Aufbruch in die Dunkelheit. Mark Stichler
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Читать онлайн книгу Aufbruch in die Dunkelheit - Mark Stichler страница 7
Mandelbaum seufzte.
„Eigentlich geht’s mir ganz gut“, erwiderte er und fuhr sich mit einer schnellen Geste über die Augen, als wolle er die Müdigkeit vertreiben. „Aber meine Schwester …“ Er vollendete den Satz nicht.
Escher runzelte die Stirn.
„Jella oder Lea?“, fragte er.
„Lea“, sagte Mandelbaum. „Es geht ihr sehr schlecht und ich glaube …“ Wieder brachte er den Satz nicht zu Ende. „Jella geht es jedenfalls gut. Das nehme ich zumindest an“, fuhr er stattdessen fort. „Ich habe schon länger nichts mehr von ihr gehört und das ist bei ihr immer ein gutes Zeichen. Ich habe ihr jetzt allerdings wegen Lea geschrieben und hoffe, bald eine Nachricht zu bekommen.“
„Lebt sie noch in Frankfurt?“, fragte Escher. Er hatte sie schon lange Jahre nicht mehr gesehen. In ihrer Jugend war Jella eine sehr schöne Frau gewesen. Escher erinnerte sich ganz dunkel an etwas, das man damals wohl einen Skandal genannt hatte. Die junge Jüdin und … Hatte sie eine Affäre gehabt? Auf jeden Fall hatte sie Waldbrügg nach dieser Geschichte sehr überstürzt verlassen. Ihm war es offensichtlich nicht wichtig genug gewesen. Er wusste es nicht mehr. Das alles mochte mindestens zwanzig Jahre her sein.
„Ja, natürlich“, sagte Mandelbaum. „Keine zehn Pferde würden sie von dort wegbringen. Aber ich denke, dass sie uns sicher bald besuchen kommt. Es gibt ja noch einen Grund.“ Er räusperte sich. „Einen erfreulichen. Ava wird heiraten.“
Escher sah ihn erstaunt an.
„Deine Tochter? Ist sie …“ Irritiert fuhr er sich mit einer schnellen Handbewegung über seinen Bart. „Sie ist im gleichen Alter wie Hans, nicht wahr?“
„Sie wird einundzwanzig“, erwiderte Mandelbaum. „Es wird Zeit. Sie hat einen jungen Mann aus der Möbelmanufaktur kennengelernt. Er ist einer meiner tüchtigsten Mitarbeiter.“ Er räusperte sich noch einmal und setzte dann ein leichtes Lächeln auf. „Ich freue mich sehr, dass du dich nach meiner Familie erkundigst, Franz“, fuhr er fort und zögerte. „Aber … Du hast sicher noch etwas anderes auf dem Herzen, nicht wahr? Sagst du mir, was so wichtig ist, um dafür einen offiziellen Termin im Rathaus zu vereinbaren? Ich nehme an, du hast mich aus einem bestimmten Grund hierherbestellt.“
Escher betrachtete ihn einen Augenblick aufmerksam. Er war sich nicht sicher, ob Mandelbaum wegen des Termins besorgt war oder ob er sich im Gegenteil ein klein wenig über ihn amüsierte. Er spürte einen leisen Ärger in sich aufsteigen. Sein Blick wanderte auf die Baupläne vor sich.
„Nun“, sagte er streng. „Es gibt Dinge, die man nicht kurz bei einer zufälligen Begegnung auf der Straße bespricht.“ Den ganzen Vormittag hatte er versucht, sich eine Strategie, eine Vorgehensweise zurechtzulegen, und wusste jetzt doch nicht, wie er die Sache richtig angehen sollte. Aber er hatte ein Thema, das Mandelbaum interessieren könnte, einen kleinen Umweg, der ihn indirekt, aber vielleicht doch zum Ziel bringen würde, und beschloss, es einfach aufs Geratewohl zu versuchen. „Es ist eine heikle Angelegenheit.“
Eine Pause entstand, während der Escher konzentriert auf seinen Schreibtisch blickte. Mandelbaum schlug die Beine übereinander und wartete geduldig.
„Wie du vielleicht schon weißt, soll in naher Zukunft die allgemeine Gewerbesteuer für Unternehmen eingeführt werden“, fuhr Escher unvermittelt mit lauter Stimme fort. Mandelbaum zuckte zusammen. Es war das erste Anzeichen überhaupt, dass er nervös sein könnte. Escher registrierte es zufrieden. „Und es steht zu befürchten, dass demnächst auch eine Vermögenssteuer eingeführt wird.“ Er sah von seinem Schreibtisch auf. „Auf die Vermögenssteuer habe ich – also, die Gemeinde – aller Voraussicht nach keinen Einfluss. Auf die Gewerbesteuer aber sehr wohl …“
Mandelbaum runzelte die Stirn.
