Mehrsprachigkeit und das Politische. Группа авторов

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der occasio, der Gelegenheit, die man beim Schopfe ergreifen muss, machen dies deutlich. Dieser heikle GegenwartsbezugGegenwartGegenwartsbezug des politischenPolitik/politicspolitisch/political Handelns hat heute oft langwierige Streitigkeiten um Tagesordnungen, Wahltermine etc. zur Folge, aber er bedingt auch, dass beispielsweise das Dasein eines Revolutionärs oft aus nichts als langem Warten besteht. Kurzum: das Problem, das eigene Handeln mit prinzipiell unvorhersehbaren Umweltprozessen so synchronisieren zu müssen, dass man seine Ziele erreichen kann, stellt sich für politischePolitik/politicspolitisch/political Bewegungen jeglicher Couleur.1

      Ich kann an dieser Stelle keine ausgearbeitete Theorie des politischenPolitik/politicspolitisch/political Umgangs mit Zeit entfalten, noch kann ich erschöpfend behandeln, welche Folgen das Problem der ZeitgemäßheitZeitgemäßheit und des GegenwartsbezugsGegenwartGegenwartsbezug für das politischePolitik/politicspolitisch/political Engagement von Literatur im allgemeinen hat. Ich möchte nur darauf hinweisen, dass im Falle der Literatur die medialen Rahmenbedingungen zusätzliche Komplikationen mit sich bringen. Das hängt zum einen mit den Bedingungen von SchriftlichkeitSchriftSchriftlichkeit zusammen. Eine Intervention qua SchriftSchrift kann den Zeitpunkt, zu dem sie stattfindet, nur bedingt selbst bestimmen. Papier ist geduldig, und wann wer was liest, weiß man vorher nie. Literatur wendet sich daher immer schon an viele unterschiedliche Gegenwarten. Das dies riskant ist, weiß schon der Sokrates aus Platons Phaidros (275 c). Zum anderen führt das für Literatur charakteristische Engagement von Einbildungskraft und Phantasie zu potentiellen Kontrollverlusten. Wir wissen bekanntlich nie, wohin uns Einbildungskraft und Phantasie, wenn wir uns ihnen einmal überlassen, führen werden – und wie viel größer ist das Risiko, wenn wir die Produkte unserer Einbildungskraft dann auch noch anderen überlassen.2

      Damit ist ein Problem benannt, das sich für das politischePolitik/politicspolitisch/political Engagement von Literatur mit Blick auf ihren GegenwartsbezugGegenwartGegenwartsbezug ergibt – wie auch immer unzureichend und verkürzt. Wie verhält sich dieses Problem zur Frage der SprachvielfaltSprachvielfalt? Einen ersten Hinweis auf dieses Verhältnis kann man den Grundannahmen der RhetorikRhetorik/rhetoric entnehmen. Denn die Anpassung einer Rede an die jeweilige Situation, die Frage des aptumaptum, ist dort immer schon (auch) eine Frage der richtigen Auswahl der sprachlichen Mittel, die – sonst könnte man nicht auswählen – immer schon als vielfältig vorgestellt sind. Man muss, wie man dann sagt, die richtige Sprache finden. Man meint damit zwar im allgemeinen nicht die Auswahl zum Beispiel zwischen DeutschDeutschlandDeutsch und UngarischUngarisch. Aber ich möchte im Folgenden argumentieren, dass zwischen dieser Auswahl und derjenigen der richtigen sprachlichen Mittel zumindest eine funktionale Äquivalenz besteht.

      Das wird besonders dann deutlich, wenn man die Frage nach der SprachvielfaltSprachvielfalt systematisch zusammendenkt mit derjenigen der Sprachentwicklung. Sprachvielfalt ist immer Ergebnis von Sprachentwicklung, und Sprachentwicklung findet potentiell in jedem Moment von SprachgebrauchSprachgebrauch statt.3 Der engagierte, also auf eine Wirkung bedachte Gebrauch sprachlicher Mittel ist potentiell immer auch auf Sprachentwicklung, auf die zeitgemäßeZeitgemäßheitzeitgemäß Veränderung von Sprache aus und wirkt damit an der Gestaltung von Sprachvielfalt mit. Der GegenwartsbezugGegenwartGegenwartsbezug von Literatur besteht daher immer auch darin, dass sie auf Sprache selbst einwirkt und Sprache verändert. Sie möchte Zeitfenster und Gelegenheiten nutzen, um neue Sprache, zeitgemäßereZeitgemäßheitzeitgemäß Sprechweisen zu etablieren. Das politischePolitik/politicspolitisch/political Moment des literarischen Umgangs mit Sprachvielfalt besteht also auch darin, dass der Umgang mit der Zeitlichkeit von Sprache zugleich ein Umgang mit ihrer Vielfalt ist und umgekehrt.

      2 Andere Sprachen I: Das Paradox der SynchronieSynchronie (SaussureSaussure, Ferdinand de)

      Bevor ich zu meinen literarischen Beispielen komme, möchte ich in einem ersten Schritt einige theoretische Vorüberlegungen anstellen. Sie betreffen weit verbreitete Vorstellungen davon, was unter einer Sprache zu verstehen sei – Vorstellungen, die ihrer Wirkmächtigkeit zum Trotz daran hindern, das politischePolitik/politicspolitisch/political Moment literarischer SprachvielfaltSprachvielfalt voll in den Blick zu bekommen.

