Taubenblut. Lutz Kreutzer
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Читать онлайн книгу Taubenblut - Lutz Kreutzer страница 6
»Diese widerliche Schwuchtel!«, schrie sie und schlug mit der Faust auf den Schreibtisch.
»Trude! Du trägst den Habit. Vergiss das nicht!«, ermahnte sie ihr Bruder vorsichtig. »Was ist denn los?«
Sie wand sich auf ihrem Stuhl, und Sentlinger wusste, dass sie jetzt wieder von Schuldgefühlen geplagt wurde. Aber sicher nur kurz, dachte er.
»Er ist aus Thailand. Er hat drei Häuser gekauft. Zwei Tage später ist er wie ein Pfau durch den Ort stolziert, hat alle gegrüßt. Und dabei hatte er zehn«, es zerriss sie fast, »zehn andere von diesen Elenden im Schlepptau.«
»Ja und? Das ist doch freundlich, dass er die Leute begrüßt.«
»Sie haben dabei fremdartige Gebete gemurmelt. Und dann dieses Grinsen. Sie haben alle so unerschütterlich gegrinst!«, sagte sie jammernd. »Und jetzt wohnen die alle da drin«, rief sie klagend hinterher und hob beide Hände.
»Trude, ihr habt doch dauernd Touristen mit wechselnder Kleidung und Aussehen auf der Insel. Was regst du dich denn so auf?«, fragte Sentlinger sanft.
»Wer weiß, was die dort treiben?« Ihr Ton wurde schnippisch.
Sentlinger wandte sich zum Fenster und zischte leise: »Müller-Westermann. Dieser verdammte Idiot!«
»Wer?«, entfuhr es Schwester Irmentrud.
Er griff zu seiner Teekanne und fragte sie: »Auch einen Tee?«
Sie nickte.
»Ein Immobilienmakler aus München. Guter Bekannter. Ich hab ihm ein paar Türen geöffnet. Zuletzt hat er sich damit gebrüstet, dass er drei Häuser auf Frauenchiemsee gekauft hat. Und ich hatte ihm noch die Kontakte geknüpft. Aber seine Option war eigentlich, die Häuser zu vermieten ...« Er nahm die Teetasse in die Hand, rührte darin und trank vorsichtig, während er seine Schwester abwartend ansah.
»Aber dieser ... «, sie räusperte sich, »... warme Guru hat sie gekauft.«
»Wenn er das Geld hat, darf er das ja«, meinte Sentlinger.
»Der muss wieder weg«, schrie sie. Sie wedelte mit dem rechten Arm und rief laut: »Weg, weg, weg!« Dann starrte sie ihn an. »Du musst uns helfen«, zischte sie fordernd.
»Hat er sie denn wirklich gekauft«, fragte er nochmal nach. »Oder ist es nur wieder eins eurer Klostergerüchte?«
»Ja, hat er. Ich war beim Bürgermeister. Und er hat einen bayerischen Familiennamen, wie wir herausgefunden haben.« Sie nahm einen Zettel aus ihrem Habit. »Und was für einen!«, betonte sie.
»Ja, und?«, fragte Sentlinger und wartete gespannt.
»Er nennt sich …«, sie sah von ihrem Zettel auf und sagte langsam und deutlich: »… Nuh Poo Tubkim-Gongutih in Klammern Hausmayr.«
Sentlinger verschluckte sich, hustete los, und spratzte den Tee auf seinen Schreibtisch. Augenblicklich nahm er ein Taschentuch aus seiner Hose und putzte alles wieder weg. Schuldbewusst beobachtete er seine Schwester, die ihn grimmig anstarrte. Wie früher als Kind spürte er die Beklommenheit.
»Merkwürdig, was?«, sagte sie und hob die Schultern. »Hat der was zu tun mit Pater Hausmayr? Bei dem du vor dreißig Jahren die Grabrede gehalten hast? Erinnerst du dich nicht? Pater Hausmayr!«
Sie sah ihm genau zu, wie sich sein Gesicht vor Anspannung verfärbte.
