Der Schrei der Kröte - Roland Benito-Krimi 1. Inger Gammelgaard Madsen

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Der Schrei der Kröte - Roland Benito-Krimi 1 - Inger Gammelgaard Madsen Roland Benito-Krimi

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Gras auf die gaffende Menge zuschritt. »Ein Kind«, bestätigte sie und drehte sich um. Sensationslust schimmerte in ihren Augen. Kamillas Beine schienen nachgeben zu wollen. Ihre Knie waren wie schwere Klötze. »Ein Kind«, wiederholte sie murmelnd und folgte Anne trotzdem automatisch, als sei in ihr die alte Gewohnheit, Journalisten blind hinterherzutrotten, gewissermaßen gegen ihren Willen zu neuem Leben erwacht. Sie sah zu, wie Anne ihre journalistischen Gerätschaften vorbereitete, während sie selbst ihr den Regenschirm hielt und die Gelegenheit nutzte, für einen Moment einigermaßen im Trockenen zu stehen. Dann verschwand Anne in der Menschenmenge, während Kamilla, den Schirm in der Hand und die Kameratasche über der Schulter, am Rand des dichten Haufens stehen blieb. Die Situation war für sie ungewohnt. Früher hatte sie immer genau gewusst, was sie zu tun hatte, wenn sie mit einem Auftrag betraut worden war; das funktionierte damals rein instinktiv. Sie machte Anne ausfindig, die es geschafft hatte, das Mikrofon unter die Nase eines jungen Polizisten zu halten, der in der Menge stand und redete. Kamilla richtete einen abwägenden Blick gen Himmel und klappte den Regenschirm zu. Es sah danach aus, als würde es wieder aufklaren; eines der vielen Gewitter dieses Sommers war gerade vorübergezogen. Die Sonne schickte sich an, erneut durch die Wolken zu brechen, obwohl es noch ein wenig tröpfelte. Sie nahm die Kamera aus der Tasche und schoss eine Serie Fotos von den Polizisten, den Journalisten und den Schaulustigen, die sich um sie geschart hatten, auch wenn sie wusste, dass kein Kandidat für das Pressefoto des Jahres dabei sein würde. Irgendetwas musste sie schließlich tun.

      Anne stand am Absperrband der Polizei zwischen den Büschen hinter dem Container und gab Kamilla ein Zeichen. Kamilla schielte erst zu den Polizisten hin, dann ging sie schnell zu Anne hinüber. Die Polizisten hatten so viel damit zu tun, die Leute wegzuscheuchen und Fragen zurückzuweisen, dass sie die beiden Frauen gar nicht bemerkten.

      »Verdammt noch mal«, flüsterte Anne dicht an ihrer Wange, als sie sich vorbeugte, um Kamilla unter dem Absperrband hindurchzuhelfen. »Sie haben das Mädchen schon mitgenommen.«

      Kamilla spürte Erleichterung in sich aufsteigen. Hätte sie den Blick von noch einem toten Kind ertragen? Warum bloß hatte sie gerade zu diesem Auftrag Ja gesagt? Es hatte zuvor bereits viele andere gegeben, die sie hätte annehmen können. Nur, weil sie nicht gefragt hatte. Deswegen hatte sie angenommen.

      »Kommen Sie her!« Anne winkte sie zu sich. Die Büsche verbargen sie vor dem Blick der Polizisten. Anne hatte entdeckt, dass sich auch auf der Rückseite des Containers eine Tür befand. Diese hatten die Polizisten nicht abgesperrt. Sie hatten sie wahrscheinlich gar nicht bemerkt, weil sie hinter den Büschen versteckt lag und zudem genauso rostig war wie der Rest der Containerrückseite. Die Tür knirschte in den Angeln, als Anne sie öffnete. Intensiver Gestank drang ihnen in die Nase. Kamilla trat in etwas Schleimiges. Es war Kotze. Fast hätte sie sich ebenfalls erbrechen müssen.

      »Es scheint, als ob diese Tür erst vor kurzem das letzte Mal geöffnet worden ist«, murmelte Anne. Erneut winkte sie Kamilla näher. »Los! Machen Sie ein Foto!«, sagte sie leise.

      »In den Container hinein? Meinen Sie wirklich?« Sie hörte ihre eigene Stimme, laut und verwundert, wiewohl sie sich auf beiden Ohren taub fühlte. Aber sie tat, worum sie gebeten worden war. Der Blitz leuchtete im dunklen Container auf. Sie konnte auf dem Display der Kamera kein Motiv ausmachen, auch nicht im Sucher, und so schoss sie einfach ein paar Fotos aufs Geratewohl. Wenn der Blitz aufleuchtete, sah sie kurz schwarze Müllsäcke, blau gestreifte Aldi-Tüten, prallvoll mit Abfall, Kartons, altes Gerümpel, Essensreste, Blätter, Äste und vermoderte Pflanzen. »Das reicht jetzt.« Unvermittelt zog Anne sie am Ärmel. Sie hatte von ihrem Wachposten aus gesehen, dass ein Polizist auf dem Weg zu ihnen war.

      »Was machen Sie da?«, rief er, gerade als sie unter dem gestreifte Band hindurchgeschlüpft und damit zurück auf »legalem« Boden waren. Anne zeigte ihm ihren Presseausweis.

