Taubenblut. Lutz Kreutzer
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Loyalität
Nachdem Adnan Curri erneut aus seinem Dorf geflohen war, tauchte er wieder in Tirana unter. Seine Mutter hatte er nie wiedergesehen. Das Gefühl der Ungerechtigkeit und der Hass gegenüber der heimatlichen Tradition in den ›Verwunschenen Bergen‹ Albaniens brannten sich mit jedem Tag tiefer in seine Seele.
In Tirana überließ er sich vollkommen seinen Herren. Sie unterrichteten ihn darin, wie man Menschen unterdrückt, erpresst und mit Messern tötet. Sie brachten ihm Techniken bei, wie man seine Zweifel und Skrupel durch meditative Übungen überwinden kann, wie man jedes Mitgefühl ausmerzt. Sie zeigten ihm, wie man Menschen zum Reden bringt. Nach einem weiteren Jahr in Tirana war er ein entwurzelter und anderer Mensch. Sie hatten ihm dabei geholfen, seine Gewissensbisse zu verbannen, die er nach Qamils Tod mit sich herumgetragen hatte.
Einer seiner Kameraden aus Tirana hatte es nach Wien geschafft. Petrit schickte ihm irgendwann Geld und genaue Informationen, wie auch er es nach Österreich schaffen könnte. Adnan hatte über die letzten beiden Jahre Deutsch gelernt und zögerte keinen Augenblick. Er floh aus Tirana über die Berge in den Kosovo und begab sich nach Priština, wo er Anfang Mai 2014 einen Schlepperbus bestieg. Er gab sich als Kosovo-Albaner und somit als Flüchtling aus, der keine Papiere besaß.
Der Bus brachte ihn nach Serbien. Östlich von Subotica in der nördlichen Provinz Vojvodina, kurz vor der ungarischen Grenze, überließen die Schlepper die Leute aus dem Bus sich selbst. Adnan tat das einzig Richtige, er setzte sich von der Gruppe der anderen Flüchtlinge ab.
In der Abenddämmerung schlug er sich nach Osten durch, wie es ihm sein Freund Petrit detailliert aufgeschrieben hatte. Bei der ersten Gelegenheit hielt er auf einer einsamen Straße einen Radfahrer an, der ihm entgegenkam. Er fragte ihn nach dem Weg. Der Mann begann freundlich, ihm die Strecke zu erläutern. Doch dann wurde er skeptisch und fragte, was er an der Grenze zu Ungarn wolle. Ohne zu zögern, schlug Adnan Curri den Mann mit einem Hieb vom Rad. Er ließ ihn bewusstlos am Straßenrand liegen, hob das Rad auf und setzte seinen Weg mit dem Fahrrad fort.
Bald kam er ans Ufer der Theiß, die er noch in Serbien bei Novi Kneževac über die einzige Brücke überquerte. Er folgte dem Lauf des Flusses nach Norden, wo er ihr eiskaltes Wasser schließlich durchschwamm, um unbemerkt auf die ungarische Seite zu wechseln.
Nach langem Fußmarsch kam er durchfroren und entkräftet ins ungarische Szeged. Am nächsten Morgen bestieg er einen Zug, der ihn nach zweimaligem Umsteigen nach Sopron brachte. Von dort aus passierte er schließlich die offene Grenze ins Burgenland. Endlich, er war in Österreich. Aus Klingenbach, dem ersten österreichischen Ort, rief er Petrit an, der ihn eineinhalb Stunden später mit einem Mercedes abholte und ihn herzlich begrüßte.
Mit Petrits Hilfe konnte er in Wien schnell Fuß fassen. Petrit besorgte ihm immer wieder Jobs, die mit Einbruch und Diebstahl zu tun hatten. Petrit riet ihm, den Menschen gegenüber härter und kompromissloser aufzutreten. »Wenn du keine Härte zeigst, verlierst du alles. Man muss die Härte in deinen Augen sehen.« Adnan begriff, was Petrit meinte, und lernte schnell, dass die Menschen ihn umso mehr fürchteten, je gnadenloser er sie ansah und je weniger er mit ihnen sprach.
Dann hatte Petrit ihn an Heimo Cerny vermittelt. Cerny, der Juwelenhändler, mochte Adnan vom ersten Augenblick an. Er schätzte seine klugen Augen und seine schnelle Auffassungsgabe. Für Cerny war er wie ein ungeschliffener Edelstein, den es zu bearbeiten galt. Nach einem halben Jahr besorgte er ihm österreichische Papiere. Cerny wusste, dass er sich damit Adnan Curris immerwährende Loyalität gesichert hatte.
