Mehrsprachigkeit und das Politische. Группа авторов

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impliziert aber nicht nur eine Systematisierung des Regelwerks der lettischenLettland/Latvialettisch Sprache, sondern auch ihrer Fortbildung in Auseinandersetzung mit anderen Sprachen. LettischLettland/LatviaLettisch/Latvian soll eine eigenständige Sprache nach dem Modell des DeutschenDeutschlandDeutsch und anderer europäischerEuropaeuropäisch NationalsprachenNationNationalsprache werden – es geht Alunāns, so gesehen, um die Selbstermächtigung eines kolonialisierten IdiomsIdiom, er sucht den Anschluss an die (sprachliche) Moderne EuropasEuropa. Diesem Ziel dienen die ÜbersetzungenÜbersetzung/translation, die einen ähnlichen Modernisierungsschub initiieren wollen wie Herders VolksliederVolkVolkslied. Alunāns möchte eine gewisse formale Bandbreite zur Schau stellen und legt Wert darauf, den Übersetzungscharakter der Texte, selbst wenn die Originale größtenteils beigegeben sind, zu verschleiern. Die ÜbersetzungenÜbersetzung/translation sollen sich wie Originale lesen, und so setzt denn die Sammlung ein mit einer ÜbersetzungÜbersetzung/translation von Heines Loreley-Gedicht, das im LettischenLettland/LatviaLettisch/Latvian mit „Laura“ überschrieben ist und an der Daugava spielt, nicht am Rhein (Alunāns 1856: 6–7).

      Zurück zu BaronsBarons, Krišjānis. Natürlich ist es ganz unmöglich, ein derartig umfassendes Projekt wie die Latwju DainasDainas hier und jetzt angemessen zu würdigen.4 Ich beschränke mich auf eine Lektüre der Einleitung von 1894, in der Barons ausführlich über die Entstehung der Sammlung und über die Schwierigkeiten Auskunft erteilt, die es vor der Publikation zu überwinden gab. Von Interesse sind dabei weniger die Ausführungen zur Sammeltätigkeit selbst. Hervorgehoben werden muss lediglich, dass sich Barons der Unvollständigkeit und des kontingenten Zuschnitts seiner Sammlung genau bewusst ist: Das lettischsprachige Territorium ist weder gleichmäßig noch vollständig repräsentiert. Wichtiger ist die Frage, wie Barons mit der enormen Mannigfaltigkeit des gesammelten Materials umgeht und wie er seine Entscheidungen begründet.5

      Die Mannigfaltigkeit des gesammelten Materials ergibt sich zum ersten aus einer enormen Vielfalt von VariantenVariante; sehr viele der erfassten DainasDainas sind von unterschiedlichen Quellen in unterschiedlicher Form übermittelt. Zum zweiten konstatiert BaronsBarons, Krišjānis eine gewisse formale Vielfalt; neben trochäischen oder dayktylischen Vierzeilern finden sich viele andere Formen. Zum dritten gibt es eine große Bandbreite an Stoffen und Themen. Barons betont, es mache keinen Sinn, die einzelnen DainasDainas in längere narrative Zusammenhänge zu binden. Zwar lägen durchaus Überlieferungen vor, die offenbar auf den Vortrag einer Vielzahl thematisch zusammenhängender DainasDainas zurückgehen; Barons zufolge sind solche Vorträge aber allein mnemotechnisch motiviert, d.h., sie gehen auf Memorierübungen zurück. Die Zersplitterung der DainasDainas in Tausende von Vierzeilern erzeugt nun aber eine besonders markante Unübersichtlichkeit. Zum vierten zeigen die Einsendungen eine dialektaleDialekt/Mundart Vielfalt, die durch die im 19. Jahrhundert noch stark schwankende (in Barons’ Worten: „truhziga“; Barons 1894: xiv) OrthographieOrthographie des LettischenLettland/LatviaLettisch/Latvian weiter verstärkt wird (so dass im Einzelnen nicht unbedingt klar ist, ob eine Abweichung von zu Barons’ Zeit sich etablierenden StandardsStandard auf dialektalenDialekt/Mundart Einfluss zurückgeht oder auf orthographische Unkenntnis).6

      BaronsBarons, Krišjānis’ Umgang mit der auch sprachlichen Mannigfaltigkeit seines Gegenstands, die sich auf all diesen Ebenen entfaltet, zeichnet sich dadurch aus, dass er Lösungen findet, die auf mehreren Ebenen zugleich Komplexität reduzieren – und vermutlich hat seine Arbeit gerade deshalb eine so enorme Wirkung entfaltet. Die wichtigste dieser Lösungen liegt in der Anordnung der DainasDainas, welche die anschließende Folkloristik im Großen und Ganzen bis heute beibehalten hat und mit der meines Wissens noch heute jedes lettischeLettland/Latvialettisch Schulkind spätestens in der fünften Klasse bekannt gemacht wird. Diese Anordnung folgt im Wesentlichen dem Lebensrhythmus des VolksVolk. So schreibt Barons: „Jo dabiſkaki dſeeſmu eedaliſchana peeſleenàs tautas dſihwei, jo weeglaki un pareiſaki kahrtotajam weikſees dſeeſmas ſawâs nodaļâs eeweetot“ („Je natürlicher sich die Einteilung der LiederLied an das Leben des VolksVolk anschmiegt, desto einfacher und richtiger wird es dem Herausgeber gelingen, die LiederLied ihren Abteilungen zuzuordnen“; Barons 1894: xii).7 Um aber dem Leben des VolksVolk nahezukommen, genügt es nicht, nach dem Inhalt der LiederLied zu gehen, vielmehr muss man wissen, „wann und wo sie eigentlich zu singen sind“ („kad un kur tas pateeſi dſeedamas“; Barons 1894: xii), und der Herausgeber „nedrihkſt rihkotees weeglprahtigi, pats dſeeſmu pilnigi neſapratis, tikai ahriſchki turotees pee kautkahda wahrda, kas tanî minets“ („darf nicht so leichtsinnig verfahren, dass er, ohne völlig zu verstehen, sich nur äußerlich an irgendein Wort hält, das darin [im LiedLied] vorkommt“; Barons 1894: xii). Barons wendet sich aber nicht nur gegen eine Anordnung nach den in den DainasDainas behandelten Themen (z.B. also in LiederLied über die ‚Elemente‘, über Flora, Fauna und das Menschenleben), sondern auch gegen eine Anordnung nach Herkunftsort. Das Argument, auf diese Weise könne die dialektaleDialekt/Mundart VarianzVarianz des LettischenLettland/LatviaLettisch/Latvian vor Augen geführt werden, lässt er nicht gelten:

