Worauf die Affen warten - Krimi. Yasmina Khadra
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Nora erinnert sich noch an das Haus der Jugend von ElBiar, zehn Jahre zuvor. Ein großes Gebäude im Kolonialstil mit prächtigem Vorhof, einem großen Festsaal, eigenem Kinosaal, Büroräumen im ersten Stock, Musik-, Foto- und Malateliers im zweiten und einer Bibliothek mit zehntausend Büchern im dritten Stock. Das Zentrum erfreute sich bei der Jugend großer Beliebtheit. Am Wochenende wurde immer irgendein Anlass zum Feiern gefunden, man lud Komiker und Musiker aus den umliegenden Stadtteilen ein und hatte jede Menge Spaß. Eine schöne Zeit war das. Dann wurde das Gebäude wegen einer an den Haaren herbeigezogenen, nie wirklich aufgeklärten Sittengeschichte per Erlass des Präfekten quasi über Nacht versiegelt, die Mädchen zurück in die Elternhäuser geschickt, die Jungen den Fährnissen der Straße überantwortet. Als dann die Brombeerranken über die Wege krochen, die Ratten sich im Souterrain breitmachten, die Spinnen mit ihren Netzen die zu Bruch gegangenen Fensterscheiben überzogen, tauchte ein Architektenteam auf, entrollte auf dem Boden gewaltige Baupläne und entwarf die kühnsten Zukunftsvisionen. In weniger als einem Jahr verwandelte sich das Haus der Jugend mit tatkräftiger Unterstützung der Chinesen in eine Privatklinik, die der Gesundheitsminister höchstpersönlich mit großem Tamtam und Kastagnettengerassel und Tausenden bunter Fähnchen einweihte.
Die El-Boustane-Klinik gehört einem gewissen Haroun Ibader, ehedem Chef der algerischen Zollbehörden. Ein genialer Mauschler, der mehr als einmal in die Fänge der Justiz geraten und doch immer wieder begnadigt worden war. Und der es sogar geschafft hatte, sich eine weiße Weste und den makellosen Ruf eines Marabouts zuzulegen, indem er seine Tochter dem Sohn des Innenministers zur Frau gab. Der Minister, vom ultramodernen Labor der Klinik geblendet, hatte beschlossen, ihr künftig alle Leichen zu überlassen, die die Kriminalpolizei am Hals hätte, sowie sämtliche Untersuchungen und Laborproben, die bei ungeklärten Todesfällen anstünden.
Leutnant Guerd ist schon vor Ort, steht mit anklagend über der Brust verschränkten Armen hoch oben auf der Freitreppe. Er trägt die verkniesterte Miene eines Zuhälters zur Schau, der von seinem Häschen versetzt worden ist. Vielsagend blickt er auf seine Armbanduhr und bläst die Backen auf, um seiner Chefin zu verstehen zu geben, dass sie zu spät kommt. Nora gibt ihm keine Hand. Sie rauscht an ihm vorüber und wendet sich auch dann nicht um, als er zu murren beginnt.
Doktor Reffas empfängt sie in einem Raum, der unmittelbar ans Labor angrenzt und in dem eisige Temperaturen herrschen. Der Körper des Mädchens liegt unter einem Laken auf einem weißen Seziertisch. Ringsum sind Regale in die Wände eingelassen, auf denen Glasgefäße mit in Formalin schwimmenden Monstrositäten ausgestellt sind. An der Decke flackern Neonröhren so anämisch wie ersterbende Seelen.
Doktor Reffas ist eine lebende algerische Legende. Sein Können wird bis nach Frankreich gelobt. Vorher arbeitete er im staatlichen Krankenhaus. Allzu sehr damit beschäftigt, Leben zu retten, achtete er weder auf die katastrophale Misswirtschaft in der Verwaltung noch auf die häufigen Diebstähle von Medikamenten und medizinischer Gerätschaft aus dem unantastbaren Grundbestand. Als er aber merkte, dass man aus Plastikflaschen Sauerstoffmasken herstellte, deckte er alles in einer Zeitung auf. Er rechnete damit, dass der Gesundheitsminister die skrupellosen Geschäftemacher ihrer gerechten Strafe zuführen würde, doch stattdessen fand er noch am selben Morgen, an dem er seine Anschuldigungen öffentlich machte, ein Fax auf seinem Schreibtisch vor: fristlos entlassen.
