Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe). Jean Jacques Rousseau

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Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe) - Jean Jacques Rousseau

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obgleich es sie liebt und durch den Abscheu vor einem größeren Verbrechen zur Pflicht zurückgeführt wird; eine zu gefällige Freundin, die ihr eigenes Herz zuletzt für das Uebermaß ihrer Nachsicht straft; ein junger Mann, der gesittet und gefühlvoll ist, sehr schwach allerdings und von vielen Phrasen; ein alter Herr, der auf seinen Adel stolz ist und Alles der Meinung aufopfert; ein Engländer, brav, edelmüthig, immer vor lauter Weisheit in Leidenschaft und aus lauter gutem Bedacht unbedächtig ....

      N. Ein seelensguter und so gastfreundlicher Ehemann, daß er nichts Eiligeres zu thun hat, als den ehemaligen Liebhaber seiner Frau in sein Haus einzuquartieren ....

      R. Ich verweise Sie auf die Unterschrift des Kupferstichs [Des siebenten, welcher die Ankunft Saint Preur' auf Wolmar's Landgute vorstellt und die Unterschrift hat: „Wie schöne Seelen einander vertrauen" (La confiance des belles ames). D. Ueb.].

      N. „Schöne Seelen" — ein prächtiges Wort!

      R. O Philosophie! wie viel Mühe du dir giebst, die Herzen enge, die Menschen klein zu machen!

      N. Der romantische Geist macht sie groß und äfft sie. Aber wieder auf unseren Gegenstand zu kommen: die beiden Freundinnen? ... he, was meinen Sie? .... Ach, und die urplötzliche Bekehrung in der Kirche? .... Die Gnade Gottes, nicht wahr? ....

      N. Aber ....

      N. Eine Christin, eine Fromme, die ihre Kinder nicht den Katechismus lernen läßt, die in ihrer Todesstunde nicht beten will, deren Tod dessenungeachtet einen Pastor erbaut und einen Atheisten bekehrt .... Oh! ....

      R. Aber ....

      N. Und für wen soll man sich interessiren? Für Alle. Das ist so gut als für Keinen, Keine schlechte Handlung, kein schlechter Mensch, der Einem für die guten bange macht; Begebenheiten so natürlich, so einfach, daß es zu arg ist; nichts Unerwartetes, kein Theaterstreich: man sieht Alles lange voraus kommen, und Alles kommt gerade so, wie man es vorausgesehen hat. Lohnt es der Mühe, Dinge aufzuzeichnen, die Jeder alle Tage in seinem oder in seines Nachbars Hause sehen kann?

      R. Das heißt: Sie verlangen gewöhnliche Menschen und ungemeine Begebenheiten: mir würde, glaube ich, das Gegentheil lieber sein. Uebrigens, Sie richten das, was Sie gelesen haben, als Roman. Jedoch es ist keiner: Sie sagten es ja selbst. Es ist eine Sammlung von Briefen.

      N. Die keine sind, sagte ich auch, wie ich glaube. Schreibt man so Briefe? So geschraubt? Was für Ausrufungen! was für Umstände! was für Aufwand, um das Gewöhnlichste zu sagen! was für Phrasen für unbedeutende Gedanken! Wenig Menschenverstand, wenig treffendes Unheil! Nirgend Feinheit, Kraft, Tiefe! Eine Sprache, die beständig in den Wolken schwebt und Gedanken, die beständig auf der Erde kriechen. Wären auch Ihre Personen natürliche Menschen, so müssen Sie doch einräumen, daß ihr Styl nicht eben natürlich ist.

      R. Ich räume ein, daß es Ihnen nach dem Gesichtspunkte, welchen Sie gewählt haben, so scheinen muß.

      N. Glauben Sie, daß das Publikum mit anderem Auge sehen wird? Und dann, war es nicht mein Urtheil, welches Sie verlangten?

      R. Ja, und um es noch ausführlicher zu vernehmen, mache ich meine Einwendungen. Ich sehe, daß Sie lieber Briefe haben möchten, die für den Druck geschrieben wären.

      N. Dieser Wunsch scheint mir ziemlich wohl begründet in Bezug auf solche, die man in Druck giebt.

      R. So soll man denn in den Büchern die Menschen nie anders sehen, als sie sich zeigen wollen?

      N. Den Verfasser, so wie er sich zeigen will; diejenigen, welche er schildert, so wie sie sind. Aber auch diese gute Eigenschaft fehlt hier. Nicht Ein kräftig gezeichnetes Porträt, nicht Ein recht ausgeprägter Charakter, keine sichere Beobachtung, keine Weltkenntniß. Was lernt man in dem engen Kreise von zwei oder drei Liebenden, die immer nur mit sich beschäftigt sind?

