Elfenzeit 6: Zeiterbe. Uschi Zietsch

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Elfenzeit 6: Zeiterbe - Uschi Zietsch Elfenzeit

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zu gelangen, stand er auf, trat auf den Gang und ließ sie höflich gewähren.

      David konnte allein am Sitz seiner Anzugjacke erkennen, dass seine Kleidung nicht von der Stange war. Die Schuhe glänzten frisch poliert und am rechten Handgelenk funkelte das Armband einer protzigen Markenuhr. Eine kleine Überraschung, denn seinem Seitenprofil nach zu urteilen war er relativ jung. Keine dreißig und schon im Big Business. Also offensichtlich ein Mann mit Talent.

      »Hallo. Mein Name ist Rian Bonet. Mein Bruder und ich sind das erste Mal nach Rennes unterwegs«, plapperte Rian drauflos, als sie sich gesetzt hatten. »Um die Sehenswürdigkeiten der Bretagne zu besichtigen. Es soll da ja nur so vor magisch-mystischen Orten wimmeln!«

      »Ravi de vous rencontrer. Angenehm, Mademoiselle«, antwortete der Franzose. »Mein Name ist Philippe Bourdieu.«

      Erneut strich er sich über seine perfekt gestylten Haare, drehte sich ein Stücken weiter zu ihr herum und präsentierte David damit seinen Rücken. »Frankreich, und vor allem die Bretagne, ist immer eine Reise wert«, fuhr er fort und David fiel das erste Mal seine überraschend raue Stimme auf. Hatte er sein Alter unterschätzt?

      Während er noch grübelte, sah er, wie seine Schwester den Kopf auf diese typisch lasziv-provokante Art neigte und sich ein klein wenig vorbeugte. »Was für ein wohlklingender, starker Name. Dann kennen Sie sich wohl in der Gegend um Rennes aus, Philippe?«

      »Das tu ich in der Tat«, antwortete er fast schon entschuldigend, aber mit spürbarer Leidenschaft hinter seinen Worten. »Meine Familie stammt aus Lorient und hat ein Ferienhaus in der Nähe von Josslin, etwas weiter östlich und nicht direkt am Meer gelegen. Aber der Ort ist ein Kleinod historischer Baukunst.«

      »Das klingt wunderbar!«, jauchzte Rian. »Vielleicht kommen wir auf unserem Weg ja bei Ihnen vorbei und Sie können mir die besten Plätze in der Umgebung zeigen? Solche, die nicht im Tourismusführer stehen?«

      Mit siegesgewissem Lächeln sah sie zu David hinüber und zwinkerte. Langsam dämmerte ihm, worauf das hinauslaufen sollte. Sie war dabei, ihnen eine Mitfahrgelegenheit zu organisieren. Diesmal ganz ohne Elfenzauber, allein mit den Waffen einer Frau.

      »Es wäre mir eine Freude! Ach, was sag ich! Es wäre mir ein wahrhaftiges Vergnügen, Sie an die Hand nehmen zu dürfen. Es gibt so wundervolle Flecken dort. Ich würde mit Ihnen am Flussufer des Oust entlang spazieren, Sie in das Schloss der Rohan entführen und Ihnen die Schätze zeigen, die sich dort in den endlosen Regalen der imposanten Bibliothek finden lassen.« Philippe beugte sich nun ebenfalls verschwörerisch vor. »Jetzt im Sommer sind auch viele der anderen Räumlichkeiten offen zu besichtigen, die sonst nur von den Abkömmlingen der bretonischen Könige bewohnt werden.«

      »Von richtigen Königen? Dann sind Sie wohl auch einer, wenn Sie dort so einfach hineindürfen«, witzelte Rian mit kindlich-unschuldigen Kichern.

      Der Kerl aalte sich sichtlich in ihrer Aufmerksamkeit und David betete einmal mehr darum, dass sie bald in Rennes landen würden.

      Doch Zeit war eine widerspenstige Sache. Immer, wenn man wünschte, dass sie schneller lief, tat sie das genaue Gegenteil. Der Flug schien endlos zu dauern. David drückte sich tiefer in den Sitz und stierte durch das Seitenfenster in den trüber werdenden Himmel. Das weiße Wolkenmeer hatte sich zu einer Hügellandschaft aus Grautönen aufgebauscht. Vereinzelte Regentropfen klatschten gegen die Scheibe und zogen auf dem Glas ihre Bahn, bis sie sich in sich selbst verloren hatten.

      Als die Maschine endlich landete, hatte sich das Wetter zu einem eindrucksvollen Gewitter zusammengebraut. Ein grauschwarzes Monster, das von Westen her näherkam. Wenn David sich also nicht gänzlich irrte, würden sie direkt darauf zu steuern und mitten hineinfahren müssen, um nach Paimpont zu gelangen.

