Taubenblut. Lutz Kreutzer

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Taubenblut - Lutz Kreutzer

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Kosiyabong liebten sich ehrlich und innig. Seit sie sich über ihren Guru kennengelernt hatten, waren sie unzertrennlich. Sie stammten beide aus unterschiedlichen Provinzen. Thapakorn kam aus dem Osten an der Grenze zu Laos, Boonipat war im Norden in Lampang aufgewachsen. Als sie ihre Neigung entdeckten, wussten sie noch nichts voneinander. Schließlich kamen sie fast zur selben Zeit im Alter von etwa siebzehn Jahren nach Bangkok.

      Sie gerieten schnell in die Prostitution und stürzten ab. Zwei sehr ähnliche Schicksale nahmen unabhängig voneinander ihren Lauf. Für wenig Geld sahen sich beide gezwungen, sich in einem billigen Bordell zahlungskräftigen Touristen hinzugeben. Italiener, Briten und Deutsche waren ihre Freier. Natürlich gab es auch Amerikaner, Franzosen und ein paar Österreicher.

      Irgendwann hörten beide mit einem Abstand von einem halben Jahr von Guru Nuh Poo Tubkim, der sich um das Seelenheil der Katoeys kümmere. Sie gingen zu ihm, und Guru Nuh Poo schloss erst Thapakorn und später auch Boonipat in sein Herz.

      Guru Nuh Poo hatte sie sogar auf eine Schule geschickt. Für sie war der Guru Retter, Vater und Gott zugleich. Und so ging es allen, die zu seinem engsten Kreis gehörten. Thapakorn war der Jüngste unter ihnen, weshalb er schnell von den anderen Jeab gerufen wurde, das Küken. Und Boonipat, der sich am liebsten frivol komisch ausdrückte und immer ein bisschen anzüglich wirkte, bekam den Rufnamen Muu, was so viel wie Schweinchen hieß.

      Jetzt saßen Jeab und Muu mit verschränkten Beinen und in geblümten Sommerkleidchen vor ihrem Guru und hörten aufmerksam zu, was er ihnen zu sagen hatte.

      Nuh Poo lächelte in die Runde. Direkt an Jeab und Muu gerichtet, sagte er: »Sucht nach einem richtigen Ort für unser Vorhaben. Es soll zwischen München und unserem Zuhause hier sein. Denn in München wohnen viele Männer, die uns besuchen möchten.« Nuh Poo sagte das sehr bedächtig. »Der Ort soll unserer würdig sein. Ich weiß, es muss diesen heiligen Ort geben. Er wartet auf uns und ist für uns vorbestimmt. Wir müssen ihn nur entdecken!«

      Die anderen Katoeys applaudierten, warfen Jeab und Muu überschwängliche Handküsse zu und gratulierten den beiden Auserwählten. Sie umarmten und küssten sie. Jeab Thapakorn Kung und Muu Boonipat Kosiyabong hatten also von ihrem Guru den Auftrag bekommen, das Land zu erkunden und einen würdigen Ort zu finden, an dem der Guru seine Bar und sein heiliges Massageinstitut eröffnen konnte.

      Lexikon

      Jeab und Muu nahmen eine Kamera, eine Karte und ein Notebook mit. Sie bestiegen das kleine Fährschiff und stellten sich an den Bug, um im Fahrtwind das duftende Maiwetter zu genießen. Der Bootsführer und sein Matrose staunten über die beiden exotischen Mädchen in ihren hübschen Sommerkleidern, ihren dunklen Nylons und den ungewöhnlich großen, hochhackigen Schuhen. Jeab und Muu winkten ihnen freundlich lachend zu.

      In Prien gingen sie an Land und bestiegen das Taxi, das Guru Nuh Poo bestellt hatte. Die Taxichauffeurin war eine dickliche ältere Dame, die sie sehr freundlich begrüßte und fragte, wohin denn die Fahrt gehen solle.

      Muu bat sie auf Englisch, sie möge ganz einfach über Land Richtung München fahren. Sie würden ihr dann sagen, wenn sie anhalten solle, und Jeab drückte ihr hundert Euro Trinkgeld vorab in die Hand. »It is a tip«, sagte Muu freundlich lächelnd. Die Fahrerin war hocherfreut. »Na dann ...«, antwortete sie und fuhr grinsend los.

      Das Taxi fuhr nach Westen. Sie passierten südlich des Simssees das Ortsschild Riedering. Muu hatte das Notebook auf seinen Oberschenkeln und ein Internetlexikon aufgerufen. Deutsch-thailändisch. Nuh Poo hatte ihnen beigebracht, dass deutsche Wörter oft zusammengesetzt waren. Muu gab also das Wort ›Ried‹ ein. Sie konzentrierten sich auf den Bildschirm. Dort wurde das Wort ›Gok‹ ausgegeben, was auch so viel wie Rattan oder Schilf bedeutete. »Gok?«, fragte Jeab überrascht. »Gok!«, antwortete Muu und grinste. Beide nickten und wiederholten »Gok!«, lachten leise und schüttelten den Kopf. Nein, Riedering war nicht der richtige Ort für sie. Die Taxifahrerin drehte sich nur kurz um, lächelte mit und fuhr einfach weiter.