      »Ich kann Ihnen leider nichts über diese Sache sagen«, unterstrich er. Dann deutete er auf die Kamera, die an einem Riemen um Kamillas Hals hing. »Wovon haben Sie Fotos gemacht?«

      »Nur vom Container. Wir müssen verdammt noch mal etwas in die Redaktion mitbringen, ansonsten werden wir gefeuert«, antwortete Anne Larsen und strich sich die Haare zurück.

      Kamilla wunderte sich, dass Anne so gut den Unschuldsengel mimen, ja sogar dem großen Polizisten kontra geben konnte, der sich nun breitschultrig vor ihnen auftürmte. Sie selbst hatte rote Wangen vor Aufregung und hoffte, dass der Polizist es nicht bemerkte. Sie fing an, die Kotze an ihren Schuhen ins nasse Gras zu wischen.

      Der Polizist nickte, vergewisserte sich sicherheitshalber aber trotzdem, dass das Schloss an der Vorderseite des Containers nicht aufgebrochen worden war und dass das Klebeband, das anzeigte, dass der Container von der Polizei versiegelt worden war, immer noch unversehrt an Ort und Stelle saß. Man konnte ja nie wissen, was die Presseleute so anstellten.

      »Okay, und jetzt verschwinden Sie!« Er wandte ihnen den Rücken zu und schritt auf seine Position zurück. Groß, aufrecht und in seiner Polizeiuniform vor Autorität strotzend.

      5

      Es war über ein Jahr her, dass er zuletzt hierhergefahren war. Ein Kloß steckte ihm in der Kehle. Er hustete, um ihn wegzubekommen. Warum machte er das? Er hatte seine Strafe gehabt. Sanne hatte ihn verlassen, weil sie mit dem, was er getan hatte, nicht leben konnte – oder vielleicht konnte sie auch eher mit den Schuldgefühlen nicht leben, die ihn seither nicht losließen. Als ihm nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis nahegelegt worden war, Urlaub von seiner Arbeit zu nehmen, auf die er sich ohnehin nicht mehr konzentrieren konnte, hatte sie geglaubt, er würde nun entlassen. Sie hatte geglaubt, dass nun Schluss wäre mit dem schönen Leben, dass das gute Einkommen nun weg wäre – und dann war eben Schluss mit ihr, und sie war weg. Er war weder dazu in der Lage, für ihren Lebensunterhalt zu sorgen, noch vermochte er ihr ein Kind zu schenken.

      Im Gefängnis zu sein, von allen isoliert und wie ein gemeiner Verbrecher behandelt, war völlig gegen seine Natur und gegen alle Grundsätze seiner Erziehung gegangen. Er hatte es als sehr ungerecht empfunden, dass er verurteilt und eingesperrt worden war – bis ihm dann allmählich klar wurde, was er getan hatte. Er war froh, dass sein Vater bereits gestorben war. Sonst hätte er diese Schande wahrscheinlich nicht überlebt. Das senile Gehirn seiner Mutter konnte die Sache sowieso nicht verstehen, auch wenn eine Krankenschwester ihr vielleicht erzählt hatte, was geschehen war und warum ihr Sohn nicht mehr zu den gewohnten wöchentlichen Besuchen kam. Sie würde einfach lächeln und nicken und am obersten Knopf ihrer Bluse fummeln, wenn man ihr davon erzählte. Vielleicht hatte sie seine Abwesenheit ja nicht einmal bemerkt. An seine Mutter zu denken tat genauso weh wie der Gedanke an seine eigenen Leiden und Beschwernisse. Auch sie befand sich in einer Art Gefängnis. Ihrem eigenen Gefängnis. Ein Alter ohne Erinnerungen. Als der Vater starb und sie ins Pflegeheim kam, hatte er erst gemerkt, wie verwöhnt er als Kind gewesen war. Er war es gewohnt gewesen, erst von seiner Mutter bedient und umsorgt zu werden und dann von Sanne, die sich aber zunehmend dagegen verwehrte. Sie hatte es auch nicht leicht mit ihm gehabt.

      Eigentlich war er ganz froh, eine Pause von der Arbeit zu haben. Er konnte die vorwurfsvollen Blicke der Kollegen nicht mehr ertragen. Auch sie waren an dem Abend angetrunken nach Hause gefahren, aber für sie war die Sache gutgegangen. Verdammte Katze! Er konnte nicht damit aufhören, sie innerlich zu verfluchen, auch wenn er sich dessen schämte. Zum Glück war sein Chef auch sein privater Freund, so dass er alles Verständnis der Welt gezeigt hatte. Wäre er nicht mit ihm befreundet gewesen, dann wäre er ohne Zweifel wirklich gefeuert worden. Es war die Idee des Psychologen gewesen, bei dem er Hilfe gesucht hatte – eigentlich hätte er nie geglaubt, dass es einmal so weit kommen würde. Der Psychologe hatte ihm den Rat gegeben, nach Jütland zurückzufahren, als eine Form von Therapie. Es sei das Beste für alle Beteiligten, hatte der Psychologe gesagt, die Angehörigen aufzusuchen und mit ihnen, falls sie es wünschten, ein Gespräch zu führen. Aber er wusste, dass er dazu nie den Mut

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