      »Keine Sorge, mein Mietwagen wird direkt an den Ausgang des Terminals gebracht«, erklärte Philippe Bourdieu und führte Rian beflissentlich Richtung Zollkontrolle, während David gemächlich folgte.

      Das Gepäck des Franzosen bestand aus einem kleinen Rollkoffer, den er mit in die Passagierkabine gebracht hatte. Ihres bestand aus dem, was sie in den Taschen trugen. Und versteckt am Gürtel. Damit war der Weg frei, um den Flughafen zügig zu verlassen.

      Wie von Rians neuem Verehrer versprochen, stand sein bestellter Wagen bereits bereit. Eine funkelnagelneue schwarze Limousine mit getönten Scheiben und Ledersitzen.

      Sehr angenehm. Dies versprach nicht nur ein trockenes, sondern auch ein außerordentlich bequemes Plätzchen auf der Rückbank, während Rian vorne für die gute Laune ihres rekrutierten Chauffeurs sorgen würde.

      Philippe steuerte den Wagen routiniert von der Flughafenumgehung auf die Autobahn 24 Richtung Lorient und damit indirekt auf Paimpont zu. Im Radio dudelten typisch französische Chansons, während von draußen der Regen unerbittlich herniederprasselte. Rian hatte es mit ihrer unvergleichlichen Art geschafft, Philippe dazu zu überreden, einen Zwischenstopp an ihrem Zielort einzulegen.

      Das in der Fahrzeugkonsole eingelassene Navigationsgerät zeigte für die eingetragene Strecke eine Fahrtzeit von knapp einer Stunde an. Für David hieß das, einmal mehr quälende Warterei und Nichtstun, während seine Gedanken zurück zu Nadja drifteten. Immer wieder stellte er sich dieselben Fragen.

      Was mochte der Getreue nur mit ihr vorhaben? Was er getan hatte, war Hochverrat an seiner Königin.

      Die Dunkle Königin und ihre Eroberungspläne. Auch das war etwas, mit dem sie sich beschäftigen mussten, sobald sie den Auftrag der Dame vom See erledigt hatten. Seit der Getreue Bandorchu mit Hilfe des Zeitgrabs in Newgrange zurück und in diese Welt geholt hatte, standen die Tore zum Schattenland offen.

      Die einstige Königin von Earrach hatte nicht nur ihr Exil verlassen, sie hatte eine ganze Armee mitgebracht. Genau wie Fanmór, der sich dank Pirx gerade noch rechtzeitig auf dem Schlachtfeld gegen sie gestellt hatte.

      Der Kampf war eher ein Kräftemessen gewesen. Am Ende hatte die Dunkle Königin sich zurückgezogen. Wohin, das wussten aktuell nur ihre Anhänger.

      Und der Getreue hatte sich gar nicht erst daran beteiligt, sondern war mit Nadja verschwunden. Vielleicht gehört ihre Entführung zu einem viel größeren Plan, den sie alle nur noch nicht durchschaut hatten. Möglicherweise war es eine Finte, um sie abzulenken. Fortzulocken und blind für die im Hintergrund ablaufenden Geschehnisse zu machen. Aber welche mochten das sein?

      David knurrte vor Ärger so laut auf, dass Philippe am Steuer zusammenfuhr und David sich einen bösen Blick seiner Schwester einfing.

      »Ignorier meinen Bruder einfach, Phil. Manchmal hat er diese Anfälle. Aber keine Angst, er ist harmlos«, beschwichtigte sie den Hasenfuß mit ihrem charmantesten Lächeln, während sie mit ihrer Hand sein Knie tätschelte.

      David musste gegen seinen Willen grinsen. Die Menschen waren schon ein seltsames Volk. Manche so mutig und andere so schwach. Natürlich war Nadja genau genommen eine Halbelfe, aber ihre Mutter Julia Oreso war es nicht. Und gerade sie hatte, genau wie ihre Tochter, bewiesen, wie stark ein so zierliches, sterbliches Wesen sein konnte. Ihre Autorität lief zwei Schritte voraus. Diese Frau bekam für gewöhnlich, was sie wollte. Nur, dass sie dafür keine Elfenmagie einsetzte.

      »Am besten, ihr nehmt euch ein Zimmer im Le Relais De Brocéliande. Da seid ihr mitten im Zentrum der Stadt und könnt einige der Sehenswürdigkeiten zu Fuß erreichen. Das angeschlossene Restaurant hat einen guten Ruf«, erklärte Philippe ihnen, während er die Autobahn wieder verließ und auf die Landstraße Nummer 773 Richtung Norden abbog.

      Wenige Minuten später

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