Emma. Jane Austen
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»Ich, mein Liebster?« rief seine Frau, die nur teilweise gehört und verstanden hatte. »Sprechen Sie von mir? Niemand dürfte und kann auch überzeugter für den Ehestand eintreten als ich; und ohne die schmerzliche Trennung von Hartfield hielte ich Miss Taylor für die glücklichste Frau auf Erden. Und Mr. Weston geringschätzen? Den trefflichen Mr. Weston? Ich wüßte nichts, was man ihm nicht gönnte. Ich glaube, er ist einer der gutmütigsten Menschen, die je gelebt haben. Außer Ihnen und Ihrem Bruder kenne ich niemanden, der so umgänglich ist. Nie vergesse ich, wie er an dem windigen Tag letzte Ostern für Henry den Drachen steigen ließ; und seit er im September vorm Jahr so überaus gütig war und mir um Mitternacht noch, um mich zu beruhigen, das Briefchen schrieb, in Cobham sei kein Scharlach – seitdem bin ich überzeugt, daß es weit und breit kein so mitfühlendes Herz und keinen besseren Menschen gibt. Wenn ihn jemand verdient, so gewiß Miss Taylor.«
»Wo ist eigentlich der junge Mann?« fragte Mr. John Knightley. »Ist er zu diesem Anlaß hergekommen?«
»Er ist noch nicht hiergewesen«, erwiderte Emma. »Man erwartete ziemlich sicher, er würde bald nach der Hochzeit kommen, aber es wurde nichts draus; und in letzter Zeit habe ich nichts mehr über ihn gehört.«
»Aber du solltest ihnen von seinem Brief erzählen, mein liebes Kind«, sagte ihr Vater. »Er hat an die arme Mrs. Weston geschrieben, um ihr zu gratulieren, einen sehr höflichen, netten Brief. Sie hat ihn mir gezeigt. Ich fand es wirklich sehr anständig von ihm. Ob es seine eigene Idee war, weiß ich nicht. Er ist noch sehr jung. Vielleicht hat sein Onkel . . .«
»Mein lieber Papa, er ist dreiundzwanzig! Sie vergessen, wie die Zeit vergeht.«
»Dreiundzwanzig? Wirklich? Nun, das hätte ich nicht gedacht – und er war erst zwei Jahre alt, als er seine arme Mutter verlor! Ja, die Zeit fliegt geradezu vorbei! Und mein Gedächtnis ist sehr schlecht geworden. Jedenfalls war es ein ausgesprochen schöner, netter Brief und hat Mr. und Mrs. Weston viel Freude gemacht. Ich entsinne mich, daß er in Weymouth geschrieben war, datiert vom 28. September, und er fing an: ›Meine liebe gnädige Frau . . .‹, aber ich habe vergessen, wie es weiterging; und er war mit ›F. C. Weston Churchill‹ unterzeichnet. Das weiß ich noch genau.«
»Wie erfreulich und anständig von ihm!« rief die weichherzige Mrs. John Knightley. »Er muß ein sehr liebenswürdiger junger Mann sein. Aber wie traurig, daß er nicht zu Hause bei seinem Vater leben kann! Es ist etwas so Empörendes, ein Kind von seinen Eltern und aus seinem natürlichen Heim zu entfernen! Ich werde nie begreifen, wie Mr. Weston sich von ihm trennen konnte. Das eigene Kind wegzugeben! Ich kann wirklich von keinem Menschen gut denken, der jemandem so einen Vorschlag macht.«
»Von den Churchills hat nie jemand Gutes gedacht, möchte ich annehmen«, bemerkte Mr. John Knightley kühl. »Aber Sie brauchen nicht zu glauben, Mr. Weston wäre es so nahegegangen, wie es Ihnen ginge, wenn Sie Henry oder John weggeben sollten. Mr. Weston ist eher ein leichtherziger, lebenslustiger Mensch als ein Mann von tiefem Gefühl; er nimmt die Dinge, wie sie sind, und gewinnt ihnen irgendwie eine erfreuliche Seite ab. Ich vermute, er braucht zu seinem Behagen mehr, was man so Geselligkeit nennt, das heißt, daß er mit seinen Nachbarn tafeln und zechen und fünfmal in der Woche Whist spielen kann, als Familienbande und was das Heim zu bieten hat.«
Diese an einen Tadel grenzende Bemerkung ging Emma gegen den Strich, und sie hatte nicht übel Lust zu einer Entgegnung, aber sie bezwang sich und ließ es durchgehen. Sie wollte möglichst den Frieden wahren. Auch verdiente die Neigung ihres Schwagers, auf das übliche gesellschaftliche Treiben und die Leute, die es wichtig nahmen, herabzusehen, alle Nachsicht, denn sie entsprang einer ehrenwerten und sehr zu schätzenden Eigenschaft: er lebte ganz seiner Familie, und sein Heim war ihm alles.
