Herzstücke in München. Christine Metzger
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Zum Glück haben wir unseren Geruchssinn, der direkt mit dem Emotions-zentrum im Gehirn verbunden ist. Nase schlägt Auge, der Schokoladenduft löst Erinnerungen aus: heißer Kakao an kalten Wintertagen, elterliche Belohnung fürs brave Kind, Geborgenheit – Schokolade macht glücklich.
Eine Praline muss mindestens 25 Prozent Schokolade enthalten und mundgerecht sein. Um wie viele Prozentpunkte Wilhelmine Raabe dieses Maß überschreitet, bleibt ihr süßes Geheimnis, wie auch alle anderen Schritte, die jede Praline bei der aufwendigen Produktion in Handarbeit durchläuft. Was die Mundgerechtigkeit betrifft, liegt Frau Raabe sicher an der Obergrenze: 35 bis 40 Gramm wiegt so eine Köstlichkeit, und Sie müssen sich entscheiden, wie Sie sie genießen. Kleine Stücke abknabbern und im Mund zergehen lassen oder die ganze Praline in den Mund stecken und die Geschmacksexplosion erleben. Als Wilhelmine Raabe 1996 begann, sich der Königsdisziplin der Chocolatierkunst zu widmen, hatte sie zehn Sorten im Angebot, heute sind es 250. Ihre Kreativität scheint keine Grenzen zu kennen. Wie bei jedem künstlerischen Prozess steht am Anfang die Vision. Wenn sie ein Rezept entwerfe, sagt sie, wisse sie schon in ihrer Fantasie, wie die Praline schmecken werde.
250 Sorten! Welche Dramen müssen sich in diesem kleinen Laden abgespielt haben? Schokolade, Marzipan, Nugat, Krokant, exotische Früchte und Gewürze, kandierte Blüten – alles so schön und so verlockend. Wie gut, dass es sich um Schokoladenprodukte handelt. Doch sobald man die erste Praline in den Mund steckt, sind die Qualen der Wahl beendet, und man ist nur noch glücklich.
Sama Sama · Mo–Sa 10–18 Uhr · Westenriederstr. 21 · Altstadt Tel. 089/29 16 33 79 · www.sama-sama-pralinen.de · Haltestelle: S Isartor
02
DIE HOHE KUNST DES AUSZIEHENS
Wenn Sie länger in München leben, werden Sie sich gewiss erinnern: Die »Schmalznudel« hat früher um 5 Uhr aufgemacht und war damals Schnittstelle für Menschen aus zwei Welten. Die einen tranken nach durchzechter Nacht hier den letzten, die anderen, deren Tagwerk früh begann, den ersten Kaffee.
Heute öffnet das »Café Frischhut« – das niemand so nennt, weil es vulgo »Schmalznudel« heißt und nicht anders – die schwere Holztür um 8 Uhr. Sonst hat sich nichts geändert. Das Publikum ist noch immer gemischt, der Kaffee kommt aus dem Haferl und nicht aus dem Pappbecher und schon gar nicht aus dem Land Togo. Die Einrichtung ist altmodisch gemütlich, die naiven Bilder an den Holzwänden stammen von der Mutter Frischhut, und im Sommer lädt die Terrasse ein.
Im nahen Biergarten Viktualienmarkt wird alle sechs Wochen das Bier einer anderen Münchner Brauerei ausgeschenkt. Immer passend: köstliche Fischsemmeln von Fisch Witte (www.fisch-witte.de).
Das Schmalzgebäck gibt es seit fast 50 Jahren in gleichbleibender Qualität: Stritzerl, »Ausgezogene«, Krapfen und Rohrnudeln mit diversen Füllungen. Wenn in der Gastronomie Schmalz zum Einsatz kommt, können Sie sich ganz auf Ihre Nase verlassen: Riecht’s ranzig, nix wie raus. In der »Schmalznudel« duftet es nur nach Kaffee. Und es brutzelt. Im heißen Butterschmalz tanzen die Ausgezogenen, schwimmen Krapfen und die länglichen Stritzerl. Erst sind sie blass wie der eierreiche Hefeteig, dann nach dem Wenden leuchten sie goldbraun. Im Eingangsbereich können Sie zuschauen, wie man Schmalznudeln macht, und lernen, warum sie »Ausgezogene« heißen: Die Hefeteiglinge werden gezogen. Wenn der Meister das mit einer flotten Handbewegung macht, sieht es einfach aus, es ist aber eine hohe Kunst. »Ausgezogene« müssen nämlich im Zentrum ganz dünn und außen wulstig sein. Frischer und köstlicher als in der »Schmalznudel« können Sie sie in München nirgendwo bekommen.
