Es geschah in Heiliger Nacht. Группа авторов

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Es geschah in Heiliger Nacht - Группа авторов

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zu, die uns mit betonter Zurückhaltung musterte.

      Steuermann Leiss lag auf dem Sofa. Er trug eine grüne, halb zugeknöpfte Strickjacke über einem wollenen Hemd mit offenem Kragen. Als er uns erblickte, setzte er sich auf und schob die Füße unter den Tisch.

      »Du sollst in die Zeitung, Alwin«, sagte Frau Leiss. »Sie wollen dich aufnehmen. – Entschuldigen Sie, Ihren Namen habe ich schon wieder vergessen.«

      Ich sagte, sie müsse aber mit auf das Bild. Dann stellte ich mich und Lille dem Steuermann vor.

      »Angenehm«, sagte er und erhob sich ein bisschen. »Leiss.«

      Er sah erschreckend mager aus. Die lange, dünne Nase ging an der Spitze etwas nach oben. Ich fragte ihn, ob er schon etwas Neues von dem Kapitän und dem Jungen gehört habe. Dabei wies ich mit dem Kopf auf das Fernsehgerät, das auf der breiten Kommode neben einem spärlich geschmückten Tannenbäumchen stand.

      »Nein«, sagte er, »sie haben nichts mehr darüber gebracht. Schon vergessen.«

      »Wir vergessen Sie aber nicht«, sagte ich. »Und deshalb wollen wir erst einmal ein paar Aufnahmen von Ihnen machen. Wenn Sie erlauben. An die Arbeit, Fräulein!«

      »Hol mal was zu trinken, Mutter!«, sagte der Steuermann. »Mögen Sie echten Genever, aus Schiedam?« Er sprach es wie Ss-chiedam aus.

      »Ein Gläschen traue ich mir wohl zu«, sagte ich, »aber mehr nicht. Ich muss ja fahren.«

      »Und das Fräulein?«

      »Dasselbe«, sagte Lille, während sie den Belichtungsmesser vor die Brust des Steuermanns hielt. »Achteinhalb Schein. Wir nehmen am besten die chromatische Superanastigmat mit Blende 11 und Gummilinse.«

      Lauter Unsinn. Sie hat keine Ahnung vom Fotografieren. Aber es klang so wunderbar unverständlich, dass Frau Leiss ein ergriffenes Gesicht machte. Unverständlichkeit bewirkt immer Hochachtung. Davon lebt heutzutage die Kunst.

      Während der Aufnahmen kamen wir ins Gespräch über das Kentern und die Strandung der Einigkeit. Der Steuermann hatte sich mit dem neuen Kapitän, einem Hamburger, nicht verstanden. Schon bei der Ausreise waren sie aneinandergeraten. Und auf der Westerems noch mehr.

      »Westerems«, sagte ich, »woher kamen Sie denn?«

      »Von Delfzijl. Ich hielt es für unverantwortlich, mit dem kleinen Schiff in das harte Wasser hineinzugehen. Wir hatten nur vierzehn Tonnen Ladung im Raum. Tee und Seidenpapier. Aber mit dem Kapitän war nicht zu reden. Er wollte und wollte am ersten Weihnachtstag in Hamburg sein, und da gab es nichts. Gott mag wissen, was auf dem Spiel stand.« Als sie gegen Mitternacht von Delfzijl ablegten, hatte der Steuermann das Ruder. Der Kapitän ging zur Koje und der Junge auch. Bei wachsendem Westnordweststurm und auflaufendem Wasser schlingerte die Einigkeit die Westerems hinunter, immer am Tonnenstrich entlang. Querab von Borkum traf sie das Wetter mit voller Gewalt. Der Steuermann musste die Fahrt herabsetzen. Das war gegen 6 Uhr morgens. Kurz vor 7 Uhr weckte er den Kapitän, weil der Diesel nicht einwandfrei arbeitete. Dann aß er ein paar Scheiben Brot mit Speck, trank einen Schluck, zog die Gummistiefel aus und warf sich in die Koje. Im nächsten Augenblick war er in tiefe Bewusstlosigkeit gesunken.

      Und dann kam es. Ein Gedonner kam und ein Brechen und eine sich drehende Finsternis. Er fiel irgendwohin. Die Einigkeit sank weg, fing sich und ruckte hoch.