Cerny nannte Adnan nur bei seinem Nachnamen. »Curri, das klingt so wunderbar nach indischem Essen«, hatte Cerny lustvoll gesagt und sich die Hände gerieben. Gleich hatte er hinterhergeschoben, dass er, wenn er Curri sehe, sofort Appetit auf Chicken Vindaloo bekäme.
Schnell hatte Curri das Geschäftsmodell seines neuen Chefs kennengelernt. Ohne Cerny konnte man im deutschsprachigen Raum kaum Rubine verkaufen. Der Mann galt als Rubinexperte und verfügte am Markt über eine unbezahlbare Glaubwürdigkeit.
Curri hatte schnell festgestellt, dass Heimo Cerny kein sehr mutiger Mann war. Ja, arrogant war er, überheblich, geschäftstüchtig. Aber eben nicht sehr mutig. Curri erledigte jetzt für Cerny unangenehme Botendienste und andere Wege. Curri war fortan Cernys Mann für die groben Dinge. Im Herbst 2014 wurde Adnan Curri unwiderruflich Österreicher. Und ab diesem Zeitpunkt war er Cernys zuverlässigste Hand.
Thailandeiland
Als Jeab und Muu auf die Fraueninsel zurückgekehrt waren, zeigten sie vor, was sie gefunden hatten. Sie erzählten von Tuntenhausen, von der Hochzeit, von den netten Menschen dort und von der Schwemme. Sie zeigten Bilder und malten alles mit farbigen Worten und Formulierungen aus.
Der Guru lächelte. Die Blicke von Jeab und Muu hafteten an ihm. Als der Meister sie in den Arm nahm und sie herzte wie seine Kinder, lachten sie erleichtert. »Sei es so«, sagte er. Die anderen Katoeys konnten es kaum erwarten, ihre Begeisterung mit den beiden zu teilen, und gratulierten überschwänglich.
Nuh Poo wurde sofort aktiv. Er telefonierte mit Müller-Westermann und gab ihm den Auftrag, sich mit ihm vor Ort zu treffen und das Gebäude zu besichtigen.
Eine Woche später, nach kurzen Besprechungen und einer Verhandlung mit dem Eigentümer, wurde der Kaufvertrag für die ›Schwemme‹ unterschrieben. Nuh Poo plante, die ›Schwemme‹ in Tuntenhausen sobald wie möglich wiederzueröffnen. Müller-Westermanns Innenarchitekt arbeitete Tag und Nacht. Alle Handwerker wurden vor Ort gebucht. Ihre Bezahlung war fürstlich, so dass sie auch gerne Sonderschichten einlegten. Nur mit dem Namen des Lokals war Nuh Poo nicht zufrieden. Aber es würde sich schon etwas ergeben, dachte er.
Einen Tag später erschien ein Polizist auf der Fraueninsel. Polizeihauptmeister Rödiger von der Wasserschutzpolizei verließ sein Boot und ging geradewegs auf das Haus von Nuh Poo Tubkim zu. Er klingelte und wartete. Der Leibwächter machte ihm die Tür auf.
»Ich möchte den Hausherrn sprechen«, sagte er.
Als er vor Nuh Poo stand, reichte er ihm die Hand und erklärte, dass er einen Antrittsbesuch mache, damit man sich kenne. Er habe ja schon viel von ihm gehört, dem Herrn Hausmayr, aber es wäre doch schön, wenn man sich auch mal gesehen hätte. Nuh Poo erwiderte freundlich lächelnd, dass ihn das sehr freue.
»Sagen S’ mal, wie viele von euch gibt’s denn da schon?«, fragte Rödiger.
Nuh Poo ließ den Polizisten nicht aus den Augen. »Was meinen Sie? Wie viele was?«, fragte er und lächelte erneut.
Polizeihauptmeister Rödiger räusperte sich. »Na, von den Madlbuben. Also, das erzählt man sich ja. Wie viel habt ihr da jetzt schon auf der Insel?«
»Das wechselt. Zehn Freundinnen wohnen eigentlich immer hier bei mir. Aber wir bekommen viel Besuch.« Er drehte sich um und fragte den Leibwächter: »Charlie, wie viele Besucherinnen haben wir gerade hier?«
Charlie trat einen Schritt nach vorn. »Heute werden es elf.«
»Immer wieder Gäste aus Thailand«, sagte Nuh Poo zu Rödiger. »Die reisen aber bald wieder ab. Warum fragen Sie?«
»Ka Wunder ned«, sagte er versonnen und sah auf seinen kleinen Notizblock, den er mehr aus Verlegenheit aus der Hosentasche gekramt hatte.
»Wunder, welches Wunder?«, fragte Nuh Poo neugierig.
»Na,