Zwölftes Kapitel
Zum Dinner wurde Mr. Knightley erwartet – wovon Mr. Woodhouse sehr wenig erbaut war, denn er teilte den ersten Tag mit Isabella nicht gern mit einem andern. Emmas Gerechtigkeitssinn hatte jedoch so entschieden; neben der Erwägung, daß man es beiden Brüdern schuldig war, spielte freilich auch, im Gedanken an die letzte Unstimmigkeit zwischen Mr. Knightley und ihr, das Vergnügen mit, ihn eigens einzuladen.
Sie wünschte, sie wären wieder gut Freund miteinander. Es wurde Zeit, fand sie, daß sie sich versöhnten. Freilich hatte es mit der Versöhnung seine Schwierigkeiten. Sie war jedenfalls nicht im Unrecht gewesen, und er würde nie zugeben, daß er unrecht hatte. Zugeständnisse kamen nicht in Frage, aber man konnte sich den Anschein geben, als habe man den Streit vergessen. Und sie hoffte, es werde ihre Freundschaft leichter wiederherstellen, wenn er sie beim Eintreten mit einem der Kinder auf dem Schoß erblickte – dem jüngsten, einem niedlichen Mädelchen von ungefähr acht Monaten, das seinen ersten Besuch in Hartfield machte und sich glücklich auf dem Arm seiner Tante schaukeln ließ. Es half wirklich; denn wenn er anfangs auch ernst dreinschaute und kurz angebunden war, kehrte er doch bald zu dem altvertrauten Ton zurück und nahm mit der ganzen Ungezwungenheit echter Freundschaft das Kind aus ihren Armen. Emma fühlte, sie waren einander wieder gut. Erst war sie darüber nur tief befriedigt, dann aber wurde sie keck, und als er das Kleine bewunderte, konnte sie sich nicht enthalten zu sagen: »Wie tröstlich, daß wir wenigstens über unsre Neffen und Nichten einig sind. Über Männer und Frauen gehen unsre Meinungen manchmal weit auseinander, aber über diese Kinder sind wir nie uneins, wie ich sehe.«
»Wenn Sie sich in Ihren Ansichten über Männer und Frauen ebenso von Ihrem natürlichen Empfinden leiten ließen und auch so ohne phantastische Flausen mit ihnen umgingen wie mit diesen Kindern, dürften wir immer einer Meinung sein.«
»Natürlich! Unsre Zwistigkeiten kommen immer daher, daß ich unrecht habe.«
»Ja«, sagte er lächelnd, »und aus gutem Grund. Ich war sechzehn Jahre alt, als Sie geboren wurden.«
»Ein wesentlicher Unterschied – damals«, erwiderte sie; »und zweifellos waren Sie mir in dem Alter an Urteilskraft himmelweit überlegen. Aber sind wir uns nicht im Lauf von einundzwanzig Jahren darin viel nähergekommen?«
»Ja! Näher wohl!«
»Aber doch nicht nah genug, daß ich auch einmal recht haben könnte, wenn wir geteilter Meinung sind.«
»Ich habe Ihnen immer noch sechzehn Jahre an Erfahrung voraus – und daß ich keine hübsche junge Dame und kein verwöhntes Kind bin. Kommen Sie, meine liebe Emma, wir wollen uns wieder vertragen und nicht mehr darüber sprechen. Sag deiner Tante, Emmakindchen, sie soll dir ein besseres Beispiel geben, als alten Groll wieder auszugraben; sag ihr, selbst wenn sie vorher nicht im Unrecht gewesen wäre, so sei sie’s jetzt.«
»Das ist wahr!« rief sie. »Sehr wahr! Emmakind, wachse zu einem besseren Mädchen heran, als deine Tante es ist. Werde unendlich viel gescheiter und nicht halb so eingebildet. Jetzt, Mr. Knightley, nur noch ein oder zwei Worte, und ich bin fertig. Was den guten Willen angeht, sind wir beide im Recht; und ich muß sagen, daß mein Standpunkt sich bisher noch nicht als falsch erwiesen hat. Ich möchte nur wissen, ob Mr. Martin nicht allzu bitter enttäuscht ist.«
»Ein Mann kann nicht bitterer enttäuscht werden«, gab er kurz und bündig zur Antwort.
»Ach, das bekümmert mich sehr! Kommen Sie, geben Sie mir die Hand!«
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