      R. Man lernt die Menschheit lieben. In den großen Gesellschaften lernt man nur die Menschen hassen.

      Sie urtheilen streng; das Publikum wird noch strenger urtheilen. Ohne es der Ungerechtigkeit zu zeihen, will ich Ihnen meinerseits sagen, wie ich diese Briefe ansehe; weniger, um die Fehler, welche Sie denselben vorwerfen, zu entschuldigen, als um die Quelle dieser Fehler aufzudecken.

      In der Zurückgezogenheit hat man eine andere Art zu sehen und zu empfinden als im Verkehre mit der Welt; Leidenschaften, anders geartet, schaffen sich auch eine andere Form des Ausdrucks; die Einbildungskraft, stets von denselben Gegenständen berührt, giebt sich diesen mit größerer Lebhaftigkeit hin. Dieselbe beschränkte Anzahl von Bildern drängt sich ihr immer wieder auf, mischt sich allen Gedanken bei und so entsteht der Anstrich von Eigenheit und Mangel an Abwechslung, den man an den Reden Derer, die einsam leben, bemerkt. Folgt hieraus, daß ihre Sprache besonders nachdrücklich sein müsse? Keinesweges; sie ist nur außergewöhnlich. Nur in der Welt lernt man mit Nachdruck sprechen. Erstlich, weil man sich immer anders und besser als die Andern ausdrücken muß; sodann, weil man genöthigt ist, jeden Augenblick Dinge zu behaupten, die man nicht glaubt, Gefühle kund zu geben, die man nicht hat, und deswegen bei Allem, was man sagt, durch einen überzeugenden Schein den Mangel an innerer Ueberzeugung zu überkleiden trachtet, Glauben Sie denn, daß Menschen in der wirklichen Leidenschaft so kurze, starke, lebhaft gefärbte Wendungen gebrauchen, wie jene, die ihr in eueren Theaterstücken und Romanen bewundert? Nein; die Leidenschaft, voll von sich selbst, drückt sich mehr mit Ueberfluß als mit Kraft aus; sie geht gar nicht darauf aus, zu überzeugen; es fällt ihr nicht von Weitem ein, daß man an ihr zweifeln könne. Wenn sie ihrem Gefühle Worte giebt, so geschieht das weniger, um es den Anderen zur Schau zu stellen, als um sich Lust zu machen. Man versteht es in den Palästen, die Liebe feuriger zu schildern: empfindet man sie deshalb dort mehr als in den Hütten?

      N. Also zeugt eine schwache Sprache für die Stärke des Gefühls.

      R. Wenigstens zuweilen für die Wahrheit desselben. Lesen Sie einen Liebesbrief, den ein Schriftsteller, ein Schöngeist, der glänzen will, in seinem Cabinet verfertigt hat, so wird, wenn der Mann nur Feuer besitzt, seine Feder, wie man zu sagen pflegt, in Flammenzügen schreiben; die Erwärmung wird aber nicht weiter reichen: Sie werden bezaubert sein, vielleicht bewegt; letzteres aber nicht nachhaltig und erquickend, Sie werden nichts davon zurückbehalten, als Worte. Ein Brief dagegen, den die Liebe wirklich eingegeben hat, ein Brief eines im Ernste leidenschaftlich Liebenden wird marklos, zerfahren, unordentlich, voller Weitschweifigkeiten und Wiederholungen sein. Sein Herz, das von Gefühlen überströmt, sagt immer wieder das Nämliche und kann nicht aufhören es zu wiederholen, wie eine lebendige Quelle, die ohne Ende sprudelt und sich nie erschöpft. Nichts, was überrascht, nichts, was des Merkens werth ist: man behält kein Wort, kein Bild, keine Wendung im Gedächtniß; man findet nichts zu bewundern und zu preisen. Aber man fühlt sich das Herz im Busen gerührt, man fühlt sich im Innersten bewegt und weiß nicht warum. Ohne uns durch seine Stärke zu überraschen, hat uns das Gefühl durch seine Wahrheit ergriffen; so weiß das Herz zum Herzen zu sprechen. Aber Die, welche kein Gefühl haben, welche nichts kennen als die künstlich aufgeputzte Sprache der Leidenschaft, haben keine Ahnung von Schönheiten dieser Art, die sie nur mit Verachtung ansehen.

      N. Weiter!

      R. Wohl! Wenn in Briefen der erwähnten Gattung die Gedanken immerhin gewöhnlich sind, ist doch die Sprache nicht die des gemeinen Lebens und kann es nicht sein. Das Wesen der Liebe ist Täuschung; sie schafft sich, sozusagen, eine andere Welt; sie zaubert Gegenstände um sich her, die nicht wirklich sind, denen nur sie allein Dasein giebt, und da sie alle ihre Empfindungen in Bilder faßt, ist ihre Sprache immer bildlich. Aber was sie bildert, ist unbestimmt und ohne Zusammenhang; sie ist gerade in ihrer Verwirrung beredt; sie beweist desto mehr, je weniger sie folgert. Der höchste Grad der Leidenschaft

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