      Es gehört zum Gemeinwissen der Geschichte der LinguistikLinguistik, dass sowohl Ferdinand de SaussureSaussure, Ferdinand de als auch die strukturalistische Saussure-Rezeption die aus dem 19. Jahrhundert herrührende, eng mit der MetapherMetapher/metaphor der MutterspracheMuttersprache/mother tongue verbundene Beschreibung von EinzelsprachenEinzelsprache als Quasi-Organismen, an deren Wachstum man dann interessiert war, ablehnen.1 Saussure – und ich spreche hier in erster Linie von dem Saussure der Notizbücher, nicht von dem Saussure des Cours2 – hat unter anderem darauf hingewiesen, dass zwar einerseits der Sprachwandel, dem sich der Großteil der Sprachforschung des 19. Jahrhunderts gewidmet hatte, erklären kann, woraus sich gegebene SprachstrukturenSprachstrukturen entwickelt haben; dass andererseits aber diese ‚Erklärung‘ nichts darüber aussagt, wie wirkliche Sprecherinnen mit ‚ihrer‘ Sprache umgehen (Saussure 2003: 285–29). Die Beschreibung des Zustands der Sprache hat so betrachtet mit der Beschreibung der Geschichte der Sprache nichts zu tun, obwohl die Möglichkeitsbedingungen des Sprechens und die Sprachgeschichte zugleich wechselseitig aufeinander bezogen sind. Dabei macht Saussure gerade das Sprechen (paroleparole) in seiner jeweiligen situativen GegenwärtigkeitGegenwartGegenwärtigkeit für den Sprachwandel verantwortlich: Das Sprechen greift zwar rekursiv auf la languelangue als Bedingung seiner Möglichkeit zurück, ist aber zugleich selbst Bedingung der Möglichkeit für deren Reproduktion und kann sie jederzeit verändern, ohne dass die Sprecher dies wiederum jemals planen könnten. Die Einheit der Sprache erweist sich damit als paradoxe Gleichzeitigkeit von Kontinuität und Diskontinuität: Weil man immer weiter spricht, verändert sich die Sprache (Saussure 2003: 251). Sprache ist zu ihrer Fortsetzung dauernd auf „Identitätsurteil[e]“ (Saussure 2003: 298) der Sprecherinnen angewiesen, die (synchron) auf ein Gegebenes verweisen, das sie zugleich (diachron) womöglich modifizieren. Die langue, von der Saussure in den Notizbüchern spricht, ist daher eine durch und durch paradoxale Bezugsgröße. Sie hat als soziale Tatsache keinen festen Ort, an dem sie auffindbar wäre. Sie muss zwar durchgängig als konkret wirksame soziale Tatsache vorgestellt werden, doch ihre Rekonstruktion in Form von Regelwerken löst sie gerade aus dem dynamischen sozialen Zusammenhang, innerhalb dessen allein sie hier und jetzt existiert, heraus.

      Diese Einsicht SaussuresSaussure, Ferdinand de wird in der Bearbeitung der Vorlesungsmitschriften, die dem Cours zugrundeliegen, überdeckt. Vor allem aber hat die auf dem Cours aufbauende strukturalistische LinguistikLinguistik die Paradoxie des languelangue-Begriffs weitgehend dadurch ausgeblendet, dass sie ihn in erster Linie auf EinzelsprachenEinzelsprache bezogen und diese wiederum als abgelöst von jeder soziokulturellen und historischenhistorisch Bindung betrachtet hat. Der Saussure der Notizen spricht aber nicht zufällig durchgängig von la languelangue – und eben nicht von une langue oder von langueslangue im Plural (vgl. Stockhammer 2014: 348–352). Er denkt keinesfalls daran, der synchronen Sprachwissenschaft die Aufgabe zu geben, auf der Grundlage entweder von Korpusanalysen oder von muttersprachlicher Introspektion jeweils die unterschiedlichen langueslangue an sich zu rekonstruieren, die Sprecher benutzen, um einzelsprachige parolesparole zu produzieren. Eher hätte la langue, auf Saussures Notizen aufbauend, auch als etwas Nicht-Einsprachiges gedacht werden könnte, etwa so, wie sich Jacques DerridaDerrida, Jacques (1996) die „EinsprachigkeitEinsprachigkeit des Anderen“ vorstellt – als singuläre, aber in sich vielgestaltige Sprachfähigkeit des Einzelnen (in diesem Sinne: „Einsprachigkeit …“), die zugleich vollständig auf die Einflussnahme der sehr unterschiedlichen Sprechweisen vieler anderer Sprecher zurückgeht (in diesem Sinne: „… des Anderen“).

      Die Geschichte der LinguistikLinguistik und der Sprachphilosophie hat viele Versuche gesehen, die von SaussureSaussure, Ferdinand de in den Blick genommene paradoxale Zeitlichkeit von Sprache in den Griff zu bekommen. Besonders bekannt ist Wilhelm von HumboldtsHumboldt, Wilhelm von Rede von ergon und energeia, also dem systematischen Aspekt von Sprache, ihrer Orientierung an ‚Regeln‘ einerseits und ihrem kreativen, potentiell die

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