Worauf die Affen warten - Krimi. Yasmina Khadra
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Читать онлайн книгу Worauf die Affen warten - Krimi - Yasmina Khadra страница 6
Hadsch Hamerlaine erhebt sich, bewegt sich um seinen Schreibtisch herum und baut sich, die Hände im Rücken verschränkt, vor einem wertvollen Gemälde auf, das eine stürmisch bewegte See zeigt. Lange Sekunden bleibt er so stehen, hängt seinen Erinnerungen nach. In der Stille des Raums pfeift sein Atem, als käme er aus einem rissigen Wasserschlauch. Ohne sich umzuwenden, fährt er fort:
»Emma hatte einen guten Kern, trotz ihrer Tobsuchtsanfälle. Sie führte ihren Laden mit eiserner Faust. Ihre Dirnen waren mannstolle Menschenfresserinnen. Noch heute höre ich manchmal ihr dämonisches Lachen. Sie mokierten sich über ihre Freier, wenn die vorzeitigen Samenerguss hatten, meist einfache, schlecht erzogene Soldaten. Für den Dienstjungen, der ich damals war, harte Zeiten, aber dass sie so waren, dafür gibt es gute Gründe.«
Hamerlaine stützt sich mit einer Hand an einer Kommode ab, bevor er sich langsam auf seinen altersdürren Beinen umdreht, die sich unter dem Pyjama abzeichnen. In seinen Augen leuchtet ein ferner Triumph, der in Ed Dayem schlagartig ein Gefühl der Beklemmung auslöst. Er hat es längst gelernt, beim Alten jenen verstörenden Moment zu erspüren, von dem an Gift und Galle gezielt die Erinnerung durchtränkt. Ungewöhnlich heftig, aggressiv sind solche Momente, in denen auch das gespielte Lächeln noch die gefletschten Zähne zeigt.
Wenn in Algerien ein selbsternannter Revolutionär seine Vergangenheit herbeizitiert, dann bringt er seine geballte Wut mit ein – und den Willen, es ein für allemal auszufechten; blinden Schmerz, der von nie verheilten Wunden, nie gebüßten Verbrechen herrührt – und von Fragen, auf die es bis heute keine Antwort gibt.
Unwillkürlich zieht Ed Dayem wieder sein Taschentuch hervor und beginnt, sich nochmals die Stirn abzutupfen, während sein Blick an dem rätselhaften Grinsen klebt, das die greisen Lippen verzerrt.
»Wissen Sie was, Eddie? Es gibt nur eine Art, sich jemandem gegenüber erkenntlich zu zeigen: ihm das, was er einem geliehen hat, mit Zins und Zinseszins zurückzuzahlen, so gut man eben kann. Und wenn Sie das nicht können, weil Ihnen die Mittel fehlen, der Wohltäter Sie aber nonstop daran erinnert, dass Sie ihm alles verdanken, bis Sie am Ende ein Trauma riskieren, dann zwingt er Sie geradezu, radikal zu reagieren. Indem Sie ihn entweder so lange ertragen, bis Sie sich in seiner Spucke auflösen. Oder ihn für immer zum Schweigen bringen. So ist mir das mit Emma passiert. Ich sah nur noch ihren geifernden Mund, ihre feuersprühenden Pupillen, und ihren Finger, der anklagend auf mich gerichtet war. Als wäre ich der allerletzte Dreck. Kein Mensch überlebt das unbeschadet, so gedemütigt zu werden, Eddie. Kein Jemand und kein Niemand. Jeder von uns hat dieses gewisse Extra, das man gemeinhin Stolz nennt. Der eine behält ihn still für sich, der andere trägt ihn vor sich her. Was Pandora ihre Büchse war, ist uns der Stolz. Es genügt, ihn zu reizen, und schon ist die Katastrophe da. Und so passierte, was passieren musste. Als der FLN damals sämtliche Laster für tabu erklärte und alle Zuhälter und Trinker gnadenlos verfolgte, bin ich zu Emma in ihr Schlafzimmer hoch und habe sie wie eine Sau mit meinem rostigen Taschenmesser abgestochen. Da habe ich mit einem Klappmesser gleich zwei Fliegen erschlagen. Mich von einer zu schwer auf mir lastenden Hypothek befreit. Und mein Ticket für die Résistance gekauft. Die Freiheitskämpfer haben mich wie einen Helden begrüßt ... Heute noch frage ich mich, was wohl aus mir geworden wäre, wenn Emma mich anders behandelt hätte. Eines ist sicher: ich hätte keinen Grund gehabt, mich den Widerstandskämpfern anzuschließen. Vermutlich hätte ich bis heute hinter meinem schmierigen Tresen gestanden und Bierflaschen entkapselt. Umgeben von einem Harem kreischender Huren und schüchterner Wichser, deren Selbstwertgefühl keine Freundin in freier Wildbahn hergibt.«
