Aufbruch in die Dunkelheit. Mark Stichler

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Aufbruch in die Dunkelheit - Mark Stichler страница 11

Автор:
Серия:
Издательство:
Aufbruch in die Dunkelheit - Mark Stichler

Скачать книгу

ab.

      Alles in allem machte der Raum einen etwas schmuddeligen, abgewohnten Eindruck. Zigarrendunst hing in der Luft. Der ‚neue‘ Club, ging es Eduard durch den Kopf. Er kannte einen Club in Frankfurt und einen in Berlin, die sich beide durch mehr Gepflegtheit und Akkuratesse auszeichneten, obwohl sie schon lange nicht mehr neu waren. Aber der Nationale Club war anfangs ja auch mehr als ein Treffpunkt Gleichgesinnter geplant, nicht als ein mondäner Club. Er sollte einer, wie Maarsen es in seinen unregelmäßig erscheinenden Beiträgen bezeichnete, die er Streitschriften nannte, unterdrückten konservativ-nationalen und bürgerlichen Bewegung eine Stimme geben, ein Sprachrohr sein.

      Der heutige Vortrag, zu dem Eduard von seinem Chef Dr. Köhning eingeladen war, behandelte die Problematik Deutsch-Ostafrikas, die Kolonialtruppen und ihren Fortschritt in der Kultivierung und Urbarmachung des Landes. Dr. Köhning hatte ein starkes Interesse an den Kolonien. Er selbst hatte dort schon ein Brückenprojekt realisiert und war beim Bau, wie er gern und anekdotenreich erzählte, auf allerhand Schwierigkeiten gestoßen. Den Vortrag hielt Kurt Weidenmann, ein früherer Mitarbeiter Carl Peters’, mit dem Dr. Köhning persönlich bekannt war.

      Eduard sah sich um und entdeckte ein paar bekannte Gesichter, aber auch viele ihm gänzlich unbekannte. Der Raum war einigermaßen gefüllt, die Mehrzahl der Leute schien schon in den angrenzenden Vortragssaal hinübergewandert zu sein. Es präsentierte sich ihm eine erstaunlich bunt gemischte Gesellschaft. Neben ein paar wenigen Honoratioren Waldbrüggs waren auch einige zwielichtige Gestalten unter den Gästen, deren Fracks schon bessere Tage gesehen hatten. An den Türen drückten sich ein paar junge Kerle herum, die den Eindruck erweckten, als seien sie nicht zum Zuhören gekommen. Sie standen für sich und warfen nur ab und zu flüchtige Blicke auf die Anwesenden. Eduard fragte sich, ob sie als so etwas wie Türsteher fungieren sollten. Doch bevor er sie näher unter die Lupe nehmen konnte, entdeckte er Dr. Köhning, der aus dem Vortragssaal auf ihn zueilte.

      Sein Chef war ein hochgewachsener Mann mit kerzengerader Haltung, vollen Haaren, deren Schläfen schon etwas grau geworden waren, und einem gepflegten Backenbart. Dr. Köhning wirkte eigentlich immer gleich akkurat und gepflegt, gleichgültig ob man ihn auf einer Abendgesellschaft oder mittags auf einer Baustelle antraf. Auf seinen Anzügen schien kein Stäubchen haften zu bleiben, seine Hemden und Kragen wiesen nie die Spur einer Falte auf.

      „Mein lieber Escher“, rief er jovial. „Schön, dass Sie es einrichten konnten …“ Er schüttelte Eduard kräftig die Hand.

      „Aber das ist doch selbstverständlich“, erwiderte Eduard höflich. „Ein interessantes Thema … Guten Abend, Doktor.“

      Dr. Köhning musterte ihn kurz.

      „Sehr interessant“, bekräftigte er dann und nickte. „In der Tat. Kommen Sie. Ich stelle Sie dem Referenten vor. Ich kenne ihn aus Deutsch-Ostafrika. Wie Sie wissen, hatte ich einige Monate dort zu tun und das Glück, nicht nur Kurt Weidenmann, sondern auch den großen Carl Peters kennenzulernen.“

      Eduard lächelte zurückhaltend.

      „Ich weiß, ich weiß“, fuhr Dr. Köhning gut gelaunt fort. „Peters ist nicht unumstritten. Aber ich sage Ihnen … Wenn Sie ihn kennenlernten … Er würde Ihnen gefallen.“ Er wurde ernster. „Und es ist unbestritten, was er für unser Land getan hat und immer noch tut.“

      „Sicher“, erwiderte Eduard. „Ich bin gespannt auf den Vortrag.“

      „Ja, ja.“ Dr. Köhning warf einen Blick auf seine Uhr. „Es geht gleich los. Vielleicht verschieben wir die Vorstellung auf nach dem Vortrag.“

      Beinahe alle, die sich noch im Raum befanden, strebten bereits dem angrenzenden Vortragssaal zu. Nur ein älterer Herr drehte sich noch einmal um und kam auf Eduard und Dr. Köhning zu.

