Der Vielgeliebte und die Vielgehaßte. Clara Viebig

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Der Vielgeliebte und die Vielgehaßte - Clara Viebig

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kümmerte. Und doch, wohin mit dem geheimen Schatz? Der Thronfolger ängstigte sich: Berlin war gefährlich, seine Darmstädterin mit den Kindern wohnte in Monbijou; Friederike Luise war zwar ganz bequem, redete ihm in nichts herein, würde gar nichts weiter davon wissen; aber die Geister, an die sie glaubte, konnten ihr einmal etwas verraten. Und im Schlößchen Schönhausen wohnte Tante Elisabeth – der König kümmerte sich nicht mehr um seine Frau, nur noch Belege für Beleuchtung, Brennmaterial und Führung des Haushalts forderte er und knauserte daran – die hatte Zeit genug für den Klatsch. Aber da seine Tochter aus erster Ehe mit Elisabeth von Braunschweig bei der alten Königin erzogen wurde, durfte er es mit ihr nicht verderben. Überall, wohin der Ungeduldige blickte, Behinderungen und Rücksichtnahmen. Es war zum Verzweifeln! Kann denn nicht einmal der von Gottesgnaden tun, was ihm beliebt?! Da fiel ihm sein Kammerdiener Rietz ein. Rietz, treue Seele! Rietz hatte ihm schon aus mancher Verlegenheit geholfen, Rietz fand immer einen Ausweg, Rietz würde auch hier einen Ausweg wissen. Geld würde es freilich kosten – alles kostet Geld –, sechzigtausend Taler Apanage und viermal hunderttausend Taler jährliche Ausgaben, das reimt sich schlecht.

      Kammerdiener Rietz war der Sohn des früheren Hofgärtners Rietz in den Sanssoucier Gärten. Der Sohn war da früher auch tätig gewesen, hatte gepflanzt, gegossen, gejätet, Erde herbeigekarrt wie die andern Gartengehilfen, aber seine hübsche Erscheinung, seine Intelligenz, sein höflich-gewandtes Benehmen fielen vorteilhaft auf. Es war der große König selber gewesen, der dem Neffen diesen jungen Menschen – fleißig, zuverlässig, bescheiden, Sohn eines alten bewährten Gärtners – auf die Dienerschaftsliste gesetzt hatte. ‹Kammerdiener›, fast so wichtig wie Minister – wer weiß, was der Neveu sich sonst für ein ‹mauvais sujet› zugelegt hätte! So blieb man auch immer gewissermaßen auf dem laufenden über etwaige Debauchen und Torheiten des leider niemals zur rechten Einsicht Gelangenden. Manche Dummheit hatte man durch den Rietz schon glücklich verhindern können. Und Rietz nahm niemals eine Belohnung für solch geleisteten Dienst.

      «Halten zu Gnaden», sagte Rietz, als er heute nacht beim Auskleiden seinem Herrn die gewohnten Dienste leistete – der Prinz hatte sich’s bereits bequem gemacht, aufs Bett zurückgelehnt, und ließ sich von dem vor ihm knienden Kammerdiener die enganliegenden Beinkleider von den prallen Schenkeln ziehen –, «wenn Hoheit die Unmöglichkeit des jetzigen Zustandes einsehen, dürfte ich mir da wohl erlauben, alleruntertänigst einen Vorschlag zu machen?»

      «Du darfst», sagte der Prinz. Er sagte ‹du› zu seinem Kammerdiener, wenn sie allein waren; vor andern redete er ihn mit ‹Sie› an. Warum soll man zu einem achtbaren Menschen, wenn der auch geringeren Standes ist, nicht ‹Sie› sagen? Das in der dritten Person die Leute Anreden war ja schauderhaft, von oben herab und altmodisch zugleich. Wenn er zur Regierung kam, wurde dieser Zopf wie so manch anderer Zopf abgeschnitten. Der Müde gähnte und lächelte seinen Kammerdiener freundlich an: «Nun, was hast du dir ausgeheckt, Schlaukopf? Ach, ich muß jetzt schlafen, schlafen!» Er streckte sich dehnend: «Morgen früh nach Potsdam befohlen, halb neun schon – nachtschlafende Zeit! Seiner Majestät das neue Regiment Garde vorführen. Verfluchte Schinderei!» schrie er plötzlich, so auffahrend, daß er den vor ihm Knienden hintenüberstieß. Er rannte, aufgesprungen, mit Heftigkeit durchs Gemach, die Fäuste geballt: «Kein menschenwürdiges Dasein! Ach, wann wird dieses ewige Schikanieren, dieses Ausspioniert-, von allem Gehindertwerden endlich ein Ende haben?! Wie kann man mich richtig beurteilen? Ich bin ja ein Mensch, ein unglücklicher, der sich tagtäglich zusammennehmen muß, verstellen muß. Ich halte das nicht mehr aus!»

