Hanussen - Hellseher und Scharlatan. Will Berthold

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Hanussen - Hellseher und Scharlatan - Will Berthold

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»Ich zweifle weder an Ihrer Tüchtigkeit noch an Ihrem Eifer. Wenn einer mit dieser faulen Geschichte fertig wird, dann sind Sie es. Ich bin nur so durcheinander, weil ich beim Entschlüsseln der Zusammenhänge auch nicht weiterkomme als Sie – und dieser Halunke uns bei der Bevölkerung zum Gespött macht.« Er bietet dem Kommissar eine Zigarette an. »Bleiben Sie um Gottes willen am Ball. Es liegen längst Betrugsanzeigen vor. Recherchieren Sie, wer bei diesem Gauner noch in Privatbehandlung war, wem er gesundheitliche oder finanzielle Ratschläge erteilt hat und wer dadurch geschädigt worden ist. Sehen Sie zu, daß Sie noch ein paar Anzeigen bekommen. Kleinvieh macht auch Mist.« Er reicht Molitor die Hand. »Wenn das stimmt, was in diesem Käseblättchen steht, dann wird der Hellseher in der nächsten oder übernächsten Woche noch einmal in Teplitz-Schönau auftreten – bis dahin sollten Sie so weit sein. Wenn wir ihn nicht schleunigst entlarven, verwandelt er noch die ganze Gegend in ein Irrenhaus.«

      »Ich tu’, was ich kann, Herr Dr. Swoboda«, verspricht der Kriminalbeamte.

      Der Staatsanwalt nickt. »Verschaffen Sie mir die Spur eines Beweises, und ich garantiere Ihnen, daß ich beim Untersuchungsrichter einen Haftbefehl gegen diesen Hochstapler durchpeitschen werde.«

      »Ihr Wort in Gottes Ohr«, versetzt Molitor mit einem Anflug von Ironie. Statt sich auszuruhen, geht er zu seiner Dienststelle, um festzustellen, wer gestern nach der Vernehmung Marias nicht sofort nach Hause gegangen ist und womöglich bei einem Glas Bier aus der Schule geplaudert hat – und wer dabei zugehört haben könnte.

      Der Fall erinnert den Kriminalisten an Hanussens Reklamegag bei der Nationalbank in Wien. Durch seine Verwandtschaft mit dem Tresor-Franzl damals lagen Vermutungen nahe, die rasch zu Indizien wurden, doch offiziell hat die Polizei in der Donaustadt die Manipulationen nie aufgeklärt, um sich nicht noch mehr verspotten zu lassen.

      Aber Teplitz-Schönau ist nicht Wien.

      6

      Am 10. Februar kehrt Erik-Jan Hanussen als Triumphator zu einer Extravorstellung zurück. Sowie es sich herumgesprochen hat, reißt man sich um die Eintrittskarten. Der große Kursaal ist sofort ausverkauft. Unter der Hand werden horrende Angebote für die Billetts gemacht. Viele wollen den Mann mit den übersinnlichen Kräften ein zweites Mal erleben, obwohl sie wissen, daß er diesmal keinen Mord aufklären wird.

      Eine verärgerte Polizei hat inzwischen etwas kleinlaut bestätigt, daß der Bäckergeselle Walter tatsächlich der Mörder vom Gänsemarkt gewesen war, aber Kriminalkommissar Molitor weist energisch darauf hin, daß der Mann, der sich vor den Zug geworfen hatte, längst der Hauptverdächtige der Polizei gewesen sei und unmittelbar vor seiner Verhaftung gestanden hätte. Das freilich halten die Teplitz-Schönauer für eine Schutzbehauptung, und die 13 Minuten Zeitdifferenz nehmen sie überhaupt nicht zur Kenntnis. Die Polizei ist eben ein schlechter Verlierer.

      Es gibt nur einen Gewinner: Erik-Jan Hanussen. Die Zeitungen in Prag, Berlin, Frankfurt, Wien und Zürich haben groß über den Fall ›Gänsemarkt‹ berichtet; die überseeischen folgen mit kurzer Verzögerung, überall wurden die Leser über das unerklärliche Ereignis von Teplitz-Schönau unterrichtet wie über ein achtes Weltwunder.

      Wie üblich späht Hanussen vor seinem Auftritt durch einen Spalt des Bühnenvorhangs und mustert sein Publikum: In der vierten Reihe fällt ihm eine junge Frau mit dunkelblonden Haaren und rehbraunen Augen und einer winzigen, ein klein wenig nach oben gestülpten Nase auf. Sie trägt ihre Robe mit einer Eleganz, mit der man auf die Welt gekommen sein muß. Sie hat die Beine übereinandergeschlagen, rassige Beine, herrliche Beine, Beine, an denen sich die Augen des Hauptakteurs festsaugen. Das gewisse Etwas hat sie genau im rechten Maß, weder führt sie ihre weiblichen Reize vor, noch unterschlägt sie diese.

      »Wer ist das?« fragt er den neben ihm stehenden Sekretär Juhn.