      „Eduard“, sagte er mit lauter, etwas brüchiger, rasselnder Stimme, die klang, als würde er zu viel rauchen. „Eduard Escher. Es stimmt doch? Mit Ihnen hätte ich hier und heute nicht gerechnet.“

      „Professor Nehringer.“ Eduard verbeugte sich artig vor dem Professor, seinem und Hans’ ehemaligen Lehrer am Gymnasium in Waldbrügg. „Ich freue mich, Sie zu sehen. Wie geht es Ihnen?“

      „Gut, gut“, erwiderte der Professor. „Wenn nur nicht der ständige Husten wäre …“ Er strich sich über seinen grauen Bart, dessen Spitzen gelb waren und als weiteres Indiz dafür zu werten waren, dass er zu viel rauchte.

      Eduard stellte seinen Chef und Professor Nehringer einander vor. Gleichzeitig überlegte er, ob der Professor tatsächlich ein Professor war oder ob sich der Titel über die Generationen von Schülern, die durch seine Hände gewandert waren, einfach als eine Art Spitzname eingebürgert hatte. Als Ehrentitel, ohne dass Nehringer jemals promoviert hätte. Der Professor jedenfalls hatte noch nie gegen diesen Titel Einspruch erhoben, und da er in Kürze in Pension gehen würde, war es ja auch nicht mehr weiter relevant.

      „Aber, meine Herren, gehen wir doch hinein“, sagte Dr. Köhning, nachdem die beiden sich die Hände geschüttelt hatten. „Sie schließen schon die Türen …“ Eilig betraten die drei den Saal. Eduard warf noch einen Blick zurück in den Raum. Die Kerle, die an der Tür gestanden hatten, machten keine Anstalten, den Saal ebenfalls zu betreten. Es schien, als hätten sie durchaus mehrere Funktionen, ohne dass sie jedoch genau definiert waren. Dann schlossen sie die Türen.

      Im Saal herrschte ein ziemliches Stimmengewirr. Es waren erstaunlich viele Leute zu Weidenmanns Vortrag erschienen. Die Kolonien in Afrika schienen in Waldbrügg auf ein breites Interesse zu stoßen. Andererseits war, wie Hans und Simon ja nicht müde wurden zu betonen, in Waldbrügg nicht sehr viel los und Eduard selbst zog es aus demselben Grund ja auch mit Macht weg von dieser Stadt. Die Leute gingen ihren Geschäften und Berufen nach, verbrachten die Abende zu Hause, gingen bei schönem Wetter am Fluss spazieren und ab und zu ins Wirtshaus. Da konnte es schon reizen, einmal den Duft der großen Welt zu schnuppern, dem Pioniergeist der Kolonialisten nachzuspüren, Teil von Deutschlands Größe zu sein, auch wenn es eben nur in Form eines Berichts war.

      Eduard, Dr. Köhning und Professor Nehringer postierten sich am Rand, unter einer Balustrade, die von schmalen Säulen gestützt wurde, etwa in der Mitte des Saals. Von dort hatte man einen vergleichsweise guten Blick aufs Podium, auf dem zwei Männer standen. Den einen kannte Eduard vom Sehen. Das musste Michael Maarsen sein, Journalist, Publizist und Verleger von eigenen Gnaden, der erst letztes Jahr in die Stadt gekommen war. Er war ungefähr gleichzeitig mit dem Baubeginn der Brücke angekommen, fiel Eduard ein, als hätte dieser Zufall eine tiefere Bedeutung. Mit seinem neuen Nationalen Club und den Schriften, die er seitdem in unregelmäßigen Abständen verbreitete, hatte Maarsen einen ziemlichen Aufruhr verursacht. Es ging dabei viel um Gesellschaft, um Wirtschaft und Politik, hauptsächlich aber um die deutsche Nation und das deutsche Volk. Die Reinheit des deutschen Volkes schien ihm in besonderem Maße am Herzen zu liegen.

      Innerhalb kurzer Zeit hatte er sich zum Lieblingsfeind von Hans, Simon und Ava gemausert und auch Eduard stand Maarsen sehr skeptisch gegenüber. Begegnet waren sie sich bisher noch nie.

      Maarsen war auf der Bühne sichtlich um das Flair des künstlerischen Bohemiens bemüht. Er hatte sich eine weiche, fließende Krawatte umgebunden, die seinen Hals mehr wie ein Schal umschloss. Sein Jackett war weit geschnitten, wohl um seinen deutlichen Bauchansatz etwas zu kaschieren. Seine blonden, an den Schläfen schon schütteren Haare fielen ihm bei jeder seiner ruckartigen Bewegungen in die Stirn. Ständig wischte er sie mit einer ungeduldigen Handbewegung nach hinten, während er letzte Vorbereitungen für den Herrn neben ihm traf. Kurt Weidenmann, der mit dem exotischen Hauch des Afrikareisenden die vielen Zuschauer wohl angezogen hatte, wirkte neben Maarsen ruhig, unaufgeregt, fast bieder. Er trug einen unscheinbaren grauen Anzug und legte seine steife Schiffermütze

Скачать книгу