Es geschah in Heiliger Nacht. Группа авторов

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Es geschah in Heiliger Nacht - Группа авторов

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mit einer unwilligen Bewegung zu bleiben. »Jetzt doch nicht.«

      Lille sah ihn an. Er fasste nach dem angebrochenen Tabakpäckchen und begann, sich die Pfeife zu stopfen. Als er fertig war, rauchte er schweigend vor sich hin. Ich überlegte, ob ich meinerseits etwas fragen sollte. Da fing er an zu sprechen.

      »Nach zwei Stunden hatte ich nur noch verdammt wenig Hoffnung. Ich merkte, dass der Sauerstoff in der Luftblase abnahm. Meine Augen konnten die Leuchtziffern kaum noch erkennen vor Taumeligkeit. Zwei Stunden in der Finsternis sind eine lange Zeit, das kann ich Ihnen sagen. Da ist man nicht mehr für das verantwortlich, was einem durch den Kopf kommt. Und was kommt einem da nicht alles durch den Kopf! Weihnachtstag. Daran denkt man natürlich auch, ist ja verständlich. Christi Geburt. ›Und es ging ein Gebot vom Kaiser Augustus aus.‹ Ich versuchte, ob ich es noch zusammenkriegte. Gleich der Anfang kam mir nicht ganz richtig vor. Mit einem Male hatte ich es: ›Und es begab sich, dass ein Gebot vom Kaiser Augustus ausging.‹«

      »›Zu der Zeit‹«, warf Lille ein.

      »Sehen Sie! Nicht einmal jetzt kriege ich es zusammen. Und in der Finsternis schon gar nicht. ›Da machte sich auch auf Joseph aus Nazareth, der Stadt Davids.‹ Oder stimmt’s wieder nicht?« Er wandte sich an mich. »Ich bin für so etwas nicht zuständig«, sagte ich.

      Lille schüttelte den Kopf.

      »Wahrscheinlich stimmt es nicht. Mir schummerte die ganze Zeit über, dass es nicht stimmte. Und schließlich gab ich’s auf. Aber dann sagte ich mir, es könnte ja sein – ich sage ja, worauf verfällt man nicht alles, wenn man so ins Ungewisse treibt, in den Tod und in was für einen Tod! Und da machte ich eine Wette gegen das Schicksal: Wenn ich die Geschichte richtig zusammenbrächte, dann würde ich doch noch gerettet. Junge, was habe ich mir den Kopf zergrübelt, dass ich es in die Erinnerung kriegte. Aber ich erwischte immer nur einen Fetzen. ›Und sie gebar einen Sohn in der Krippe, denn es war sonst kein Platz in der Herberge, und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in die Krippe, und die Engel verkündeten den Hirten: Ehre sei Gott in der Höhe und den Menschen ein Wohlgefallen.‹ So ungefähr. Ich weiß, dass es nicht stimmt, aber für mich stimmte es trotzdem. Ich hatte etwas, worauf ich meine Gedanken richten konnte, dass ich nicht unterging in der Finsternis, dass die Finsternis mich nicht unterkriegte.«

      »Es gibt noch eine andere Weihnachtsgeschichte«, sagte Lille. »Und das Licht scheint in der Finsternis.«

      »Mag sein«, sagte der Steuermann. »Ich kenne nur: ›Und es begab sich ein Gebot vom Kaiser Augustus.‹ Und das hat mich gerettet. Weil ich es nicht richtig konnte, hat es mich gerettet. Und darauf kommt es an.«

      »Und die Finsternis hat’s nicht begriffen«, fuhr Lille fort, aber so tonlos, dass es kaum zu verstehen war.

      »Gerettet«, sagte ich, »obwohl Sie die Wette eigentlich verloren hatten. Hören Sie, Herr Leiss, das mit der Weihnachtsgeschichte würde ich aber doch gern bringen.«

      »Auf keinen Fall«, sagte er.