Am folgenden Tag schon fand er eine Anstellung in der El-Boustane-Klinik, und der öffentliche Gesundheitssektor verlor eine der Galionsfiguren der algerischen Medizin.
Nora hasst diese Privatklinik, doch für den Doktor hegt sie größte Verehrung. Sie kennt ihn seit Jahren. Wenn sie ihren Glauben an Algerien noch nicht ganz verloren hat, dann ist das ihm zu verdanken. Reffas ist der lebende Beweis, dass Algerien nicht nur Abschaum hervorbringt.
»Haben Sie die Ärmste schon identifiziert?«, fragt der Arzt, während er das Laken vom Gesicht der Toten abzieht.
»Noch nicht.«
»Armes Mädchen ...«
»Wir sind nicht hier, um in Tränen zu zerfließen«, knurrt Leutnant Guerd. »Am Ende hat sie es selbst provoziert.«
»Ein solches Bild des Jammers ist durch nichts zu rechtfertigen«, erwidert der Doktor. Nora bittet ihren Untergebenen, seine Ansichten für sich zu behalten.
»Haben Sie etwas gefunden?«, fragt sie den Doktor.
»Nichts, aus dem sich für den Moment brauchbare Erkenntnisse ableiten ließen. Es deutet nichts auf eine Entführung hin, es finden sich keinerlei Hautpartikel unter ihren Fingernägeln, nichts, das uns erlaubte, die DNA des Täters zu ermitteln. Dieses Mädchen kam zwischen 22 Uhr 30 am 23. Dezember und 2 Uhr früh am 24. Dezember ums Leben. Und noch etwas: Sie ist Jungfrau.«
»Das schließt noch lange keine Vergewaltigung aus. Manche ziehen da ganz andere Körperöffnungen vor«, mischt sich der Leutnant wieder ein, dem es Spaß macht, seine Chefin erröten zu sehen.
»Es gibt keinerlei Hinweis auf Analverkehr«, stellt der Doktor klar. »Keine Spur von Sperma.«
»Bei Verwendung von Kondomen findet sich auch keine Spur«, beharrt der Leutnant, stolz auf seine Sachkunde.
Der Arzt mustert ihn zwei Sekunden lang.
»Ich kenne meine Arbeit, junger Mann. Man hat dem Mädchen Drogen eingeflößt, ohne sie zu vergewaltigen.«
»Wie eigenartig«, gesteht Nora ein. »Glauben Sie, der Tod wurde durch eine Überdosis verursacht?«
»Oder durch die Verstümmelung«, entgegnet der Doktor und zieht das Laken von der Wunde auf der Brust der Toten weg.
»Wohl der Biss eines streunenden Hundes«, mutmaßt Guerd, den der Arzt so langsam anödet.
»Nein, keineswegs. Da hat ein Mensch zugebissen.«
Synchron werfen beide Polizeibeamten den Kopf zurück, als hätte ihnen jemand einen Kinnhaken verpasst.
»Die Analysen lassen keinen Zweifel zu«, erklärt der Arzt. »Die Konturen der Wunde, der Abdruck der Zähne, die Art des Bisses, alles weist eindeutig darauf hin, dass da ein menschlicher Kiefer am Werk war, der den Busen des Mädchens verstümmelt hat.«
Entsetzt schlägt Nora die Hand vor den Mund. Der Leutnant grinst belustigt angesichts seiner sprachlosen Chefin.
»Man sollte bei den Damen behutsamer sein«, bemerkt er zum Doktor. »So zartbesaitet, wie sie sind ... Glauben Sie, dass da ein Kannibale sein Unwesen treibt?«
»Wer weiß das schon?«, erwidert der Doktor, während er das Laken wieder über die Tote deckt. »Ähnliche Fälle gab es in den 1990ern, als die islamistischen Terrorgruppen ihr Unwesen trieben.«
»Aber es müssten sich doch DNA-Spuren nachweisen lassen, wenn es der Biss eines Menschen ist?«, mutmaßt Nora.
»Die Wunde wurde gründlich gereinigt.«
Die beiden Offiziere