„Ich habe von den Plänen der Regierung für eine Steuerreform gehört“, sagte er, nachdem Escher seinen Satz nicht zu Ende brachte. „Worauf willst du hinaus? Mir scheint das neue System etwas klarer, sogar gerechter zu sein als das alte.“
„Mag sein“, erwiderte Escher und lächelte verschmitzt. „Auf jeden Fall bietet es den Gemeinden mehr Flexibilität. Sollte die Steuerreform wie angekündigt kommen, dann fällt die Gewerbesteuer direkt der Stadt zu. Und ich denke, wir können da vielleicht im einen oder anderen Fall und an der einen oder anderen Stelle ein Auge zudrücken.“
Mandelbaum sah Escher nachdenklich an, als würde er überlegen, was er ihm eigentlich sagen wollte.
„Das neue Gesetz scheint für uns alle zum Vorteil zu sein“, meinte er schließlich vorsichtig.
„Nun ja.“ Der alte Escher lachte. „Zuerst einmal bedeuten Steuern Kosten. Und jeder Betrieb wünscht sich doch möglichst wenig davon, nicht wahr? Es sieht beinahe so aus, als würden die Unternehmer stärker belastet als bisher.“
„Möglich.“ Mandelbaum schien sich immer noch nicht im Klaren darüber zu sein, auf was Escher hinauswollte. „Aber wenn davon Bauvorhaben wie unsere neue Brücke finanziert werden, finde ich es eine sinnvolle Ausgabe für die Betriebe. Vielleicht wird es dadurch irgendwann auch möglich, die Ausfallstraßen endlich besser zu befestigen …“
Escher machte ein unzufriedenes Gesicht.
„Ja, ja“, erwiderte er eilig und winkte ab. Er hatte Mandelbaum nicht hergebeten, um Tipps für die Verwendung der städtischen Finanzen zu bekommen. „Vielleicht … Ich kann dir jedenfalls eins versichern: Nicht alle Unternehmen werden den Höchstsatz zahlen müssen. Ich habe vor, ein paar Ausnahmen durchzusetzen. Du wirst sehen.“
„Ja.“ Mandelbaum seufzte. „Wie gesagt, ich habe nichts dagegen, Steuern zu zahlen, die für sinnvolle Projekte verwendet werden. Aber wir müssen doch noch abwarten, ob die Steuer überhaupt wie geplant kommt. Ich habe den Eindruck, als wären nicht alle in der Regierung wirklich überzeugt von dieser Reform.“
Escher beugte sich vor und sah Mandelbaum in die Augen.
„Sie wird kommen“, sagte er fest. „Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.“ Er erhob sich. „Die Steuer wird noch in diesem Jahr eingeführt. Und ich wollte dich wissen lassen, dass es deinem Geschäft nicht zum Nachteil gereichen wird. Wir sind seit Langem Geschäftspartner … und Freunde. Nicht wahr?“
„Ja. Sicher“, erwiderte Mandelbaum zögernd. Er erhob sich ebenfalls und ging langsam zur Tür. „Das ist nett von dir.“
Der alte Escher verdrehte die Augen, aber Mandelbaum bemerkte es nicht. Er drückte die Klinke hinunter.
„Jakob“, sagte Escher in vertraulichem Ton. „Lass es dir in Ruhe durch den Kopf gehen. Wir haben doch lange gut zusammengearbeitet. Bestimmt finden wir bald einmal wieder die Gelegenheit dazu. Du weißt, meine Stoffe sind die besten der ganzen Gegend.“
Mandelbaum sagte nichts. Er lächelte und nickte leicht. Doch dieses Nicken hatte nichts zu sagen, das spürte Escher genau. Es war entweder der zunehmenden Senilität Mandelbaums geschuldet oder seinem schlauen Abwägen, was das Beste für ihn sein mochte.
„Bestimmt. Auf Wiedersehen“, sagte Mandelbaum denn auch unverbindlich. „Es war schön, dich wieder einmal zu sehen.“
„Ja“, erwiderte Escher ungehalten. „Das war es. Denk über meine Worte nach.“
Als Mandelbaum sein Büro verlassen hatte, schüttelte