Es geschah in Heiliger Nacht. Группа авторов

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Es geschah in Heiliger Nacht - Группа авторов

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ich wieder aufgewacht bin, da lag ich auf Kissen und Decken in der Stube des Wirts, und am Christbaum haben die Kerzen gebrannt. Das ist freilich nur so gewesen, weil das elektrische Licht nicht gegangen ist, aber für mich hat es doch eine tiefe und feierliche Bedeutung gehabt. Meine Brüder sind besorgt und doch lächelnd dagestanden, und jetzt ist auch der Wirt mit einem Krug heißen Weins gekommen. Ich habe wortlos getrunken und bin gleich wieder eingeschlafen.

      Am Vormittag bin ich dann überraschend munter gewesen, nur meine Füße haben mir wehgetan und die Hand, die ich mir mit den Glasscherben zerschnitten habe. Ich bin in allerhand drollige Kleidungsstücke gesteckt worden, und wir haben lachen müssen über meinen wunderlichen Aufzug. Meine eigenen Sachen sind noch im Schnee vergraben gewesen.

      Beim Frühstück, das zugleich unser Mittagessen war, denn es ist schon spät gewesen, ging es dann ans Erzählen. Ich habe zu meiner Überraschung gehört, dass zwischen dem Losbruch der Lawine und der Heimkehr meiner Brüder kaum mehr als eine Viertelstunde gelegen ist. Die Pilger haben, fast schon bei den ersten Häusern des Dorfes, einen wehenden Schein gesehen, gleich darauf einen heftigen Luftschlag gespürt und später noch ein dumpfes Poltern gehört. Sie haben daraufhin wohl ihre Schritte beschleunigt, aber keiner, auch der Wirt nicht, hat sich denken können, dass die Lawine so stark gewesen ist, wie sich nachher gezeigt hat.

      Nach dem Essen haben wir die Verwüstungen angeschaut, die die Schneelawine angerichtet hat. Im Erdgeschoss sind die Räume gemauert voll Schnee gestanden. Vom Gesinde, das hier geschlafen hat, wäre nicht einer lebend davongekommen. Sie sind aber alle in der Christmette gewesen. Im ersten Stock waren die Fenster eingedrückt, oft mitsamt den Fensterstöcken. In manche Zimmer hat man von außen bloß mit einer Leiter einsteigen können. Der Schnee, der leichte Schnee, der wie ein Geisterhauch hereingeweht ist, jetzt ist er zu Eis gepresst gewesen, der Luftdruck hat ihn mit Gewalt in alle Winkel geworfen.

      Wir haben von dem geschwiegen, was uns zuinnerst bewegt hat. Wir haben sogar gescherzt, wie wir unsere Kleider und unsere Habseligkeiten aus dem Schnee gescharrt haben. Am Nachmittag sind wir dann talaus gewandert, der Wirt war in seinen Räumen beschränkt, ihm ist nur die leidliche Rückfront seines Hauses geblieben.

      Wie wir zu ihm getreten sind, um nach unserer Schuldigkeit zu fragen und um Abschied von ihm zu nehmen, hat er grade eine Scheibe in den Rahmen gekittet. Er hat angestrengt auf seine Arbeit geblickt, wohl nur damit er mich nicht noch einmal hat anschauen müssen. Fürs Übernachten, sagte er mit brummigem Humor, könnte er billigerweise nicht was verlangen, denn übernachtet hätten wir ja wohl nicht. Aber wenn einer der Herren einen Batzen Geld übrig hätte, könnte er gern was in den Opferstock von Kaltenbrunn legen, zum Dank, dass der Herrgott in der Christnacht so viele Engel unterwegs gehabt hat: Ein gewöhnlicher Schutzengel hätte vielleicht nicht genügt diesmal.

      Er ist dann weggegangen, eh wir ihm die Hand geben konnten.

      Eugen Roth

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      Der du die Welt geschaffen hast,

      kommst Jahr um Jahr, wirst unser Gast.

      Und Jahr um Jahr heißt’s überall:

      für uns das Haus, für ihn den Stall.

      Und Jahr um Jahre führt der Pfad

      von Bethlehem zur Schädelstatt.

      Der Jahr um Jahr ihn kundgetan,

      begreift der Engel Gottes Plan?

