Literarische Perspektiven auf den Kapitalismus. Группа авторов

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Literarische Perspektiven auf den Kapitalismus - Группа авторов Mannheimer Beiträge zur Literatur- und Kulturwissenschaft

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ermöglicht einen Vergleich der Perspektiven zwischen Valentine und den Eheleuten und betont deren jeweilige Prioritätensetzung: Während ersterer auf das Glück eines friedlichen Entschlafens ohne Schmerzen hinweist, ärgert sich Mr Earnshaw über sein verlorenes Geld („We’ve lost money“), also über die nun anstehende Erbschaftssteuer: „Where’s the blessing in that?“ Dass sie eigentlich aus dem verlängerten körperlichen Leiden der (Schwieger-)Mutter Kapitel schlagen wollten, ignoriert das Paar. Menschliches Leben wird hier mit finanziellen Verlusten verglichen und verliert in diesem Kontext folgerichtig nicht nur seine Würde, sondern auch sein bedingungsloses Existenzrecht. Mrs Maudsleys Leben, beziehungsweise ihr Tod, lassen sich in die finanzielle Situation ihrer Tochter und ihres Manns übersetzen: Ihr verfrühter Tod kostet Geld. Mr Earnshaws Einspruch, „we want compensation“ (ebd.), ist dieser Logik verhaftet und daher für ihn nur folgerichtig. Nun ist er es, der sich als der Ausgeraubte versteht: „Robbed, that’s what we’ve been. By an eighty-eight-year-old woman. It must be a record.“ (60) Die metaphorische Klammer des Diebstahls, die mit Mrs Maudsley („thieves“) beginnt und mit Mr Earnshaw endet („[r]obbed“), verbindet diesen Handlungsbogen, der von enttäuschten finanziellen Hoffnungen statt familiärer Zuwendung geprägt ist. Offenbar, so suggeriert der Text, hinterlässt die Hoffnung auf finanziellen Wohlstand am Ende nur Verlierer.

      Generell diagnostiziert das Stück eine Verschiebung der Selbst- und Weltbeziehungen, um in Rosas Terminologie zu bleiben: Der Mensch wird im Neoliberalismus neu kontextualisiert. Mit „we’re all customers now“ (21) beschreibt Joe, der Vater des Ministeriumsangestellten Colin und Bewohner der Station, die neuen Gesetzmäßigkeiten. Die einzig verfügbare Rolle des Individuums ist die des Konsumenten. Das Leben verkommt zu einem kapitalistischen Wettrennen um den Zugriff auf Ressourcen und Vorteile. Abermals formuliert Joe diesen Gedanken: „Everything’s a competition these days. Just ask my lad [Colin]. Competition brings out the best in people. That’s what Mrs Thatcher taught us apparently.“ (53) Mit der Betonung auf „apparently“, scheinbar, bringt Joe seine Zweifel gegenüber dieser Lebenseinstellung zum Ausdruck, die – geprägt von Margaret Thatchers neoliberaler Politik – antithetisch seiner jetzigen Situation gegenübersteht. Wettbewerb, so wird schnell klar, hält Joe nicht für die geeignete Art, das Beste aus den Menschen ‚herauszuholen‘ („brings out the best“). Im Gegenteil, gerade der kapitalistische Wettbewerb ist verantwortlich für jene Formen des menschlichen Zusammenlebens, die Rosa als „[s]chädliche Formen der Desynchronisierung“ (104) bezeichnet.

      Mit dieser Meinung steht Joe alleine und machtlos einem gesellschaftlichen Konsens gegenüber, der vor allem von seinem Sohn repräsentiert wird. Wie weit diese Überzeugungen inzwischen zum Gemeinplatz geworden sind, zeigt die Figur der Schwester Gilchrist. Einer perversen Logik der Effizienz folgend, bringt sie – wie eingangs bereits erwähnt – diejenigen Bewohner um, die ‚zu viel‘ Arbeit machen. Es trifft ausschließlich diejenigen, die nicht mehr ‚einhalten‘ können. Joe hat dies als einziger der Bewohner durchschaut. Entsprechend panisch reagiert er, als ein Praktikant aus Rache für Joes Unhöflichkeiten ihm gegenüber Flüssigkeit in seinen Schoß schüttet und damit Gilchrists Skepsis weckt:

      JOE. It was him [Andy]. It was him. It wasn’t me.

      PINKNEY. You’ve only wet your ‘jamas. It’s not a tragedy.

      JOE. It is for me.

      PINKNEY. Why?

      JOE. If it goes down on her list, I’m done for. (68)

      Zwar attestiert Schwester Pinkney ihrer Kollegin einen „economy drive“ (69), allerdings übersieht sie deren von Kaltblütigkeit geprägte Effizienz. Hier errichtet das Drama eine ‚discrepant awareness‘ zwischen den Charakteren und dem Publikum. Nur letzteres wird Zeuge, als Gilchrist kurz nach Joes Unfall mitten in der Nacht einen verdächtigen Anruf tätigt:

       Later. The ward. Night. Gilchrist, alone on stage, makes a phone call.