»Café Frischhut«, vulgo »Schmalznudel« · Mo–Fr 7–18, Sa 5–17 Uhr · Prälat-Zistl-Str. 8 Altstadt · Tel. 089/26 82 37 · Haltestelle: U/S Marienplatz
03
DREH- UND ANGELPUNKT – DIE SCHRAUBE
Stock-, Terrassen-, Justierschrauben. Halbrund-, Linsensenk- oder Senkholzschrauben. Bohrschrauben mit Rippensenkkopf, gewindefurchende Schrauben. Sicherheitsschrauben, Spanplattenschrauben – Edelstahl oder verzinkt? Wer blickt da noch durch? Die Fachkräfte beim Schrauben-Preisinger.
Wer gewohnt ist, in Baumärkten hinter Männern herzulaufen, die perfekt in der Kunst der Kundenabwehr ausgebildet sind, wird die Wartezeiten beim Schrauben-Preisinger gern in Kauf nehmen. Hobby-Heimwerker und Profis in Arbeitsoveralls stehen diszipliniert in der Schlange – wie die zu verlaufen hat, zeigt ein roter Pfeil auf einem handgeschriebenen Schild. »Bitte nur in einer Reihe« steht da, das »einer« ist zweimal unterstrichen. Die Atmosphäre ist ruhig und konzentriert. Schließlich finden hier ernsthafte Beratungsgespräche rund um die Schraube statt. Nur manchmal, wenn ein Kunde ein technisches Problem hat, diskutieren die Wartenden mit und sparen nicht mit Ratschlägen. Die Verkäufer sind Männer, der überwiegende Teil der Käufer ebenso. Aber auch Frauen werden respektvoll und sachkundig beraten. Es scheint, als verleihe ihnen allein die Tatsache, dass sie es wagen, diesen testosterongeschwängerten Ort zu betreten, den Heimwerker-Ritterschlag.
Der Verkaufsraum ist klein, da wird keine Ware zur Schau gestellt oder beworben. Weitaus größer das einsehbare Lager, in dem der Verkäufer nach dem Kundengespräch verschwindet und nach erstaunlich kurzer Zeit mit dem gewünschten Artikel zurückkehrt. Das Ordnungssystem haben die Mitarbeiter im Kopf – und das bei 40 000 Artikeln. Seit 1921 gibt es den Schrauben-Preisinger schon – der Familienbetrieb konnte sich in Bestlage unweit vom Viktualienmarkt halten, während andere Fachgeschäfte längst verschwunden sind. Das Erfolgsgeheimnis? Kompetenz, Sortiment und eine Kleinigkeit: Wer eine Schraube braucht, muss nicht 30 in der Plastikbox kaufen. Er erhält eine, überreicht in einem Papiertütchen.
Schrauben-Preisinger · Mo–Do 8–17, Fr 8–16 Uhr · Utzschneiderstr. 5 · Ludwigsvorstadt-Isarvorstadt/Gärtnerplatz · Tel. 089/236 84 60 · www.schrauben-preisinger.de Haltestelle: S Isartor
04
GEGEN ALLES IST EIN KRAUT GEWACHSEN
Auf den ersten Blick scheint es, als habe einer, der die Kunst des Jodelns ausübt, nichts gemein mit einem Professor. Und doch gehören beide Berufsgruppen zur Klientel des Wurzel-Sepps. Denn – ob dozieren oder von der Brust- in die Falsettstimme wechseln – die Atemwege wollen gepflegt sein.
Und da kennt der Wurzel-Sepp sich aus