Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe). Jean Jacques Rousseau

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Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe) - Jean Jacques Rousseau

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erneuert man ihn nicht und gewöhnt sich daran, die Büchermoral als müßiges Geschwätz zu betrachten. Je weiter man sich von den Geschäften, von großen Städten, von zahlreichen Gesellschaften entfernt, desto mehr vermindern sich die Hindernisse. Es giebt eine Grenze, wo diese Hindernisse nicht mehr unüberwindlich sind und alsdann können Bücher von einigem Nutzen sein. Wenn man zurückgezogen lebt, so hat man bei dem Lesen nicht den Zweck, mit Belesenheit Staat zu machen und man liest daher nicht Bücher in Massen und denkt mehr nach über das, was man liest; da nun die Bücher weniger Gegengewicht von außen finden, so machen sie auch innerlich mehr Eindruck. Die lange Weile, diese Pest der Einsamkeit wie der großen Welt, nöthiget, zu unterhaltenden Büchern Zuflucht zu nehmen, der einzigen Hülfsquelle Dessen, der still für sich lebt und keine in sich selbst findet. Man liest mehr Romane in den Provinzen als in Paris, mehr auf dem Lande als in Städten, und sie machen da lebhafteren Eindruck. Sie sehen, warum das nicht anders sein kann.

      Die Bücher aber, welche dem Landbewohner, der nur unglücklich ist, weil er sich dafür hält, zu gleicher Zeit Unterhaltung und Belehrung gewähren könnten, scheinen im Gegentheile nur darauf berechnet, ihm sein Leben noch mehr zu verleiden, indem sie das Vorurtheil, das ihn mit Geringschätzung desselben erfüllt, nähren und befestigen; Schönheiten, Modedamen, Große, Militairpersonen, das sind die Helden aller euerer Romane. Das Raffinement des städtischen Geschmacks, Maximen des Hoflebens, Prachtliebe, Epikuräermoral — das ist es, was sie predigen und lehren. Das Gleißen ihrer geschminkten Tugenden verdunkelt den Glanz der wahren, die Schicklichkeiten der guten Lebensart setzen sie an die Stelle der ernsten Pflichten; schöne Reden werden höher gehalten als schöne Handlungen und die Einfalt guter Sitten gilt für bäuerisches Wesen.

      Welchen Eindruck müssen nicht derartige Gemälde auf einen Herrn vom Lande machen, wenn er die Offenheit, mit welcher er seine Gäste empfängt, verspotten und die Lust, welche er in seinem Bereiche herrschend zu machen sucht, als pöbelhaftes Juchhei behandeln sieht? Oder auf seine Frau, wenn sie erfährt, daß die Erfüllung der häuslichen Pflichten unter der Würde einer Dame ihres Ranges ist? Oder auf seine Tochter, wenn die verrenkten Manieren und der Bombast der Stadt ihr Verachtung einflößen für den ehrlichen Nachbar, der freilich nur ein schlechter Landmann ist und sie geheiratet hätte? Sie wollen nun allesammt nicht mehr Krautjunker sein, ihr Dorf wird ihnen verhaßt, sie lassen ihr altes Schloß im Stiche, welches bald verfällt, und ziehen in die Hauptstadt, wo der Vater, mit seinem S. Louis-Kreuz aus einem Herrn, was er war, ein Knecht oder ein Industrieritter wird; die Mutter etablirt ein Spielhaus; die Tochter lockt die Spieler heran und der gewöhnliche Fall ist, daß sie alle Dreie, nach einem schändlichen Leben, in Schmach und Elend sterben.

      Die Herren Autoren, Literaten, Philosophen schreien unaufhörlich, daß man nicht seine Bürgerpflichten erfüllen, noch seinen Nebenmenschen dienen könne, wenn man nicht in der großen Stadt lebe. Wenn man Paris nicht mag, so haßt man, ihrer Meinung nach, das menschliche Geschlecht; das Volk vom Lande ist in ihren Augen nichts; nach ihren Reden sollte man wirklich meinen, daß es nur Menschen giebt, wo man Pensionen, Akademien und Diners hat.

      Allgemach reißt derselbe Hang alle Stände hin. Erzählungen, Romane, Theaterstücke, Alles stichelt auf die Provinz, macht die schlichten Sitten, wie sie auf dem Lande herrschen, lächerlich und predigt die Manieren und Vergnügungen der großen Welt: eine Schande, diese nicht zu kennen, ein Unglück, sie nicht zu genießen. Wer weiß, mit wie vielen Gaunern und öffentlichen Dirnen die Lockung dieser eingebildeten Freuden Paris tagtäglich bevölkert! So kommen dem Mißgriffe des politischen Systems Vorurtheile und die öffentliche Meinung zu Hülfe, um die Bewohner jedes Landes auf einigen Punkten des Gebietes zusammenzuschichten, daß alles Uebrige öde und menschenleer bleibt; so entvölkern sich die Länder, um die Hauptstädte glänzend zu machen, und dieser eitle Schimmer, der die Augen der Narren blendet, macht, daß Europa schnellen Schrittes seinem Untergange entgegengeht. Es ist zum Heile der Menschen dienlich, daß man diesen Strom vergifteter Maximen aufzuhalten suche. Es ist der Prediger Gewerbe, uns zuzurufen: Seid gut und vernünftig! ohne sich weiter um den Erfolg ihrer Ermahnung viel Sorge zu machen. Der Bürger, der sich Sorge darum macht, muß nicht so dumm sein und nur rufen: Seid gut! sondern uns den Stand lieb machen, in welchem wir es werden können.