      GILCHRIST. Ramesh. Don’t get over-excited. We may have a bed coming up. Tonight or first thing. I’ll be in touch. (69-70)

      Gilchrists Vorhersage trifft ein – verdächtigerweise tun sie das immer – und Betten werden frei. Doch im Gegensatz zum Publikum wird keine der Figuren im Drama skeptisch. „Have there been unexplained deaths?“ (73) fragt sich zwar Colin, aber alles in allem will das so genau gar niemand wissen. No questions asked – mit diesem Motto reagieren die Verantwortlichen auf die willkommenen freien Betten auf der Station.3

      Gilchrist fliegt schließlich auf, als ein Kamera-Team zufällig ihre Machenschaften aufdeckt. In einem an das Publikum adressierten Monolog erklärt sich Gilchrist in dem abschließenden Interview zur Vollstreckerin einer modernen Effizienzlogik: „I was a facilitator, self-appointed, I agree, and in any other profession – and nursing is a profession if it is allowed to be – in any other profession, I would be called a progress-chaser.“ (79) Gilchrist sieht sich als fortschrittliche Prozessbegleiterin, die sich streng an die Vorgaben zur Effektivitätssteigerung hält. Dass diese mittlerweile nur mit Methoden erreichbar ist, die unvereinbar mit der Vorstellung einer unveräußerlichen Menschenwürde sind, stört Gilchrist nicht weiter. Sie ist in der Tat nur ein „facilitator“, eine Umsetzerin dessen, was gesellschaftlich und diskursiv verhandelt worden ist. Dabei ignoriert Gilchrist im Einzelnen und der gesellschaftliche Diskurs im Ganzen, dass die Selbst- und Weltbeziehungen im Kapitalismus zunehmend erodieren. Die Pflege von kranken und alternden Menschen, so Allelujah!, ist aber kein Beruf wie jeder andere, sondern gerade hier sind Werte gefragt, die nicht finanziell kompensierbar und übersetzbar sind. Gerade in der Figur der Krankenschwester, die sich selbst als „progress-chaser“ beschreibt, manifestiert sich also eine Form des Fortschrittglaubens und der Effizienz, die mit einer westeuropäischen Werteordnung und dem Glauben an die Würde des Menschen unvereinbar ist.

      Die Ursachen dieses Denkens lokalisiert Allelujah! in der Thatcher-Ära, auf die mehrmals explizit referenziert wird. Vor allem der britische Bergarbeiterstreik von 1984/1985, bei dem Margaret Thatcher den Gewerkschaften erheblichen Schaden zugefügt hat, wird immer wieder thematisiert. In der Figur des Joe, der früher im Bergbau gearbeitet hat, sammeln sich diese Überlegungen. Naturgemäß ist er nicht besonders gut auf Thatcher zu sprechen: „I was a miner and with the mining I got a bad chest. Black lung. That was before Mrs Thatcher put paid to the mines.“ (6) Obwohl Joe erhebliche gesundheitliche Probleme durch seinen Beruf erlitten hat, („Staublunge“, 34), gilt sein Abscheu nicht den Arbeitsbedingungen per se. Seine Wortwahl, „Mrs Thatcher put paid to the mines“, deutet vielmehr an, dass sich seine Abneigung auf die bis heute als Premierministerin höchst umstrittene Margaret Thatcher richtet: Sie hat den Bergbau „zunichte gemacht“ (47). Mit Thatcher hat die Privatisierungs-Bewegung im Vereinigten Königreich ein Gesicht gewonnen, das bis heute bei vielen Arbeitern verhasst ist, steht es doch für die rücksichtslose Privatisierung und den Abbau der Gewerkschaften im Zeichen kapitalistischer Profitmaximierung. Allelujah! bezieht sich auf diese Zeit, in der der Grundstein für die jetzigen Missstände gelegt wurde.

      3. Jung versus Alt, Schnell versus Langsam

      Bislang, so scheint es jedenfalls, arbeitet Allelujah! mit einer klar gezogenen Trennung zwischen jenen, die am schnelllebigen Erfolg teilhaben, und den langsamen Verlieren des kapitalistischen Systems, den inzwischen zu Rentnern gewordenen Vertretern der Arbeiterklasse, die jetzt nicht mehr die Mittel haben, beziehungsweise diese noch nie hatten, um sich gegen Privatisierungen und Gewinnstreben durchzusetzen. Dieser Eindruck wird zu Beginn des Stückes klar durch die Art der Fortbewegung suggeriert, die den Figuren zu eigen ist. Die bereits erwähnte Mrs Maudsley kommt im Rollstuhl auf die Bühne gefahren, einem medizinischen Gefährt, das vor allem mit Begriffen wie Langsamkeit, Gebrechlichkeit, Verletzlichkeit und Behinderung konnotiert ist. Als Schwester Gilchrist auf der Bühne erscheint, und die Patientin fortschiebt („takes her off“, 3), erweitern

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