      »Die Baronin Panwitz. Allererste Gesellschaft. Ihr Mann bewirtschaftet in der Nähe ein Gut und …«

      »Wird sie von ihm begleitet?« unterbricht Hanussen seinen. Dauer-Souffleur.

      »Ich glaube nicht«, erwidert Juhn, »aber von einem Schwarm Bekannter.«

      »Worauf wartest du noch?« fährt der Papier-Tscheche aus Wien seinen Adlatus an: »Ich möchte alles über sie wissen, und zwar schleunigst!«

      »Jetzt?« fragt der Ex-Journalist ungläubig.

      »Ja«, befiehlt Hanussen. »Eine solche Augenweide sieht man nicht alle Tage.«

      »Mein Kompliment, Ihr Geschmack wäre nicht schlecht«, erwidert der Informant süffisant. »Schade um die Mühe«, setzt er hinzu, »diesmal hängen die Trauben verdammt hoch.«

      Kurz nach 21 Uhr tritt der Mann im Frack ins Rampenlicht, verbeugt sich, umtost von Ovationen. Der schillernde Prophet muß in der letzten Zeit noch gewachsen sein, irgendwie wirkt er größer als bei seinem letzten Auftritt. Wieder holt er sich Leute aus dem Publikum, stellt sie zur Volksbelustigung bloß, seine unverschämte Selbstsicherheit vorführend wie einen dressierten Zirkusgaul.

      Diesmal nimmt Kriminalkommissar Molitor mit zwei weiteren Kripobeamten an der Veranstaltung teil. Dienstlich. Obwohl inzwischen das Dossier auf seinem Schreibtisch beträchtlich angewachsen ist, beginnt der Beamte, den Bühnenzauber zu bewundern. Wie schnell er Zusammenhänge erfaßt, sich korrigiert, wenn er einmal auf dem Holzweg ist, einfach gekonnt. Fraglos ist Hanussen ein erstklassiger Artist, aber ein solcher hat auch die Gesetze zu befolgen und darf keine Gutgläubigen hereinlegen.

      Kopfschüttelnd verfolgt der Kriminalist die Demonstrationen. Selbst wenn der Hellseher nur Ortsklatsch wiedergibt, die Art, wie er es tut, ist überzeugend. Keine Verwechslung, keine Unsicherheit, und, dessen ist sich der Mann mit den grauen Locken um die Stirnglatze ganz sicher, mit sehr viel Improvisation. Er ist schlagfertig, verfügt über eine intuitive Menschenkenntnis, errät sicher in einigen Fällen, was ihm die Versuchspersonen verschweigen wollen, verblüfft sie durch spontane Behauptungen, die immer ins Schwarze treffen.

      Vielleicht gibt es Gedankenübertragung; Molitor hat erst vor kurzem einen Aufsatz darüber gelesen. Womöglich sind Ausnahmemenschen tatsächlich übersinnliche Kräfte zu eigen. Im deutschen Norden nennt man so etwas ›Spökenkieker‹, andernorts ›das zweite Gesicht. Aber ausgerechnet Hanussen, dieser schräge Vogel, soll der unerreichte Meister dieser wenigen sein? Vielleicht erläge auch Molitor dem Schauder vor dem Übersinnlichen, vor dem das Wissen eines aufgekärten Menschen mitunter kehrtmacht wie die Katze vor dem Hund – wenn da nicht der Akt auf seinem Schreibtisch läge, angefüllt mit teuer bezahlten Fehlleistungen, mit Anzeigen von Geschädigten, die sich nicht erklären können, wie Hanussen den Mord aufgeklärt hat, aber zu Papier geben, warum ihre Firma nach einer Konsultation bei dem berühmten Hellseher in Bedrängnis geriet und in einem Fall sogar in Konkurs gegangen ist.

      Eine Stunde lang landet der Magier Schlag auf Schlag; alle sitzen, und nicht wenige unter der Gürtellinie. Die Zuschauer toben bis auf eine damenhafte Endzwanzigerin in der vierten Reihe. Hanussen hat ein Gespür für Menschen, empfindet den Widerstand, sieht in ein hochmütiges Gesicht voller Verachtung. Er weiß, daß die Baronin einer Gesellschaftsklasse angehört, die meistens nichts mit ihm zu tun haben will: alter Adel, blaues Blut, echter Geschmack, Rasse und Klasse – und er, einer aus der Hefe des Volkes, der von ganz unten kommt und seinen Frack uneleganter trägt als jeder Oberkellner im Luxusrestaurant. Die Ovationen nehmen kein Ende. Immer wieder wird der Magier vor den Vorhang gerufen, muß sich verbeugen. Aber trotz des riesigen Erfolges ist Hanussen mit dem Verlauf des Abends unzufrieden. Während er sich in seiner Garderobe abschminkt, läßt er sich von seinem Sekretär mit Details versorgen: »Verena von Panwitz, von ihren Freunden und Bekannten nur Jane genannt, 27 Jahre alt«, berichtet Adolf-Erich Juhn. »Sehr guter Ruf,

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