      «Regen sich Königliche Hoheit doch nicht so auf», erklang sanft beruhigend die Stimme des Kammerdieners. «Hoheit sind übermüdet, schlafen sich Hoheit doch erst einmal aus. Ich werde zur Zeit wecken.» Er faßte den Prinzen unter den Arm und führte ihn mit sanfter Gewalt zum Bette zurück. «So, so.» Er legte ihn nieder und strich ihm die Kissen zurecht, in die der Erregte sein Gesicht drückte. «Hoheit würden ruhiger sein, viel beruhigter und besserer Stimmung, wenn Hoheit die Demoiselle Enke mehr zur Verfügung hätten, ungestört und ohne alles lästige Beiwerk. So sehe ich Königliche Hoheit wie einen Gehetzten nach dieser Spandauer Straße eilen – abgestohlene Minuten. Und es ist dort auch ein unmöglicher Aufenthalt.»

      «Woher weißt du, wer sagt dir?» klang es erschrocken aus den Kissen.

      Rietz lächelte; auf seinem Gesicht, das noch jung war, lag schon das Lächeln eines alten Diplomaten. «Wenn ein Diener seinen Herrn so liebt wie ich den meinen, weiß er alles. Er fühlt das. Darum habe ich mir gedacht – halten zu Gnaden ob meiner Kühnheit» – sein Lächeln verschwand, er legte die Hand aufs Herz, denn der Prinz hatte mit einem Ruck den Kopf aus den Kissen gehoben, sich aufgerichtet, und sah ihn jetzt an –, «ich möchte das Haus meiner Eltern in Vorschlag bringen. Mein Vater ist nicht mehr im Amt, lebt ganz zurückgezogen in dem Häuschen hinter Sanssouci, das ihm der König als Belohnung für treue Dienste geschenkt hat. Das Haus ist nicht groß, aber geräumig genug, Hochdero» – er räusperte sich, verschluckte schnell das Wort ‹Liebste› und sagte mit aller Achtung: «Hochdero Demoiselle Enke aufzunehmen. Die Demoiselle hätte drei angenehme heizbare Räume im Vorderhaus zur Verfügung, meine Eltern würden sich schon ganz auf die Rückseite beschränken. Hoheit könnten ungestört aus- und eingehen. Und was etwa in der Möblierung Hoheit nicht annehmbar erscheinen sollte, ließe sich ohne große Kosten herbeischaffen. Es steht so manches in den Winkeln im Potsdamer Stadtschloß.»

      «So – du meinst?» Der Prinz sah seinen Rietz mit großen Augen an. Und dann: «Bist ein Kerl, ein Kerl! Nein, ein Magier. Was du alles zauberst!» Er reichte ihm gerührt die Hand: «Ich danke dir!»

      Der andere verfehlte nicht, diese Hand respektvollst zu küssen.

      V

      In Berlin wußte man es nun ganz genau, nicht nur in den dem Hof nahestehenden Kreisen, auch das weitere Publikum wußte es jetzt: Der Prinz von Preußen hat eine neue Geliebte. Und dieses Mal schien es recht ernst zu sein; er hielt sich von allem anderen und allen anderen fern, erschien nicht in Gesellschaft und bei öffentlichen Festivitäten, die er sonst immer besuchte, ließ sich überhaupt in Berlin wenig sehen. Er sei aber, weit öfter als ihn der König nach dort befahl, in Potsam. Wer diese Geliebte aber war und wo sie wohnte, das wußte man nicht. Er hielt sie versteckt; sehr bald wob sich ein Gespinst von gutartigen wie bösartigen Legenden um ihre Gestalt. Die einen erzählten vom barfüßigen Mädchen, das Zitronen und Schwefelhölzer feilgeboten hatte – eine ganz obskure Dirne, für jeden zu haben – nach anderen war sie von vornehmer Abkunft, Tochter eines Grafen, der nur nicht genannt sein wollte.

      Von alldem hatte Wilhelmine Enke keine Ahnung. Es war ihr wie ein Märchen, daß sie nun aus dem Fenster eines kleinen Landhäuschens hinaussah auf buntblumige Wiesen, wo Schmetterlinge gaukelten und Bienen Honig holten und zu den Bienenkörben trugen, die ihren Stand hinten im Krautgarten hatten. Dort holte die Mutter Rietz jeden Tag das Gemüse für ihre Küche und drehte auch wohl einem Hühnchen, das eben noch behaglich im Sand gescharrt, den Kragen um. Wenn Wilhelmine das sah, weinte sie, und essen konnte sie nichts von dem Gemordeten. Verträumt starrte sie oft lange nach dunklen Baumwipfeln herüber, die standen im Park von Sanssouci; der war ein geheimnisvoller Wald, der ihr die Welt verbarg. Fern, fern waren die Welt und Berlin, Eltern, Schwester und Brüder, alles was bisher um sie gewesen war. Und dann wunderte sie sich, daß das alles sich so leicht von ihr getrennt hatte und daß sie es abgestreift hatte wie die Schlange die alte Haut. Nun hatte sie eine neue. Nur er war da. Sein Wunsch, sein Wille.

      Sie war ihm gefolgt. Warum sollte sie auch ‹nein› sagen? Die Mutter war dafür gewesen, daß sie ‹ja› sagte; gefragt war sie freilich gar nicht worden, er hatte es eben so bestimmt. Selbst der Vater hatte sich dreingegeben.

      Enke hatte zuerst ein Toben angefangen: nie und nimmer! Die Frau bedroht, die Tochter bedroht, die Hände zu Fäusten geballt. Niemals würde er es zugeben, daß der Prinz sein Kind ihm entriß, nach Potsdam verschleppte, wo es nichts als Schande und Kummer

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