      Begreift der Wirt, ihm kommt zugut

      des fremden Gasts vergossen Blut?

      Begreife, wer begreifen kann.

      Wir knien im Staub, wir beten an.

      Rudolf Alexander Schröder

      Der Letzte von der Einigkeit

      Sie werden verstehen, dass ich nicht gerade zum Himmel emporgejubelt habe, als der vermischte Doktor mich am ersten Weihnachtstag anrief, kurz nach 22 Uhr, und mir eröffnete, ich müsse am nächsten Morgen im Krankenhaus zu Esens einen Steuermann namens Leiss besuchen, der sich mit seinem Küstenmotorschiff zwischen Langeoog und Baltrum ein tolles Stück geleistet habe. Der vermischte Doktor macht die Seiten »Unterhaltung und Vermischtes« bei unserer Zeitung. »Vermischtes« bedeutet Mord und Totschlag. Das kennen Sie ja. Deshalb heißt er so. »Der Kahn ist bei Windstärke 9 gekentert«, sagte er, »heute Mittag, heißt, glaube ich, Einigkeit. Der Kapitän und der Junge sind über Bord gegangen. Steuermann Leiss hatte Freiwache und wurde im Logis eingeschlossen. Nach drei Stunden hat die See den Kahn auf eine Sandbank vor Langeoog geworfen. Dann ist ein Hubschrauber von der Bundeswehr gekommen, hat den Mann herausgeholt und nach Esens ins Krankenhaus gebracht. Direkt vor die Haustür. Und nun sehen Sie mal zu, wie Sie die Sache in den Griff kriegen. Da sitzt nämlich Musik drin. Wenn Sie sich heranhalten, können Sie mir Ihren Bericht bis 18 Uhr auf den Schreibtisch legen. Mit Bild. Alles klar?«

      Natürlich war alles klar. Was sollte ich machen? Dabei war gar nichts klar.

      Übrigens: Nadolny ist mein Name. Bastian Nadolny. Wir wollten am zweiten Weihnachtstag nach Lübeck, Lille und ich.

      Als wir am anderen Morgen losfuhren, waren die Straßen leer. Trotzdem musste ich aufpassen, weil die Sturmstöße den Wagen wegdrückten. Mit Lille zu fahren ist wie Geburtstag haben. Sie benimmt sich genau so, wie eine Frau sich benehmen muss, wenn sie mit einem Mann im Auto fährt. Macht es mit ihrem bloßen Dasitzen schon festlich. Sie nennt mich Bass, wegen Bastian und wegen meiner tiefen Stimme. Aber das gehört nicht hierher. Was hierher gehört, ist Folgendes: Im Krankenhaus von Esens sagte die Schwester mir, den Steuermann habe seine Frau gerade weggeholt.

      »Lebendig?«, fragte ich.

      Es habe so ausgesehen. Woher ich käme? Aus Bremen? Dann müsse ich ihnen begegnet sein. In einem kleinen Volkswagen. Vor zwei Stunden.

      »Adresse?«, sagte ich.

      Sie hatte die Adresse wahrhaftig da: Bremen, Kleine Meinkenstraße 17.

      »Wissen Sie was, Schwester?«, sagte ich.

      »Nein«, sagte sie.

      »Ich wohne in der Sonnenstraße«, sagte ich. »Wenn ich um die Ecke biege, habe ich die Kleine Meinkenstraße gerade vor meiner Nase. Stattdessen fahre ich am heiligen zweiten Weihnachtstag geschlagene zwei Stunden durch Regen, Sturm und Dreck hierher. Zum Weinen. Warum ist er denn nicht hier geblieben?«

      »Sowie er seine Stimme wieder fühlte, hat er mit seiner Frau telefoniert und nicht eher Ruhe gelassen, bis sie versprochen hat, ihn wieder nach Hause zu holen. Ich wünsche Ihnen eine gute Fahrt.«

      Kurz vor 15 Uhr bogen wir in die Kleine Meinkenstraße ein. Nummer 17 war ein kleines, schmales Haus. Ehe wir klingeln konnten, wurde die Wohnungstür geöffnet. Ein Herr verabschiedete sich von Frau Leiss: »Ich habe ihn zwar erst einmal krankgeschrieben,

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