Schöpfung ohne Schöpfer?. Группа авторов
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„Wenn Wissenschaftler sich den Mythos zu Eigen machen, dass Theorien ausschließlich aus Beobachtungen erwachsen, und wenn sie deshalb nicht prüfen, welche persönlichen und gesellschaftlichen Einflüsse sie aus ihrem eigenen Inneren beisteuern, missverstehen sie nicht nur die Ursachen ihrer Meinungsänderung, sondern unter Umständen begreifen sie auch nicht, welche tief greifende, umfassende geistige Verschiebung in ihrer eigenen Theorie verschlüsselt ist“ (GOULD 2005, 456).
Evolution
„Tatsache Evolution“ – so tituliert KUTSCHERA (2009) zu Ehren von Charles Darwins 200. Geburtstag und des 150. Jahrestages der Publikation seines Hauptwerkes „On the Origin of species“ eines seiner Bücher. Unter vielen Wissenschaftlern und in breiten Teilen der westlichen Gesellschaft gilt „Evolution“ als Faktum, so selbstverständlich und sichtbar wie eine gerade stattfindende Mondfinsternis oder ein Erbeben in Indonesien. Ein weiteres Beispiel dieser Art bieten JUNKER & PAUL (2009, 1): „Evolution ist eine Tatsache – so wie es eine Tatsache ist, dass sich die Erde um die Sonne dreht oder dass die ägyptischen Pyramiden vor mehr als 4000 Jahren erbaut wurden.“
In bemerkenswerten Analysen von LOCKER (1983) und von GUTMANN (1996; 2005) werden diese Darstellungen von Evolution als „Hypostasierung“* (LOCKER) bzw. als „empirischer Mißverstand“ (GUTMANN) aus dem Blickwinkel der wissenschaftstheoretischen Analyse entmystifiziert. „Hypostasierung“ bezeichnet eine Redeweise, bei der sogenannte Abstrakta, die Nichtgegenständliches bzw. etwas Gedankliches ausdrücken (z. B. Glück, Frieden), im Sinne eines Konkretums (d.i. etwas Dingliches oder Gegenständliches wie z. B. Tisch, Mensch, Hammer) verwendet werden. Das geschieht in Beschreibungen von Evolution in einer Form, dass die Abstrakta als zielgerichtet oder selbständig agierende Realitäten, Subjekte oder Tatsachen dargestellt werden. So wird das Abstraktum „Evolution“ nach LOCKER kritiklos durch seinen Gebrauch zu einem Begriff, der für eine kausale Realität, eine handelnde Instanz oder Tatsache steht. Deshalb ist auch für GUTMANN die Verwendung von „Evolution“ in dieser hypostasierten Form ein „empirischer Mißverstand“ von Evolution, der sich negativ auf den Erklärungswert von entsprechenden Theorien auswirkt (Zirkularität der Argumentation, s. u.). So wenig wie das Glück eine handelnde Instanz ist, so wenig ist, nach Meinung der o.g. Autoren, die „Evolution“ ein selbständig und zielgerichtet handelndes Subjekt oder eine fassbare kausale Ursache von Naturprozessen.
Beide Autoren sehen sich nicht als Kritiker der Evolution, die – als naturhistorischer Prozess verstanden – für sie die wissenschaftlich beste Erklärung der Geschichte des Lebens darstellt. Ihre Kritik trifft jedoch eine wissenschaftlich und wissenschaftstheoretisch nicht gedeckte Bedeutungszuweisung zum Ausdruck „Evolution“, woraus ein meist unkritischer und quasireligiöser Gebrauch desselben resultiert. Die Aussagen „Das Auge war eine große Erfindung der Evolution“ und „Die Evolution gab mangelhaften Augen ein besseres Sehvermögen“ (Überschriften des New Scientist vom 6. 5. 2010) sind bemerkenswerte Beispiele dafür, wie „Evolution“ zum aktiv handelnden und kreativen Subjekt emporgehoben wird. Selbst in evolutionstheoretischen Fachpublikationen wird sehr häufig eine solche Sprache über Evolution verwendet.
„Evolution“ wird häufig zum aktiv handelnden und kreativen Subjekt emporgehoben.
Inhaltliche Bedeutungen von „Evolution“
Die gegenwärtige Verwendung des Ausdrucks „Evolution“ umfasst drei Aspekte, die in vielen Darstellungen jedoch nicht sachlich korrekt bzw. für den Leser nachvollziehbar differenziert werden. Erstens: Evolution als Beschreibung eines (hypothetischen) naturhistorischen Prozesses; zweitens: Evolution als Bezeichnung einer Leitidee oder einer paradigmatischen Vorgabe evolutionsbiologischer Forschung und drittens: Evolution als Synonym für einen übergreifenden weltanschaulichen Deutungsrahmen. (Für einen historischen Exkurs zu Verwendung und Bedeutung des Ausdrucks „Evolution“ siehe GOULD 2002.) Die Unterscheidung dieser inhaltlichen Bedeutungsaspekte bei der Verwendung des Begriffs „Evolution“ ist für eine differenzierte und sachliche Kritik von Aussagen über Evolution unabdingbar.