      Ja, was nun? Er stand schwankend da und stierte in die Dunkelheit. Wenn es mit rechten Dingen zugegangen wäre, hätte doch alles längst vorbei sein müssen. Aber die Einigkeit musste so schnell gekentert sein, dass sie nicht hatte volllaufen können und dass sich eine Luftblase in der Kajüte gefangen hatte, die ihm das Atmen ermöglichte wie in einer Taucherglocke.

      Wo mochten sie jetzt sein, das Schiff und er? Seine Armbanduhr zeigte ein Viertel nach 13 Uhr. Dann hatte die Flut schon eingesetzt. Dadurch verringerte sich die Gefahr, dass die Einigkeit auf die Schifffahrtsstraße geriet und von einem großen Pott vollends unter Wasser gedrückt wurde. Flut und Wind drängten sich gegen die Inseln. Das konnte die Rettung bedeuten. Hoffentlich hielt die Luft noch so lange vor.

      Zuerst hatte ihm die Kälte am meisten zugesetzt. Aber mit der Zeit nahm die Einsamkeit überhand, sie quälte ihn noch mehr als die Kälte. So sehr, dass er ein paar Mal in Versuchung kam aufzugeben. »Ich habe keine weichmütige Natur«, sagte er, »das dürfen Sie mir glauben. Aber es war, als ob mir die Wände immer näher auf den Leib rückten in der Finsternis. Und ich hatte keine Hilfe und konnte nicht weg. Schön ist das nicht.« Er griff nach der Flasche. »Trinken Sie aus! Oder hätten Sie lieber ein Bier? Mutter, hol mal Bier aus dem Kühlschrank!«

      »Nein, nein«, sagte ich. »Danke, ich darf ja nicht.«

      Lille trank ihr Glas aus, zog es dann an sich und schüttelte den Kopf. »Ich danke auch. Aber ich möchte Sie wohl etwas fragen.«

      »Fragen Sie nur, kleines Fräulein.«

      Sie fasste wieder ihr Haar, so schräg von hinten, und schob es auf und ab. »Vorhin haben Sie gesagt, dass Ihre Armbanduhr noch ging.«

      »Ging noch tadellos. Hier.« Er streckte ihr sein Handgelenk entgegen. »Hat keinen Tropfen durchgelassen.«

      Lille schob noch immer ihr Haar auf und ab. »Ich wollte Sie fragen, ob Ihnen das Ticken, wenn Sie die Uhr ans Ohr hielten, und die Leuchtziffern, ob Ihnen die nicht wie etwas Lebendiges vorgekommen sind in der Finsternis.«

      »Sieh mal an«, sagte der Steuermann. Er ließ den ausgestreckten Arm mit der Uhr auf dem Tisch liegen und richtete seine Augen auf Lille. »So war es tatsächlich. Wie kommen Sie darauf?«

      »Ich hätte Sie gern gefragt«, fuhr Lille fort, »ob Sie – oder ich will einmal so anfangen.« Sie spielte mit ihrem Glas. »Wenn Menschen – es braucht sich nicht einmal um eine so furchtbare Lage zu handeln wie Ihre – ich meine, wenn Menschen in großer Not sind und nicht mehr aus noch ein wissen, dann, na ja, dann kommt manchmal etwas über sie.«

      »Hm«, sagte der Steuermann.

      »Na ja, zum Beispiel, dass sie anfangen zu beten.«

      Der Steuermann sah vor sich hin, warf einen kurzen Blick auf Lille und sah dann wieder vor sich hin.

      Schweigen. Ich räusperte mich leise. Wieder Schweigen.

      Frau Leiss zupfte Lille am Ärmel ihres Pullovers und flüsterte ihr unter verstohlenem Nicken zu: »Er auch.«

      Der Steuermann schien es nicht gehört zu haben, er atmete tief aus: »Ich jedenfalls nicht.« Dann zog er die Luft wieder ein.

      »Das ist doch keine Schande, Alwin«, sagte Frau Leiss, »was du mir erzählt hast, ist doch keine Schande.«

      »Ich habe ja gar nicht richtig. Alles Unsinn. Nur so – wie das so geht – man will es nicht, man hat ganz was anderes im Sinn, man denkt, wie man hier herauskommen soll. Und dann ist noch was anderes da, wie ein Gestöhn irgendwo innen. Kann keiner was gegen machen. – Aber dass Sie mir ja nichts darüber schreiben, sonst werde ich verdammt unangenehm.«

      Ich wies seine Befürchtung mit beiden Händen zurück, zeigte auf Lille und erhob die Hände noch einmal.

      »Außerdem war ja auch Weihnachten«, sagte Lille.

      Frau Leiss

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