Systematische Fallarbeit in der Logopädie. Группа авторов

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Systematische Fallarbeit in der Logopädie - Группа авторов

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plädiert in seinem Beitrag Idiografische Herangehensweise bei (beginnendem) kindlichen Stottern unter anderem für ein methodenkombiniertes Vorgehen, wobei kein Verfahren bei allen Kindern gleich wirkt. Schon allein deshalb ist eine Methodenvielfalt notwendig. Der Autor formuliert zusammenfassende Leitlinien für ein fallorientiertes Vorgehen beim kindlichen Stottern.

      image Beitrag 10 image

      Erika Hunziker und Christin Zöllner geben in ihrem Beitrag Dysphagietherapie bei Erwachsenen aus pragmatischer Sicht Orientierung für praktisch Handelnde in einem sehr komplexen, individuellen und anspruchsvollen und verantwortungsvollen Arbeitsgebiet.

      Die dargestellten Fallbeispiele mögen den Leserinnen und Lesern eine Idee vermitteln, welche Wege bei bestimmten Patienten eingeschlagen werden können. Sie zeigen ein mögliches Vorgehen für einen konkreten Fall auf, welches in einem anderen Kontext aber auch völlig anders gestaltet werden kann. Insgesamt hoffen wir, mit dem vorliegenden Buch neue Impulse für die fallbasierte Arbeit in der Logopädie und Sprachtherapie geben zu können, und ermutigen die Therapeutinnen und Therapeuten, gemeinsam mit dem Patienten die einzelnen Schritte vom Erstkontakt bis zum Therapieabschluss aktiv zu gestalten.

      Andrea Haid, Ute Schräpler & Jürgen Steiner

      1 Zur Bedeutung der Kasuistik in der therapeutischen Praxis

      image Begriffsklärung image

      Kasuistik ist die Versachlichung des Prozesses, Menschen mit einem Anliegen bzw. einem Problem zu begleiten. In der Logopädie sind dies Sprach-, Sprech-, Stimm- und Schluckprobleme. Der Fall ist demnach nicht eine Person, sondern die Gesamtheit des Problemzusammenhangs bzw. ein Vorfall zur professionellen Bearbeitung. Die Herangehensweise an einen Fall ist methodisch der Hermeneutik zuzuordnen. Es geht darum, den Weg vom Phänomen in seinem Kontext über das Verstehen in der Rückschau und im Jetzt zum Sinn zu beschreiten (vgl. Wernet 2006).

      Das Wort Einzelfall ist nicht zufällig doppeldeutig: Einerseits handelt es sich um einen Vorgang, in dem sich Ratsuchende einer helfenden Profession anvertrauen, wie z. B. in der Medizin, in der Psychotherapie, in der Juristik, in der Pflege oder in der Logopädie, und andererseits bedeutet Einzelfall die Ausnahme von der Regel.

      Bei Bildung von Komposita entstehen Begriffe wie Fallanalyse, Fallrekonstruktion, Fallbeschreibung, Fallbesprechung, Fallvorstellung, Fallarbeit, Fallführung, Falldokumentation, Fallstudie oder Fallvignette, die alle in medizinischen und in therapeutischen Berufen und somit auch in der Logopädie bedeutsam sind.

      Die in diesem Buch dargestellte Kasuistik bzw. Fallarbeit bezieht sich auf die Systematik der Bearbeitung von Fällen in der Praxis. Die Aspekte der fallorientierten Ausbildung und die Methodik der Therapieforschung anhand von Einzelfällen sollen nicht zum Gegenstand werden, da das vorliegende Werk als Lehr- und Praxisbuch zu verstehen ist. Im ersten Beitrag werden theoretische Bezüge für die praktische Herangehensweise an einen Fall in der Logopädie dargestellt. Sie münden in einem Kaskadenmodell, auf das in den darauffolgenden Fällen von den Autoren Bezug genommen wird.