      Sie überquerten den Inn. Als sie Rosenheim auf dem Schild sahen, gab Muu ›Rosen‹ ein. Wieder sahen beide gespannt auf den Bildschirm. Ein staunendes Raunen kam von beiden. »Gulaap, ah«, sagte Jeab und zeigte beiläufig auf die Blume seines Kleides. Sie nickten. Dann gab Muu ›heim‹ ein. »Ah, Rosen-heim, Gulaap baan!«, freute sich Jeab. ›Baan‹ stand für ›Haus‹ oder ›Heim‹. Trotz des schönen Namens fuhren sie weiter.

      Nach einigen weiteren Versuchen mit den Ortsnamen Kolbermoor, Bad Aibling, Thalacker und Fuchsholz kamen sie schließlich zu einem weiteren Ortsschild. Muu tippte ›Tunten‹ ein. Wie elektrisiert schrie Muu auf, so dass die Taxifahrerin auf die Bremse trat und den Wagen an den Straßenrand fuhr. Das Lexikon hatte ›Tunte‹ gefunden und das thailändische Wort ›Katoeye‹ angezeigt. Jeab riss die Augen auf und saß mit offenem Mund da. Jetzt schrien beide kreischend auf. »Tun-ten-hau-sen, Katoeye baan!«, schrie Jeab laut. »Katoeye baan!«, wiederholte Muu.

      Am Ortseingang fuhren sie am Rathaus vorbei. Vor dem Rathaus standen an die dreißig Menschen in bayerischen Trachten.

      »A bayerische Hochzeit«, sagte die Taxifahrerin lächelnd, verlangsamte das Tempo und hupte. Muu und Jeab sahen sie fragend an. »Bavarian Wedding«, sagte sie grinsend.

      Jeab und Muu gaben ein lautes »Ahh« von sich und winkten und lächelten um die Wette. Sie sahen, wie gerade zwei Männer, die mit breiten ausladenden Hüten und langen braunen Trachtenjacken mit glänzenden Silberknöpfen sowie Lederhosen bekleidet waren, das Rathaus verließen und auf die Menschenmenge zugingen. Der eine hatte sich bei dem größeren eingehängt und hielt einen Blumenstrauß in der Hand. Sofort brach Jubel aus, und das Brautpaar wurde mit Reis beworfen.

      »Jetzt heiraten a schon die Schwulen in Tuntenhausen«, sagte die Taxifahrerin unter Kopfschütteln. »Eingetragene Partnerschaft heißt des jetzt«, sagte sie zu Jeab und Muu und trat aufs Gaspedal.

      Muu und Jeab lachten und konnten ihr Glück kaum fassen. Sie waren außer sich vor Freude. Das musste der Ort sein, den der Guru geweissagt hatte. Sie waren felsenfest davon überzeugt, ihren vorbestimmten Ort gefunden zu haben. Der Guru hatte wie immer Recht gehabt. Jeab legte der Taxifahrerin seine Hand auf die Schulter und bat sie, weiterzufahren. Sie wollten sich den Ort ansehen. »Sightseeing … Katoeye baan«, rief Muu laut, fuchtelte mit der Hand und nickte der Fahrerin lächelnd zu. Sie nickte ebenfalls und fuhr langsam durch den Ort. Die beiden hingen mit den Köpfen aus dem Fenster und staunten über die wunderbaren Gebäude, die aufgeräumten Straßen und all diese sauberen Menschen.

      Sie diskutierten aufgeregt, was sie gerade alles erlebten. Merkwürdig fanden sie, dass sie gar keine Katoeys entdeckten. Aber wahrscheinlich kleideten sie sich hier anders. Eben mit großen Hüten, langen Jacken und Hosen aus Leder, wie die beiden, die eben geheiratet hatten. Oder vielleicht waren sie alle getarnt, wenn sie ihre Häuser verließen. Sie kamen zu dem Schluss, dass sie hauptsächlich versteckt hinter den Mauern der Häuser leben würden.

      Hinter der Ortschaft fuhren sie an einem großen Gasthof vorbei. ›Zur Schwemme‹ stand in altdeutschen Lettern über der Tür. Darunter ein Schild ›zu verkaufen‹.

      »For sale«, übersetzte die Taxifahrerin.

      »Ah, for sale«, sagte Muu zu Jeab. Muu tippte ›Schwemme‹ ein. »Djam nuuan maak«, las Muu vor.

      Jeab staunte. Das Wort stand auch für Unbegrenztheit und Unendlichkeit. Das musste es sein. Sie hatten ihren heiligen Platz in einem heiligen Ort gefunden.

      Sie stiegen aus, liefen um das Objekt herum, machten durch die Fenster unzählige Fotos von den Räumen und

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