Flucht nach Mattingley Hall. Nicola Vollkommer
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Читать онлайн книгу Flucht nach Mattingley Hall - Nicola Vollkommer страница 22
Nach den langen Stunden Regen war die Erde gesättigt, die Bäche am Straßenrand hatten sich in kleine Flüsse verwandelt, das Gehöft des Kutschhauses war mit Pfützen übersät. Ein erster Sonnenstrahl durchdrang schwach den Nebel. Keine Wolken waren am Himmel zu sehen. Es würde ein klarer Tag werden.
Jasmin zog sich in eine ruhige Ecke des Besuchersalons zurück. Hier pflegten gut betuchte Reisende sich auszuruhen, wenn sie nicht über Nacht bleiben wollten, sondern lediglich eine Pause einlegten, bis ihr Kutscher zur Weiterfahrt bereit war.
»Irgendwelche Wünsche, Ma’am? Wollen Sie nicht näher ans Feuer? Der Regen hat alles abgekühlt, es hängt hier drin noch eine feuchte Luft.«
Es war ein schläfriger Dienstbote, den Jasmin im düsteren Morgenlicht zunächst nicht gesehen hatte. Er schürte die Glut im Kamin und machte sich daran, die dicken Samtvorhänge zur Seite zu ziehen.
»Papier, Feder und Tinte bitte«, antwortete Jasmin. »Ich muss einen Brief schreiben.«
»Sofort, Ma’am.«
Mein lieber Hubertus!
Wie soll ich nur beginnen? Seit gestern ist für mich eine Welt zusammengebrochen. Ich schäme mich zutiefst. Als du mich so empört angeschaut hast, wäre ich am allerliebsten im Erdboden versunken und nie wieder in dieser Welt aufgetaucht. Wie kann ich meinen unverzeihlichen Fehltritt jemals wiedergutmachen? Ich bin ohne Vorwarnung in dein Leben hineingeplatzt und habe dich in größte Verlegenheit gebracht, als du mitten in einer wichtigen Besprechung warst. Wie kannst du mich jemals wieder liebhaben? Zu allem Übel haben sich mein Kutscher und mein Dienstmädchen gegen mich gewandt, sie widersprechen meinen ausdrücklichen Wünschen und drohen damit, mich bei meinem Vater schlechtzumachen. Ich bin am Boden zerstört. Was soll ich nur tun? Mein Leben liegt in Scherben. Zum ersten Mal seit Langem falle ich auf die Knie und flehe zu Gott, dass er mir meine Torheit vergeben möge. Wie viel würde ich geben, um deinen zärtlichen Blick …
Der Dienstbote verließ den Raum, während sie schrieb. Sobald sie merkte, dass sie allein war, legte sie ihre Feder auf den Tisch und ihren müden Kopf auf ihre verschränkten Arme und ließ ihrem Kummer freien Lauf. Sie schluchzte so heftig, dass ihr nicht auffiel, dass die Tür zum Hof sich öffnete und vorsichtig wieder geschlossen wurde. Erst als sie hinter ihrem Rücken leise Fußtritte hörte und ihre Nase einen vertrauten Duft wahrnahm, drehte sie sich auf ihrem Sitz um. Ihr Magen verkrampfte sich, sie schlug sich erschrocken die Hand vor den Mund, um nicht laut aufzuschreien.
»Hubertus, was, wie in aller Welt …?«
Bevor sie Zeit hatte, an seinen Blicken und Gesten zu prüfen, ob er ihr gegenüber immer noch kühl und abweisend war, kniete er sich neben sie, nahm sie in seine Arme, grub sein Gesicht in ihre Haare und presste ihren bebenden Körper fest an sein Herz. So langsam ließen ihre Tränen nach. Sie drückte ihn sanft von sich und blickte hoch in sein Gesicht.
»Wie hast du uns gefunden?«, flüsterte sie.
Er legte seinen Zeigefinger sanft auf ihre Nase.
»Die Liebe hat mich geführt. Und mein Pferd. Obwohl es fast ein Rennpferd gebraucht hätte, euch einzuholen.«
»Du hast dich nicht einmal umgezogen, Hubertus!«
In der Tat trug er unter seinem Mantel immer noch den Gehrock und die Weste vom Vortag. Seine Augen waren feucht und rot umrandet. Er holte ein Tuch aus seiner Hosentasche und tupfte Jasmins Gesicht ab, danach sein eigenes.