      Ari dſeeſmu uſrakſtitaji dialektus, ja maſ, tad wiſai pawirſchi, nepilnigi un nekonſekwenti eewehrojuſchi. Wiņu leelaka daļa pat no wideem, kur walda it noteikta ſawada islokſne, uſrakſtijuſchi dſeeſmas muhſu rakſtu walodâ ar retàm iſlokſchņu peedewàm, ta ka ſcho pehdeju dehļ ween nebuhtu pareiſi, wispahrejâ krahjumâ dſeeſmas pehz weetàm ſchķirt. Tos retos, dialektu ſiņâ nopeetnos, plaſchakos manuſkriptu krahjumus, kas muhſu rokas nahkuſchi, doſim pehz eeſpehjas krahjuma beigàs ſawruhp un pilnigakâ ortografijâ. Beidſot, dſeeſmu ſadaliſchana pehz weetam ſarauſta nepareiſi paſchas dſeeſmu grupas, un ſchķir lihdſigas dſeeſmas tahlu weenu no otras, beſ kahdeem panahkumeem preekſch paſchas leetas. (BaronsBarons, Krišjānis 1894: xiv)

      Allerdings haben die Schreiber die DialekteDialekt/Mundart, wenn überhaupt, dann nur ganz oberflächlich, unvollkommen und inkonsequent berücksichtigt. Die meisten von ihnen, selbst diejenigen aus Gegenden, in denen eine besonders ungewöhnliche Aussprache üblich ist, haben die LiederLied in unserer SchriftspracheSchriftSchriftsprache aufgezeichnet, mit einigen wenigen Beigaben in der originalen Aussprache, und schon deshalb wäre es nicht richtig, die LiederLied nach Orten anzuordnen. Die wenigen mit Blick auf den DialektDialekt/Mundart ernstzunehmenden, umfassenderen Handschriftensammlungen, die in unsere Hände gekommen sind, werden wir nach Möglichkeit am Ende der Sammlung für sich und in verbesserter OrthographieOrthographie zu lesen geben. Schließlich würde die Anordnung nach Orten zusammengehörige LiederLied auseinanderreißen und ähnliche LiederLied weit voneinander entfernen, ohne dass in der Sache etwas gewonnen wäre.

      Was aber ist diese ‚Sache‘, in der etwas zu gewinnen ist? Das Beispiel, das BaronsBarons, Krišjānis im Anschluss an diese Stelle gibt, ist ausgesprochen erhellend. Barons erläutert, dass von den vielen unterschiedlichen Typen von Hochzeitsliedern, die jeweils in konkreten Situationen eine konkrete Funktion haben, die nach dem bisher Gesagten nur der ethnographischEthnographieethnographisch bewanderte Herausgeber einschätzen kann, von den meisten Orten jeweils nur wenige überliefert sind. Ein Gesamtbild der lettischenLettland/Latvialettisch Hochzeitsliedtradition kann so nicht entstehen – und genau dieses Gesamtbild ist aber die Sache selbst.8 Unterstellt wird also nicht nur die rhythmische Gleichförmigkeit des Volkslebens in den Lebensläufen und im Jahresverlauf, sondern auch, dass das Volksleben diesem einen RhythmusRhythmus/rhythm im gesamten lettischsprachigen Territorium folgt und damit so etwas wie das lettischeLettland/Latvialettisch VolkVolk überhaupt erst erzeugt.

      Mit der gesamtlettischen ethnographischenEthnographieethnographisch Synthese wird, so ist der soeben zitierten Passage zu entnehmen, zugleich das Problem der sprachlichen Vielfalt der Quellen gelöst, wie auch dasjenige der VariantenVariante: Dialektale Differenzen können weitgehend beseitigt werden, weil sie zwar Ausdruck einer auch BaronsBarons, Krišjānis wichtigen lokalen PartikularitätPartikularität/particularité sind, aber sich eben doch auf den Lebensrhythmus eines einheitlichen VolksVolk zurückbeziehen. VariantenVariante werden zwar gesammelt und Barons gibt auch an, sie hätten allesamt in die gedruckte Sammlung Eingang gefunden; tatsächlich aber genügt ein exemplarischer Abgleich mit dem dainu skapis,

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