeben hat, je nachdem, wie man die Welt sieht. Am Nachmittag wurde die Story gestrichen, aber in der Nacht ist sie für eine Ausgabe wieder auferstanden. Eine Ausgabe reichte. Der Nachtredakteur der Associated Press hat sie über den Ticker geschickt, danach gab es kein Zurück mehr. Alle haben sich darauf gestürzt, alle zitieren den Beacon.«
»Und wieso nur eine Ausgabe?«
»Gute Frage. Eine von vielen, die heute im Büro gestellt wurden.« Whitney schaute ihr genau in die Augen. »Sie sollte nicht erscheinen, Tess. Nicht heute. Vielleicht nie. Aber jemand hat dafür gesorgt.«
»Was ist passiert? Du solltest es wissen, du kriegst doch irgendwann einen Pulitzer für Redaktionstratsch.«
»Ich hätte lieber einen Job im Fernen Osten, einen in Hawaii oder einen Preis von Alicia Patterson für junge Journalisten«, sagte Whitney, als wäre Pulitzer das einzige Wort, das sie gehört hatte: Einen Moment lang schien sie nachzudenken, vielleicht sah sie sich durch den Orient streifen, wortwörtlich einen Kopf größer als der Rest der Bevölkerung. Sie zwinkerte und kehrte zurück nach Baltimore, zu Tess, aufs Dach.
»Ich weiß tatsächlich ein bisschen was darüber. Ich hab’s alles vom Chef, mit dem ich mich heute getroffen habe. Chefredakteur Lionel C. Mabry höchstselbst.«
»Kenne ich den?«
»Er ist vor neun Monaten zu uns gekommen, sie haben ihn aus seiner Frührente an der Northwestern University geholt. War CR beim Chicago Democrat, als da alles gut lief. Die Reporter nennen ihn den Löwenkönig, weil er eine blonde Haarmähne und große Geheimratsecken hat. Sie nennen ihn aber auch den Lügenkönig, weil er die Angewohnheit hat, nett zu einem zu sein, dann aber ins Meeting zu gehen und einem ein Messer in den Rücken zu rammen. Ein langes elegantes, verdammt scharfes Messer.«
»Doch nicht in deinen knochigen Rücken, Whitney. Chefs lieben dich.«
»Die alten schon. Aber Mabry kennt meine Reportergeschichten nicht, und er hat mitzureden, wer im Sommer in das Büro nach Tokio geht. Ich bin durchaus eine Kandidatin, aber sicher ist nichts. Nicht mal annähernd.«
Whitney runzelte die Stirn. Sie schaute erstaunt, ungefähr so wie damals, als sie zum ersten Mal einem Pessach-Essen bei der Familie von Tess’ Mutter beigewohnt hatte. »Das ist kein Meerrettich«, hatte sie höflich gesagt und mit ihrem Löffel gegen die krumme Wurzel gestoßen. »Meerrettich gibt’s im Glas.« Niemand hatte gewagt, ihr zu widersprechen.
Tess schenkte Whitney noch etwas Bourbon ein. »Du wirst ihn schon für dich einnehmen.«
»Oder dran verrecken. Gestern habe ich an ihm die Fahrstuhltechnik ausprobiert.«
»Was ist das, ein Blowjob aus der Cosmo?«
»Na ja, es ist keine Fellatio, aber tatsächlich ist es eine Art Oralsex.« Whitney rückte vor auf die Stuhlkante und nahm einen Schluck Bourbon; die Beine hatte sie an den Knöcheln übereinandergeschlagen. »Es gibt die Theorie, dass der wichtigste Augenblick deiner Karriere die dreißig Sekunden sind, die man mit dem Chef im Fahrstuhl verbringt – oder im Flur oder auf dem Klo, wobei mir das nur selten passiert. Da hört er einem zu, und man sollte sich darauf vorbereiten, so wie man sich auf mündliche Prüfungen am College vorbereitet, oder so wie man für ein Rennen trainiert, damit es einem in Fleisch und Blut übergeht.«
»Was sollte man vorbereiten?«
»Deine