Ohne ein Wort zu sagen, nahm er ihren Briefbogen in die Hand und las ihre Worte, während Jasmin ihm mit den Fingern durch die Haare fuhr.
»Es ist wie ein Zauber«, sagte sie mit zittriger Stimme. »Gerade habe ich geschrieben, dass ich alles geben würde, um deinen zärtlichen Blick zu sehen. Ich wollte unsere Verlobung auflösen, so sehr habe ich mich geschämt. Aber Gott hört auf Gebet. Kaum habe ich ihn um Hilfe gebeten, schon antwortet er.«
Hubertus legte seine Hände auf Jasmins Schultern und lächelte sie an.
»Dann sagen wir einfach, es war Gott. Meine süße Jasmin, ich bitte dich um Vergebung. Es war ein Missverständnis. Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist. Ich habe dich nicht richtig wahrgenommen, ich war gerade mit ganz anderen Gedanken und Sorgen beschäftigt.«
»Nein, nein, es war meine Schuld, Hubertus. Ich bitte um Vergebung. Ich wusste doch, dass du ein viel beschäftigter Mann bist. Ich hätte dir vorher eine Nachricht schreiben sollen, dich fragen, ob es dir gelegen ist, dass ich komme. Es tut mir so leid, dich in Verlegenheit gebracht zu haben! Aber ich war in solcher Not, und du hast gesagt, ich könne jederzeit kommen.«
»Kannst du auch, meine Liebe. Es war so unaufmerksam von mir. Wir hatten gerade einen unglücklichen Vorfall im Haus.«
Sein Blick wurde plötzlich ernst.
»Du hast an der Tür gestanden, als ich eine wichtige Besprechung geführt habe. Sag mir, meine Liebe, hast du irgendetwas gehört, was dich vielleicht belastet, dir Angst gemacht hat?«
Er suchte ihr Gesicht mit durchdringenden Augen und berührte ihre Wange mit seinen Lippen.
»Ich war zu betrübt, um irgendetwas zu hören, Hubertus. Außer dass du Angst um das Wohlergehen deiner Leute hattest. Ich hoffe, das Problem ist behoben worden.«
Hubertus schien erleichtert. Er stand auf, klopfte seinen Gehrock zurecht, griff nach Jasmins Händen und zog sie hoch.
»Ich hatte die Befürchtung, dass dieser Schurke Fellham dir vielleicht wieder Angst eingejagt hatte. Aber schau, die Morgensonne strahlt. Gehen wir kurz an die frische Luft und plaudern ein wenig! Hinter dem Gasthof ist ein Garten!«
Gerade als sie den Salon verlassen wollten, erschien Adam an der Tür.
»Die Kutsche steht zur Abfahrt bereit, die Pferde sind eingespannt, Mylady, wir haben uns beeilt.«
Er verbeugte sich kurz. »Sir«, fügte er hinzu.
»Adam, du kannst dich etwas länger ausruhen. Mr Argyle hat uns eingeholt.«
»Ich habe ihn ankommen sehen, Mylady.«
»Wir haben etwas miteinander zu bereden. Ich unterrichte dich, wenn ich weiterfahren will. Nancy ist sicherlich auch froh über eine längere Ruhezeit.«
Sie machte Anstalten, sich an ihm vorbeizuschieben, um zur Tür zu gelangen. Adam stellte sich vor sie hin.
»Mylady, das geht nicht. Die Pferde sind ungeduldig, Nancy wartet schon auf dem Fahrersitz und wird vielmehr froh sein, wieder in Kebworth zu sein. Wir haben Ihren Wünschen Folge geleistet.«
Jasmin stemmte die Hände in die Hüften.
»Adam, du vergisst wieder deine Stellung. Gerade eben wolltest du noch eine längere Pause machen, jetzt plötzlich willst du gleich fahren. Das soll ein Mensch begreifen?«
»Aber Sie wollten doch …«
Jasmin ließ ihn nicht ausreden.
»Ein paar Minuten hältst du es wohl noch