      N. Einen Augenblick — schöpfen Sie Athem! Ich mag das gern, was auf's Nützliche abzielt, und ich bin diesmal so sehr mit Ihren Gedanken gegangen, daß ich an Ihrer Stelle fortfahren kann.

      Es ist, Ihrer Entwicklung nach klar, daß man den Werken der Einbildungskraft nicht anders eine nützliche Richtung geben kann, als indem man sich ein Ziel steckt, welches dem, das ihre Verfasser gewöhnlich vor Augen haben, entgegengesetzt ist: alles Bestehende fern halten, zur Natur zurücklenken, den Menschen Liebe zu einem gleichmäßigen und einfachen Leben einflößen, sie von den grillenhaften Vorurtheilen heilen, ihnen Geschmack an wahren Freuden beibringen, ihnen die Einsamkeit und den Frieden lieb machen, sie in einiger Entfernung von einander halten und anstatt sie in Städten zusammenzuschichten, sie dazu bewegen, daß sie sich gleichmäßig über das Land vertheilen, um es aller Orten zu beleben. Ich sehe auch, daß es sich nicht darum handelt, Daphnisse, Sylvandre, arkadische Schäfer, poetische Bauern, die mit eigener Hand ihr Land bauen und dabei über die Natur Philosophiren und sonst dergleichen romantische Wesen, die es nur in Büchern giebt, aus den Leuten zu machen, sondern Denen, die sich im Wohlstand befinden, zu zeigen, daß die Pflege des Bodens und das Landleben Freuden gewährt, von welchen sie keine Ahnung haben, daß diese Freuden nicht so ungenießbar und tölpisch sind, als sie denken, daß auch darin Geschmack, Sinn, Gefühl walten können, daß ein gebildeter Mann, der sich mit seiner Familie auf's Land zurückziehen und sein eigener Pächter werden wollte, sich dort ein ebenso angenehmes Leben bereiten könnte, als mitten in den Vergnügungen der Stadt, daß eine Landwirthin eine liebenswürdige Frau sein und ebenso viel Anmuth, ja eine weit lieblichere Anmuth entwickeln kann als die reizendsten Stadtschönen, daß endlich die sanftesten Gefühle des Herzens dort eine Gesellschaft angenehmer beleben können als die gekünstelte Sprache der Zirkel, in denen beißender Witz und Spottgelächter einen traurigen Ersatz bieten für den Frohsinn, der in ihnen etwas Unbekanntes ist. Ist es so?

      R. So ist es. Ich will nur noch eine Bemerkung hinzufügen. Man klagt darüber, daß Romane die Köpfe verwirren; ich glaube es gern. Indem der Roman Denen, die ihn lesen, beständig die eingebildeten Reize eines Standes, dem sie nicht angehören, vorspiegelt, verführt er sie, setzt ihren eigenen Stand in ihren Augen herab und reizt sie, diesen in Gedanken mit dem andern, den man ihnen lieb macht, zu vertauschen. Wenn man so sein will, was man nicht ist, bringt man es in der That dahin, sich für etwas Anderes zu halten, als man ist, und man wird zum Narren. Wenn die Romane ihren Lesern nur Schilderungen von Gegenständen vorhielten, wie sie sie wirklich um sich sehen, Pflichten, welche sie erfüllen können, Freuden, die ihnen zugänglich sind, so würden die Romane sie nicht närrisch, sondern weise machen. Schriften, die für einsam lebende Leute geschrieben sind, müssen deren Sprache sprechen: wenn sie sie belehren sollen, müssen sie ihnen gefallen, müssen sie fesseln; sie müssen ihnen ihren Stand lieb machen, indem sie ihnen denselben angenehm zeigen. Sie müssen die Maximen, die in den großen Gesellschaften gelten, bekämpfen und zerstören, sie müssen sie falsch und verächtlich darstellen, d. h. so wie sie in Wahrheit sind. Und um Alles dessen willen muß ein Roman, wenn er recht gemacht ist, wenigstens wenn er nützlich ist, bei dem Modevolk als ein plattes, überspanntes, lächerliches Buch verspottet, gehaßt und verrufen sein, und so, mein Herr, ist Weisheit, was der Welt Thorheit ist.

      N. Die Folgerung hieraus ergiebt sich von selbst. Man kann seinen Fall nicht besser voraussehen und sich nicht stolzer zum Falle anschicken. Es ist nur noch eine Schwierigkeit übrig. In der Provinz, wie Sie wissen, liest man nur, was wir empfehlen: sie erhalten nur, was wir ihnen zuschicken. Ein Buch, das für die einsam Lebenden bestimmt ist, wird zuerst von den Weltleuten beurtheilt; wenn diese es verwerfen, lesen es die Anderen nicht. Antworten Sie!

      R. Die Antwort ist leicht. Sie sprechen von den Schöngeistern der Provinz, ich aber von Denen, die ein wirkliches Landleben führen. Ihr, die ihr in der Hauptstadt glänzet, habt Vorurtheile, von denen ihr zurückkommen müßt: ihr bildet euch ein, in ganz Frankreich

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