»Warum erzählen Sie mir diese Geschichte, Hadsch?«
»Damit ich Sie später nicht daran erinnern muss, was ich alles für Sie getan habe. Ich möchte meine Tage friedlich auf meinem Greisenbett beschließen, umgeben von meinen Trophäen und den treuesten meiner Höflinge.«
»Ich würde es niemals wagen, die Hand gegen Sie zu erheben.«
»Ich fürchte, Ihr Arm reicht nicht an mich heran. Aber ich habe viel erlebt. Und ich weiß, dass eine Viper keinen großen Anreiz braucht, um großes Unheil anzurichten.«
»Ich bin in Ihren Augen bloß eine Viper?«
»Wenn Sie ein Orang-Utan wären, würde man das sehen!«
Ed Dayem steckt den Hieb gelassen weg. Drei Jahrzehnte auf Tuchfühlung mit den Dinosauriern der Republik waren nicht genug, um ihm Eintritt zu dieser Kaste zu verschaffen. Sein kolossales Vermögen, das exorbitante Netz seiner Beziehungen reichten nicht aus. Der Kreis der Rboba ist ein eigener Kosmos. Für jeden Nichteingeweihten ein fatales Labyrinth. Und Ed kennt sie alle, kennt ihre Karrieren, die gepflastert sind mit menschlichen Gerippen, tödlichen Fallen und heimlichen Schätzen. Er kennt ihre Methoden und ihre Ruchlosigkeit: der ihrer Feinde immer einen Schritt voraus. Und doch ist es ihm nicht eine Sekunde lang geglückt, ihr Vertrauen zu erringen. Eifersüchtig hüten sie ihre Macht und ihre blickdichten Logen. Lassen ihn nie in den Hexenkessel ihrer Komplotte blicken. Nehmen seine Dienste nur sporadisch in Anspruch und nur, um die eigenen Pfründe zu sichern. Um ihn danach wie einen gemeinen Handlanger wieder zu entlassen.
Ed Dayem hasst es, so behandelt zu werden, doch die Angst, die ihm die Alleinherrscher über Algier einflößen, lässt für Gefühlsregungen oder narzisstische Anwandlungen keinen Platz. Nur wer das kleinere Übel geduldig erträgt, bleibt von Schlimmerem verschont. Eine Woche, bevor er sich in der Irrenanstalt erhängte, in die seine Rechtschaffenheit ihn geführt hatte, hat ein namhafter Gewerkschafter Folgendes an die Wand seiner Zelle geschrieben: Ich gebe auf. Die Rboba von Algier werden nie krepieren. Wenn es keine Sterne mehr am Himmel gibt, wenn die Sonne erloschen sein wird, die Götter ihre Seele ausgehaucht haben, werden die Rboba noch immer da sein, über der Asche einer verschwundenen Welt werden sie thronen und ihre Intrigen gegen die Finsternis schmieden, ihr eigenes Echo belügen, mit der linken Hand die rechte bestehlen und hinterrücks ihren eigenen Schatten erdolchen.
»Sie sind ungerecht, Hadsch.«
»Wir haben immer mit offenen Karten gespielt.«
»Was erwarten Sie von mir?«
»Endlich mal eine vernünftige Frage.«
Hamerlaine greift nach einer Zeitung auf seinem Schreibtisch und schleudert sie seinem Besucher entgegen:
»Da, schon wieder dieser Idiot von Amar Daho ...«
Ed Dayem fängt die Zeitung auf und überfliegt sie in fiebernder Hast. Amar Dahos Foto prangt auf der Titelseite, dazu ein zweispaltiger Leitartikel.
»Ich dachte, ich hätte Sie gebeten, den Herausgebern nahezulegen, dass dieser Mistkerl totgeschwiegen wird.«
»Es steht ihnen doch frei, welche Orientierung sie ihren Zeitungen geben wollen. Das sind nicht unsere Freunde, das ist unsere Konkurrenz. Und alle sind sie auf Polemik und Skandale angewiesen, um ihre Blätter an den Leser zu bringen. Nur so funktioniert es.«
»Das ist nicht mein Problem. Sehen Sie zu, dass kein Mensch diesem Mistkerl mehr ein Forum gibt.«
»Dann wird man sie schmieren müssen.«