»Spiel nicht den Dummen!«, sagte sie barsch. »Er hieß Pater Bruno. Hat oft sonntags bei uns auf der Fraueninsel die Messe gelesen.«
Sentlinger erkannte, dass es nichts brachte, den Ahnungslosen zu spielen. »Was, der? Oh Gott. Ja natürlich erinnere ich mich.«
»Dein Jugendfreund. Und Schürzenjäger ersten Ranges!«, erwiderte sie.
»Davon hab ich damals nichts mitbekommen.«
»Unfug!«, schrie sie. »Das wusste jeder! Und ich möchte nicht wissen, was ihr beide gemeinsam alles …«
»Trude! Das reicht!«, schimpfte er. »Schließlich hast du damals auch mehr als nur ein Auge auf ihn geworfen.«
Schwester Irmentrud hatte mit dieser Direktheit nicht gerechnet. Wie konnte er es wagen? Sie fühlte sich ertappt, sah beschämt zu Boden und stutzte. »Ja, und irgendwann war er weg nach …«, sie schlug die Hände vor das Gesicht. »... Thailand!«, schrie sie aufgewühlt. »Nach Thailand! Verstehst du? Oh Gott.« Sie streckte die Hände nach oben und warf den Kopf in den Nacken.
»Ja, genau, er ist nach Thailand abgehauen. Das war damals für viele völlig überraschend. Vor allem auch für den katholischen Herrenorden. Pater Bruno war früher schließlich im Vorstand, wenn auch nur Beisitzer. Ich war damals bereits Schatzmeister.«
»Der katholische Herrenorden, diese Ansammlung scheinheiliger Moralapostel!«, schimpfte sie.
»Ich darf doch bitten, Trude. Beherrsche dich!«
»Jeder wusste, wie er gestorben ist. Aber niemand durfte das auch nur denken.« Flüsternd fügte sie hinzu: »Geschweige denn laut sagen.«
Er stand auf und ging zum Fenster. »Es war die schwierigste Grabrede meiner Karriere.«
»Ich war ja nicht dabei damals«, sagte sie, als müsse sie sich verteidigen. Sie sah erneut zu Boden.
»Damals warst du noch einfache Nonne. Du konntest an der Beerdigung nicht teilnehmen, weil du auf einem Seminar in der Nähe von Graz warst«, sagte er, den Blick nach draußen auf die Parklandschaft gerichtet. »Da hast du doch deine verrückte Freundin kennengelernt.«
»Ach ja, Adelmunda«, ergänzte sie gedankenverloren, »sie war so hilflos damals. Ich bin so froh, dass ich sie zu mir geholt habe.« Liebevoll bewegte sie den Kopf hin und her und richtete ihren verklärten Blick ein paar Sekunden ins Leere. »Aber du willst ablenken«, schob sie hinterher.
»Als du damals zurückgekommen bist aus Graz? Wie hast du eigentlich von Brunos Tod erfahren?«
»Nach meiner Rückkehr auf die Fraueninsel«, sagte sie betrübt, »durfte nicht über seine Beerdigung gesprochen werden. Pater Bruno wurde ganz einfach ignoriert und seine Existenz vergessen. Sein Grab ist in der hintersten Ecke unseres Friedhofs, wie du weißt.« Sie machte eine kurze Pause und atmete tief durch. »Die jungen Nonnen wissen gar nicht mehr, wer dort liegt. Die Inschrift auf dem Kreuz ist fast verblasst.«
»Bei seiner Geschichte, kein Wunder!«
»Wir haben einen Sünder auf unserem Friedhof beerdigt«, seufzte sie.
»Sündiger Bock wäre treffender.«
»Erwin, lass diese gottlosen Bemerkungen!«, befahl sie streng. Sentlinger nahm wieder Platz an seinem Schreibtisch.