Die inflationäre Verwendung des Begriffes „Evolution“ erschwert eine fundierte Evolutionskritik, weil häufig nicht klar ist, welcher inhaltliche Aspekt eigentlich kritisiert wird. Die erfolgreiche Kritik eines bestimmten inhaltlichen Aspektes von Evolution bedeutet nicht gleichzeitig die argumentative Widerlegung anderer inhaltlicher Aspekte von Evolution, die andere Fragestellungen betreffen. Zum Beispiel ist der bislang fehlende Beleg oder Nachweis für die Entstehung des Lebens aus anorganischen Elementen kein Argument gegen die Verwendung von Evolution als Leitidee in der biologischen Forschung. Oder: Das Scheitern des historischen Materialismus von Marx und Engels, die sich explizit auf Darwins Entwicklungslehre beriefen, ist kein Gegenargument für die Annahme der historischen Ableitung des Menschen aus affenähnlichen Vorfahren. Deshalb muss in der Debatte immer klar erkennbar sein, welche Bedeutung von „Evolution“ zur Disposition steht. Darüber hinaus ist es wichtig offenzulegen, mit welchen Argumenten der hypothetische Naturprozess „Evolution“ und/oder das Forschungsparadigma „Evolution“ und/oder „Evolution“ als Ideologie bzw. Weltanschauung hinterfragt werden und ob diese Argumente der jeweiligen Bedeutung entsprechend zur Anwendung kommen. Nachfolgend werden die drei Bedeutungen von Evolution näher charakterisiert.
1. „Evolution“ als Beschreibung eines (hypothetischen) naturhistorischen Prozesses
Die Rede von Evolution in diesem Sinne charakterisiert auf der Ebene der Naturerscheinungen einen vermuteten naturhistorischen Prozess, der durch den Wandel, das Werden und das Vergehen des Lebendigen in Folge naturimmanenter Wechselwirkungen vorangetrieben wird. Die gegenwärtige Gestalt der Lebensvielfalt und ihre räumliche Verteilung in den verschiedenen Ökosystemen werden als Ergebnis dieses naturhistorischen, natürlichen und ateleologischen Prozesses verstanden. Der Prozess „Evolution“ ist wie jeder historische Prozess in seiner Gesamtheit der unmittelbaren empirischen Beobachtung entzogen und nur indirekt erschließbar bzw. rekonstruierbar (siehe dazu den Beitrag „Methodologie der Naturgeschichtsforschung“ in diesem Band).
Der hypothetische Naturprozess „Evolution“ wird häufig mit dem Entwicklungsvorgang der Individualentwicklung (Ontogenese) parallelisiert und der Begriff „Entwicklung“ für beide Prozesse synonym verwendet. Damit wird aber ein entscheidender Unterschied übergangen, der hier kurz erläutert werden soll: Evolution als hypothetischer Naturvorgang muss im Gegensatz zu „Entwicklung“ bei der (sichtbaren) Individualentwicklung erst wissenschaftlich plausibel gemacht werden. Während im Rahmen der funktional-analytisch biologischen Beschreibung der beobachtbaren Individualentwicklung über Entwicklung in progressiver Weise gesprochen werden kann (d. h., der Prozess kann vom Anfang bis zum Endzustand ausschließlich empirisch beschrieben werden ohne Zuhilfenahme eines handelnden Agenten oder einer wirkmächtigen Teleologie), ist dies bei „Entwicklung“ im Sinne stammesgeschichtlicher Evolution nicht möglich. Um den Status aufrecht zu erhalten, Evolution als einen ateleologischen, naturgesetzlich bestimmten Prozess zu fassen, muss diese „Entwicklung“ ebenfalls ausschließlich natürlich-ateleologisch (ohne Zuhilfenahme eines handelnden Agenten oder einer wirkmächtigen Teleologie), aber regressiv (vom Endzustand ausgehend hin zum Anfangszustand) gemutmaßt werden. Eine angemessene Darstellung von Evolution als Phänomen der hypothetischen stammesgeschichtlichen Entwicklung des Lebens erfordert damit Aussagen über den Anfang, Zwischenschritte, das Ergebnis, den Modus und die Mechanismen des postulierten Wandels. Somit ist zunächst mit GUTMANN festzuhalten, dass aus wissenschaftstheoretischer Sicht
„die Einheit des Naturvorganges Evolution kein empirischer Sachverhalt ist, sondern die Voraussetzung auch nur einer Konzeptualisierung derselben; wir können hier […] von apriorischen Aspekten der Gegenstandskonstitution sprechen