Worauf die Affen warten - Krimi. Yasmina Khadra

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Worauf die Affen warten - Krimi - Yasmina  Khadra

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ist, dann den Körper freigegeben und dessen ursprüngliche Wurfbahn nach rechts umgelenkt. Die Leiche ist dann wohl auf die Erdkuppe aufgeschlagen, einen Ziegenpfad hinuntergepoltert und zuletzt gegen den Fuß des Felsens geprallt. In der Dunkelheit haben der oder die Übeltäter das vermutlich nicht bemerkt, oder vielleicht hatten sie es auch nur eilig, davonzukommen.

      »Ein paar hundert Meter von hier steht eine Hütte«, meint der Leutnant. »Man könnte da ja mal hingehen und fragen, ob jemand etwas gesehen oder gehört hat.«

      »Tja, hm, naja ...«, macht die Kommissarin, eher nicht so begeistert, bevor sie den Sanitätern ein Zeichen gibt, den Körper des Mädchens abzutransportieren.

      Der Leutnant kratzt sich im Schritt und marschiert verärgert auf sein Dienstfahrzeug zu, »tja, hm, naja ...« vor sich hin grummelnd.

      4.

      Das Taxi hält vor einer Art Herrenhaus, das sich inmitten eines großen, palmenbestandenen Gartens erhebt. Durch das schmiedeeiserne Tor sind ein Springbrunnen aus Stuck zu erkennen und eine mit rosa Kies bestreute, von Hortensien gesäumte Allee. Eine Freitreppe aus Granit führt unter dichtem Blattwerk auf eine Veranda mit frisch gestrichener Balustrade. Ein Schwarzer mit Turban gießt gerade Blumen. Mit seinem seidig glänzenden Gewand und seinen Babuschen wirkt er wie ein Geist aus Tausendundeiner Nacht.

      Ed Dayem betrachtet einen Augenblick lang das prächtige Anwesen – das in einem früheren Leben die offizielle Residenz eines französischen Gouverneurs war –, dann springt er auf den Bürgersteig. Er zieht zwei Scheine aus seiner Tasche und reicht sie dem Chauffeur:

      »Das Kleingeld kannst du behalten.«

      »Welches Kleingeld, Brüderchen?«, schreit der Taxifahrer. »Das sind höchstens mal 80 Centime.«

      »Behalt sie trotzdem. Gott wird es mir vergelten.«

      »Wie soll ich meiner Frau davon ein Lifting spendieren?«

      »Such dir ’ne neue Frau, Mann. Das wird um einiges billiger.«

      Nachdem das Taxi außer Sichtweite ist, klingelt Ed Dayem am Gartentor. Ein anderer Schwarzer in der Tracht eines Kalifendieners öffnet ihm. Ed Dayem hat sich schon immer gefragt, warum manche der Millionäre von Algier Schwarze als Dienstboten wählen. Aus Nostalgie? Als Statussymbol? Vielleicht ja auch wegen beidem zugleich.

      »Guten Tag, Si Dayem«, säuselt der Diener, während er das Tor öffnet und sich unterwürfig verbeugt.

      »Guten Tag, Marouane. Der Chef erwartet mich.«

      »Ich weiß. Bitte folgen Sie mir.«

      Ed Dayem kennt sämtliche Domestiken im Haus von Hadsch Saad Hamerlaine: den Koch, den Chauffeur, den Gärtner, den Hausmeister und das Faktotum, alle fünf aus der Region von Touggourt, aus den Weiten der Sahara. Schwarze, die aus den benachteiligten Randzonen des Landes stammen und bereit sind, jede Arbeit anzunehmen, nur um nicht hungern zu müssen. Sie sind keineswegs Abkömmlinge von Sklaven, sondern echte Wüstensöhne, deren Vorfahren kühne Krieger und bedeutende Gelehrte waren, welche ruhmreiche Epochen erlebt haben, bevor sie durch Elend und Verfall vom Weg abgebracht und mit Haut und Haar den Fährnissen der Globalisierung ausgeliefert wurden. Aber das ist eine andere Geschichte ...

      Ed Dayem überkommt immer ein Schaudern, wenn er in das gewaltige Anwesen von Hadsch Saad Hamerlaine vordringt. Er hat das Gefühl, durch ein Labyrinth zu irren, in dem Poltergeister ihr Unwesen treiben und sich abgrundtiefe Fallen auftun. Sogar das Tageslicht scheint sich zu scheuen, tiefer einzudringen. Kaum hat man den Kiesweg und die Veranda hinter sich gelassen, umfängt den Geist eine Finsternis, die sich nicht abschütteln lässt. Ed kann sich nicht erinnern, dass im Inneren jemals Licht gebrannt hat, nirgends leuchtete auch nur eine Decken- oder Stehlampe.