      image Einzigartigkeit und Leitplanken image

      Logopädisch tätig zu sein heißt, Menschen auf der personellen Ebene zu begleiten. Auf der sachlichen Ebene kann von der Bearbeitung von Fällen gesprochen werden. Dabei ist einerseits jeder Fall einzigartig, andererseits gibt es ein zu erwartendes, konsensfähiges Vorgehen, das über Studien sowie Experten- und KollegInnenmeinungen abgesichert ist und definierten Schritten folgt. Das Fachgebiet der Logopädie mit Interventionen bei Sprach-, Sprech-, Stimm- und Schluckstörungen mit entsprechend vielen Handlungsfeldern, auch in Randbereichen und über die gesamte Lebensspanne, ist sehr breit. Deshalb kann die Logopädin zwar beim »klassischen Fall« auf ein prototypisches Vorgehen Bezug nehmen, in vielen Fällen agiert sie aber mit eher schwachen Leitplanken, d. h. die Orientierung im Fall ist durch Komplexität, Individualität und Einzigartigkeit erschwert. Die Recherche der Studienlage als Suche nach Evidenz ist in vielen konkreten Fällen des Berufsalltags wenig gewinnbringend. Anhand folgender drei Beispiele wird dies deutlich:

      • Eine Patientin mit einer Alt-Singstimme singt im Abendprogramm in einem Chor. Gleichzeitig nimmt sie sprechend die Rolle der Moderatorin des Abends wahr. Am Abend wird sie über den Wechsel von Sing- zur Sprechstimme heiser.

      • In der Akut-Rehabilitation wird ein 73-jähriger Patient nach einem neuerlichen Infarkt angekündigt; neuropsychologische Probleme wie Aufmerksamkeit und Orientierung dominieren das klinische Bild.

      • Ein 18-jähriger junger Mann meldet sich mit einer Mutationsfistelstimme in der logopädischen Praxis. Eine Therapie vor drei Monaten bei einem Psychologen war erfolglos.

      image Definition Fallarbeit in der Logopädie image

      Professionelles logopädisches Handeln ist ein Prozess auf der Grundlage von Fachwissen. Es ist modellbasiert und damit in komplexen, heterogenen Ausgangslagen begründet. Durch eine Vielzahl von Handlungsoptionen können Unsicherheiten reduziert und fallgerechte, personenzentrierte Angebote, die für eine Lösungsorientierung passend sind, unterbreitet werden.

      image Menschenbild image

      Das persönliche Menschenbild leitet das Handeln in der Therapie. Es prägt Haltungen, Erwartungen, Aktionen und Erinnerungen. Die heilpädagogische Sicht nimmt darauf Bezug, was Menschen wollen. Das Selbst lässt sich über die Grundbedürfnisse beschreiben (vgl. Kitwood 2013, Grawe 1998 sowie 2004, Largo 2017, Steiner 2018). Jeder Mensch ist bestrebt,

      • etwas wert zu sein (Anerkennung),

      • dazuzugehören (Kontakt),

      • etwas Sinnvolles zu tun (Selbstentfaltung, Aktivität) und

      • angesprochen zu werden (Gespräch).

      image Der Fall ist der Fall des Betroffenen image

      Die Betroffenen sind Eigner ihres Falles. Das bedeutet, dass jeder einzelne Schritt zur Bearbeitung, von der Anamnese bis zur Evaluation, nicht nur die Zustimmung und Transparenz des Vorgehens, sondern den aktiven Einbezug des jeweiligen Patienten im Sinne einer partizipativen Zusammenarbeit bedarf. Für das Verstehen braucht es den Einblick in dessen Biografie. Die Lebensgeschichte (Familie, Beruf, Bildung, Heimat) und die Krankheitsgeschichte mit den entsprechenden Erinnerungen und Vorstellungen sollten in der Therapie gehört werden. Es kann entweder eine Chronologie der Ereignisse im Zentrum der Schilderung stehen oder wiederkehrende Themen in punktuellen Situationen.

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