Worauf die Affen warten - Krimi. Yasmina Khadra
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»Das ist alles?«
»Ja, außer dass ich deinen Bericht allerspätestens morgen um 15 Uhr auf meinem Schreibtisch sehen will.«
»Schon notiert.«
»Das rat ich dir auch«, grummelt der Leutnant und verlässt den Abstellraum.
Der Inspektor betrachtet noch eine Weile den Platz, an dem sein Vorgesetzter sich aufgehalten hat, dann gießt er sich einen großen Schluck Kaffee ein, den er in einem Zug hinunterschüttet, und dreht sich um zu Nelson Mandelas Porträt an der Wand hinter ihm.
7.
Nachdem er sich vergewissert hat, dass ihm niemand folgt, spurtet Ed Dayem eine steile Treppe hinunter, die auf einen kleinen Platz führt. Unten angekommen, springt er ins nächste Taxi und befiehlt dem Fahrer, ihn in den Stadtteil Annassers zu bringen. Jedes Mal, wenn hinter ihm ein verdächtiges Fahrzeug auftaucht, duckt Ed sich auf dem Rücksitz. Beunruhigt fragt ihn der Taxifahrer, ob etwas nicht stimmt.
»Kümmere dich um die Straße und lass mich in Ruhe, kapiert?«
»Ich dachte, es ginge Ihnen nicht gut.«
»Bist du etwa Arzt?«
»Nein.«
»Dann halt die Klappe!«
Der Fahrer macht eine entschuldigende Handbewegung und verschmilzt aufs Neue mit seinem Lenkrad.
Ed fühlt sich mies. Seine Unterredung mit Hamerlaine hat ihn furchtbar mitgenommen. Für jemanden, der es verabscheut, dass die Dinge ihm entgleiten, ist das Maß mehr als voll. Seit einiger Zeit schon hat er nichts mehr im Griff. Er, der Kaltblütige, der bisher noch jeden, der ihn reinlegen wollte, ausgetrickst hat. Wenn er jahrelang ungehindert wüten konnte, dann nur, weil er nichts von seinen Absichten und Selbstzweifeln durchscheinen ließ. Doch seit einigen Monaten ist er für seine Widersacher so transparent wie ein Röntgenbild. Zwar manipuliert er seine Umwelt noch mit Meisterhand, aber der Sumpf, zu dem Algier sich entwickelt hat, ist inzwischen derart mit Krokodilen verseucht, dass das Baden immer gefährlicher wird. Eben deshalb ist er nach Spanien übergesiedelt. Er kann anderen noch immer sehr gefährlich werden, und sein Netzwerk ist weitgehend intakt. Doch sein Revier wirkt weniger uneinnehmbar als früher, seit eine neue Generation von Aasgeiern am Werk ist. Die kurzen Prozess macht, der nichts mehr heilig ist. Und die mit unfassbarer Respektlosigkeit sämtliche Konventionen mit Füßen tritt. Die neuen Beutegeier kennen weder Geduld noch Skrupel. Sie wollen alles, und zwar sofort. Ohne Zugeständnisse, und ohne zu teilen.
Ed Dayem ist nicht traurig, seinen Platz zu räumen, nur seine Privilegien, auf die würde er ungern verzichten. Er ist reich, und noch immer verteufelt einflussreich, und obwohl er nicht abgeneigt wäre, sich zur Ruhe zu setzen, zöge er es doch vor, nicht gleich lebendig begraben zu werden. Wenn Algerien so tief gesunken ist, dann ist Ed Dayem daran nicht ganz unschuldig. Er hat sein Leben lang Karrieren und Ehen zerstört, Bündnisse und Projekte sabotiert. Wie viele anständige Leute hat er nicht in den moralischen oder materiellen Ruin getrieben, wie viele Wissenschaftler, Aktivisten, kluge Köpfe ins Exil? Wie viele graue Eminenzen sind seinetwegen nicht schon in der Psychiatrie gelandet, wie viele Nationalhelden hat er nicht durch den Schlamm gezogen, bevor er ihnen den Todesstoß versetzte? Noch heute, mit seinen fünfundsechzig Jahren, ist ihm keine Quälerei zuwider, kommt kein Charisma gegen ihn an. War nicht er es, der lauthals verkündet hat, jeder Kopf, der die Masse überragt, gehöre gekürzt? War nicht er es, der aus der Meinungsfreiheit die Freiheit gemacht hat, ungestraft über jeden alles und jedes zu behaupten?