      Der Lakai hastet einen Flur entlang, der von kolossalen Bodenvasen, Marmorkommoden und imposanten Spiegeln gesäumt ist.

      Hamerlaine, der mit der erbarmungslosen Geduld einer Spinne an der Verfeinerung seiner Fallen strickt, verlässt seinen Bau nur sehr selten. Um sich das Leben in Autarkie zu erleichtern, hat er das Universum zu sich hereingeholt. Hat sich im Souterrain sogar einen ultramodernen OP eingerichtet, mitsamt Dialyseapparat, Zahnarztpraxis, und dazu einem Fitnessraum. Hadsch Hamerlaine gibt sich nicht damit zufrieden, ein vom Steuerzahlen befreiter Superstaatsbürger zu sein, er erlaubt sich auch, mit langen Fingern aus der Staatskasse zu schöpfen, wann immer ihn ein Gelüst überkommt. In Algerien nennt man dieses Privileg die »historische Legitimation«.

      Die beiden Männer kommen vor einer Tür aus Ebenholz an. Der Lakai klopft an, wartet einen Moment, öffnet dann die Tür und zieht sich zurück.

      Ed Dayem nimmt seinen ganzen Mut zusammen, um über die Schwelle dieses Saales zu treten, der ihn zu verschlingen droht.

      Das Büro von Hamerlaine ist in der Tat sehr geräumig, mit hohen Decken und vornehm holzvertäfelten Wänden, an denen Gemälde von Meisterhand hängen, die vor derart langer Zeit dem Nationalmuseum entliehen worden sind, dass es keinem in den Sinn kommt, sie zurückzufordern.

      Drei Viertel der Wände verschwinden hinter Bücherregalen, die sich unter voluminösen Wälzern und Enzyklopädien nur so biegen ... Hamerlaine hat im ganzen Leben noch keine Schule besucht, aber sobald seine offiziellen Funktionen ihm erlaubten, sich Privatstunden durch emeritierte Professoren zu leisten, hat er seine Wissenslücken aufgefüllt. Mit überragender Intelligenz und einem phänomenalen Gedächtnis ausgestattet, hatte er seine Lehrmeister bald eingeholt. Und kaum konnte er lesen, packte ihn ein solcher Lesehunger, dass er bis heute keinen Schlaf findet, wenn er nicht wenigstens ein halbes Buch pro Nacht verschlingt. Seine bemerkenswerte Gelehrsamkeit ließ ihn zu einer intellektuellen Instanz ersten Ranges werden. Das Problem, denkt Ed Dayem, liegt nur darin, dass die ganze Bildung ihn menschlich nicht über sich hinauswachsen ließ, geschweige denn ihn von dieser rückständigen Denkweise befreit hätte, die darin besteht, allem und jedem, der ihm nicht zupass kommt, Schaden zuzufügen. Hamerlaine kennt den Heiligen Augustinus ebenso gut wie Konfuzius, aber aus praktischen Gründen zieht er ihnen Kim Il-sung und Clausewitz vor, denn für ihn sind Krieg und Revolution jene beiden Konstanten, die es bis zum letzten Atemzug ständig neu zu erfinden gilt.

      Im Raum ist es kühl. Kaum wahrnehmbar surrt eine Klimaanlage inmitten der strengen, totenstillen Möbel, die aus Pariser Antikläden stammen.

      Ed Dayem bleibt minutenlang eingeschüchtert unter einem Kronleuchter stehen, der jeder Basilika zur Ehre gereichte. Seine Schuhe versinken im Flor des Perserteppichs. Bis heute kann er sich nicht erklären, warum ihn immer diese üble Beklemmung beschleicht, sobald er von einem rboba3 einbestellt wird. Er steht sie einfach nur durch, wie eine nervöse Schwangerschaft.

      In Algerien muss man nichts zwangsläufig einen Verstoß begehen, damit der Himmel über einem zusammenbricht. Oft hängt das eigene Schicksal von einer willkürlichen Laune ab – und das Leben vom Griff zum Telefon.

      Ed Dayem greift nach seinem Taschentuch und betupft sich Stirn, Hals und Mundwinkel. Seine Kehle ist ausgedörrt, sein Atem geht stoßweise.

      Hinten im Raum rührt sich etwas. Der Sessel hinter dem Schreibtisch dreht sich um sich selbst. Hadsch Hamerlaine blickt seinem Besucher ins Gesicht.

      »Sieh an, da sind Sie ja«, erklärt er. »Ich habe Sie gar nicht eintreten hören.«

      Ed weiß, dass der Alte ihn anlügt. Er hat ihn mit voller Absicht warten lassen, um ihn unter Druck zu setzen. So behandelt er sie alle. Wie er auch absichtlich hinter seinem Schreibtisch

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