      »Schade«, sagte ich. »Und dann?«

      »Ja, dann …« Er dehnte sich, indem er die Hand mit der Pfeife hochstreckte und mit der andern seinen Nacken rieb. »Kurz nach 16 Uhr kam der erste Stoß. Die Trümmer im Niedergang kreischten, im Laderaum rumpelte es, ich hielt den Atem an. Und da kam auch schon der nächste Stoß. Das Schiff saß auf Grund. Auf Grund, meine Herrschaften! Mit ungeheurer Wucht donnerte die Brandung darüber hin. Jeder Brecher lüftete es an und schob es ein Stück vor sich her. Und dann rollte einer heran, der es nicht weiterschob, sondern umdrehte. Wie wenn ein Riese sich mit seiner Schulter von unten dagegenstemmte und es umdrehte. Jetzt brauchte ich nicht mehr mit der Luft zu sparen. Ich pumpte mir die Lunge voll und tauchte nach dem Türknopf. Er war auch jetzt wieder unter Wasser. Ich drehte ihn um, und die Tür ging wahrhaftig auf, nicht weit, aber doch so weit, dass ich mich hindurchzwängen konnte. Das Eisengewirr und das zersplitterte Holz, die den Niedergang versperrt hatten, mussten sich beim Umdrehen verschoben haben. Ich kletterte hindurch. Gerade fegte wieder ein Brecher über Deck. Das Schiff lag auf einer Sandbank. Da drüben zogen sich die Dünen einer Insel hin. Aber zwischen der Bank und der Insel tobte und schäumte noch die See. Kein Gedanke, dass ich hinüberkonnte. Ich war steif wie eine Handspake. Hoffentlich merkten sie drüben, dass hier noch jemand am Leben war. Vorläufig ließ sich keine Seele blicken. Dabei hatten sie mich auf dem Beobachtungsturm der Seenotfunkstelle längst entdeckt. Aber das wusste ich ja nicht. Der Rettungskreuzer Langeoog war schon ausgelaufen und wollte versuchen, mich von See aus zu erreichen. Die Insel hieß also Langeoog. Und da kamen sie endlich über die Dünen und am Strand entlang, die Inselbewohner. Sie winkten, und ich winkte zurück. Ich verstand nicht, dass sie mich auf den Rettungskreuzer hinweisen wollten. Er kam nicht heran, die Brandung ging viel zu hoch. Schließlich forderten sie einen Hubschrauber von Ahlhorn an. Im Handumdrehen war er da. Er ließ eine Strickleiter hinunter, ich streckte den Arm hindurch und krallte mich fest mit meiner letzten Kraft. Dann hoben sie mich ein paar Meter an und orgelten mich erst zum Strand hinüber und dann nach Esens. Das Ganze dauerte keine Viertelstunde. Und nun sitze ich hier und freue mich meines Lebens.«

      »Und ich freue mich, dass ich ihn bei mir habe«, sagte Frau Leiss. Sie stand auf, murmelte etwas vor sich hin und ging hinaus.

      »Junge, Junge«, sagte ich, indem ich meine Notizen zusammenraffte, »da sitzt wirklich Musik drin. Und jetzt wird es höchste Zeit, dass ich an meinen Schreibtisch komme. Vielen Dank, Herr Leiss, und gute Tage, und dass Sie bald ein neues Schiff kriegen!«

      »Wird schon werden.«

      Lille verabschiedete sich mit einer kleinen Verbeugung.

      »Wo ist Ihre Frau denn geblieben?«, sagte ich.

      Frau Leiss rief durch die offene Tür, sie käme schon. »Hier ist es, Alwin.« Sie hatte ein schwarzes Buch in der Hand. »Du wolltest es doch nachlesen.«

      »Jetzt nicht. Leg’s irgendwohin.« Er wies mit dem Arm ins Ungewisse.

      Frau Leiss brachte uns hinaus. Die Straßenlaternen brannten schon. Es fing wieder an zu schneien.

      »Was wirst du nun schreiben?«, fragte Lille, als wir im Wagen saßen.

      »Stoff genug. Viel zu viel. – Du fährst doch mit zu mir?«

      Sie fasste in ihr Haar. »Vom Eigentlichen wird wieder einmal nicht gesprochen.«

      »Darf ich ja nicht. Hat er mir doch ausdrücklich verboten.Und das ist sein gutes Recht. Leider.« Ich steckte den Zündschlüssel ins Schloss und ließ den Motor anspringen. »Außerdem will ich dir mal was sagen, Lille. Das Eigentliche ist außerdem schon nicht mehr das Eigentliche. Ist längst vorbei und abgetan. War nur, solange er in der Finsternis saß. ›Leg’s irgendwohin.‹ Das kennt man doch.«

      »Das kennt man doch«, wiederholte sie. Ihre Augenbrauen zogen sich gegen die Nasenwurzel zusammen.

      »Was ist denn los, Lille?«

      »Nichts. Bitte, nichts.«

      »Ist es dir so schrecklich, dass der Mensch so ist, wie er ist?« Ihre Fäuste drehten sich auf dem Schoß gegeneinander.

      Ein Flockenwirbel trieb durch die Helligkeit der Scheinwerfer. Ich fuhr langsam an.

      Manfred Hausmann

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