Ed Dayem ist ein gefürchteter Mann. So gefürchtet wie Krebs und böser Blick zugleich ... Und doch kann er nicht mehr nach Algerien heimkehren, ohne dass seine Eingeweide sich zusammenkrampfen.
Kurz bevor sie Annassers erreichen, bittet Ed den Fahrer unter dem Vorwand, ihm sei eben noch ein wichtiger Termin eingefallen, in Richtung des Golf-Viertels abzudrehen. Er lässt sich in der Nähe eines Marktes absetzen, geht ein paar hundert Meter zu Fuß, hält dann am Straßenrand ein vorüberfahrendes Taxi an und lässt sich nach Chéraga bringen. Dort angekommen, wartet er, bis das Taxi um die Ecke gebogen ist, umrundet dann noch einen Häuserblock und tritt endlich den Heimweg an. Es ist Ed klar, dass er unter Verfolgungswahn leidet, aber er kann nicht anders. Er weiß, dass Algier wie ein Schießstand ist, wo ihn jederzeit eine verirrte Kugel treffen kann.
Seine Villa steht am Ende einer von Bougainvilleen gesäumten Allee. Ein prachtvolles Anwesen im Kolonialstil, das er dem Staat in jener Epoche, als die herrenlosen Güter veräußert wurden, für einen symbolischen Dinar abgekauft hat, nachdem er zuvor rasch die Witwe eines Märtyrers der algerischen Revolution daraus verjagt hatte, die dort seit 1963 wohnte. Es ist eine ruhige, reinliche Gegend. Zahlreiche hohe Funktionäre genießen dort das süße Leben, ohne dass es sie groß was kostet. Die nachbarschaftlichen Kontakte beschränken sich auf unverbindliches Grüßen; Kinder sieht man, anders als in den volkstümlichen Vierteln, nur sehr selten auf der Straße.
Zu Hause angekommen, entlässt Ed Dayem seinen Hausmeister in den Feierabend, nimmt eine heiße Dusche, um zu entspannen, lässt sich danach splitternackt in einen Sessel sinken und ruft im Büro an.
»Hallo, Sido ... Nein, ich bin schon heute Morgen zurückgekommen. Wie läuft es ...? Sehr gut. Ist Post da ...? Kann das nicht bis morgen warten ...? Okay, schick mir die Verträge und alles, was keinen Aufschub duldet ... Nein, nicht mit Mostefa. Ich hatte dich doch angewiesen, ihn zu feuern, oder ...? Seine Entschuldigungen gehen mir sonst wo vorbei. Ich will ihn nicht mehr durch den Verlag schleichen sehen. Schick mir jemand anderen, und zwar gleich. Ich bin total kaputt und will früh ins Bett.«
Er knallt das Mobilteil so heftig auf die Basis, dass es fast zu Bruch gegangen wäre, gießt sich ein Glas Scotch ein und stellt den Fernseher an.
Er war schon fast eingedöst, da klingelt es an der Tür. Er erkennt Basma, eine seiner Angestellten, auf dem Display der Überwachungskamera, betätigt den Öffner und wirft sich im Schlafzimmer noch rasch einen Bademantel über.
»Ich dachte, du hättest die Zeitung verlassen«, sagt er zur Begrüßung, während er zur Seite tritt, um die Frau einzulassen.
»Ich habe mich nur für sechs Monate beurlauben lassen«, erwidert sie. »Ich bringe dir die Papiere zur Unterschrift.«
Ed deutet auf einen Schreibtisch.
»Leg sie da hin.«
»Es ist sehr dringend. Sie müssen heute noch raus.«
Mit ihrem Garçonne-Haarschnitt, ihren großen meergrünen Augen und ihrem aufreizenden Hüftschwung beschleunigt Basma, die ihre üppigen Kurven am liebsten in hautenge Outfits zwängt, gern den Puls sehnender Begierde. Im Büro versinken die männlichen Kollegen in andächtiges Schweigen, sobald sie den metallischen Klang ihrer High Heels auf dem Steinboden vernehmen. Mit zwanzig war sie eine Bombe, die die Knöpfe an den oberen zehntausend Hosenschlitzen sprengte. Minister und Geschäftsleute sammelte sie mit wahrer Leidenschaft. Und als ihre Liebhaber sie mit den Jahren zugunsten noch frischeren Fleisches verließen, fing sie an, damit zu drohen, die Skandale der Republik ans Licht zu ziehen und nicht einen Beweis schuldig zu bleiben. Solange, bis Ed sie entschärfte, indem er ihr einen Job anbot, der das reinste Honigschlecken war, und